"Die Großen müssen uns erstmal schlagen"
Basel - Am Donnerstag (15.30 Uhr LIVE) eröffnet die deutsche Handball-Nationalmannschaft als Titelverteidiger in Basel die EM 2006.
Gegner ist kein Geringerer als Weltmeister Spanien. Eine denkbar schwere Aufgabe für die von Verletzungen gebeutelte DHB-Auswahl, die ohne Holger Glandorf, Markus Baur und Oleg Velyky auskommen muss.
Sport1.de sprach mit Bundestrainer Heiner Brand über den Ausfall von Oleg Velyky, Auftaktgegner Spanien und die WM in Deutschland 2007.
Sport1: Herr Brand, Sie haben in den vergangenen Tagen viele Interviews gegeben. Welche Frage können Sie nicht mehr hören?
Heiner Brand: Die Frage nach den Zielen bei der Europameisterschaft.
Sport1: Gut, halten wir die erst einmal zurück. Haben Sie und ihr Team den Schock der Verletzung von Oleg Velyky verdaut?
Brand: Es gibt zwei Seiten. Die Jungs haben zu Oleg in den vergangenen Monaten eine Beziehung aufgebaut. Natürlich fehlt er ihnen. Aber sie arbeiten sehr engagiert im Training. Da herrscht so eine Art Trotz.
Sport1: Wie wollen Sie den Ausfall kompensieren?
Brand: Keine Frage, Oleg ist nur schwer zu ersetzen. Nach dem Rücktritt von Daniel Stephan und der Absage von Markus Baur war er mein designierter Führungsspieler. Er ist in diese Rolle gerade reingewachsen. Individuell gehört er sicher zu den besten Angriffsspielern der Welt. Die Kroaten können einen Ivano Balic auch nicht einfach ersetzen.
Sport1: Wer übernimmt Velykys Rolle?
Brand: Auf der Mitte hat sich Frank von Behren empfohlen. Und im linken Rückraum bietet sich Pascal Hens an. Zudem haben wir Michael Kraus und Michael Hegemann.
Sport1: Verletzungen kurz vor großen Turnieren sind für Sie ja nichts Neues.
Brand: Leider. Da hat sich ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt, auch wenn es immer wieder weh tut. Das macht einen traurig. So wird ein geplanter Neuaufbau empfindlich gestört. Man überlegt sich, woran es liegt.
Sport1: Woran?
Brand: Wenn ich eine Antwort wüsste... Im Handball ist ein gewisses Verletzungsrisiko sicherlich da. Dann kommt die Überbelastung durch den engen Terminplan hinzu. Außerdem kann es auch an athletischen Defiziten liegen. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber wir dürfen jetzt nicht hadern.
Sport1: Welchen Stellenwert hat die EM für Sie, ein Jahr vor der WM im eigenen Land?
Brand: Einen großen. Ich hake die EM nicht ab, weil nicht alles nach Wunsch läuft. Wir müssen über Einstellung und Kampf überzeugen. Die Großen müssen uns erstmal schlagen. Wir werden ihnen alles abverlangen.
Sport1: Aber Weltmeister Spanien als erster Gegner am Donnerstag ist ein denkbar ungünstiger Auftakt.
Brand: Das kann man so oder so sehen. Ich messe dem ersten Spiel nicht solch eine große Bedeutung zu. Vor zwei Jahren in Slowenen haben wir das erste Spiel verloren und sind dann Europameister geworden. Man kann sich die Gegner nicht aussuchen.
Sport1: Auf was für einen Gegner stellen Sie ihre Mannschaft ein?
Brand: Die Spanier haben einen eigenen Stil in der Abwehr. Darauf muss man besonders hinarbeiten. Zudem sind sie enorm gefährlich im Gegenstoß. Und sie verfügen über Power aus dem Rückraum, sind individuell sehr gut besetzt. Kreisläufer Urios zum Beispiel ist bärenstark. Oder Raul und Alberto Entrerrios, Iker Romero. Und sie haben auch noch Julio Fis hinzubekommen.
Sport1: Sie schwärmen ja richtig. Wie kann ihre Mannschaft da mithalten?
Brand: Durch die Rolle des Außenseiters. Vielleicht unterschätzen uns die Spanier, da nun auch noch Oleg ausgefallen ist. Kann sein, dass sie uns nicht ernst nehmen. Bei meinem Team wird der Wille da sein. Und es hat auch Qualität angedeutet. Wir haben in der Vorbereitung phasenweise guten Handball gespielt. Das müssen wir über 60 Minuten umsetzen.
Sport1: Wer war aus Ihrer Sicht der Gewinner der Vorbereitung?
Brand: Michael Kraus. Er hat einen Schritt nach vorn gemacht.
Sport1: Er ist einer der jungen Spieler. Sie haben zuletzt immer wieder auf das Nachwuchsproblem im deutschen Handball hingewiesen. HBL-Chef Bernd-Uwe Hildebrandt sagte Sport1.de, er sehe schwarz für die Zukunft, wenn sich nicht schnell etwas ändert.
Brand: Das Thema ist aktuell und ernst, aber wir sollten es erst nach der EM wieder in den Fokus rücken. Beschlüsse, die getroffen werden, wirken erst in sechs, sieben Jahren. Es geht also nicht um meine Ära, es geht nicht um Egoismus. Mir geht es um den deutschen Handball. Es muss sich etwas ändern.
Sport1: Heißt das, für Sie ist nach Olympia 2008 Schluss als Bundestrainer?
Brand: Bis dahin läuft mein Vertrag. Das heißt aber nicht, dass dann Schluss ist. Beide Seiten müssen sich zu gegebener Zeit zusammensetzen und sehen, ob es passt. Aber das ist Zukunftsmusik.
Sport1: Die WM in Deutschland nächstes Jahr bietet die Chance, Jugendliche für den Handball zu begeistern. Steckt die im Hinterkopf?
Brand: Ja, aber wirklich nur im Hinterkopf. Daran denke ich erst nach der EM. Und mir ist auch nicht bange, denn wir haben ja Potenzial im Hintergrund mit Glandorf, Baur, Velyky. Mit ihnen sind wir sicherlich noch einen Schritt weiter. Aber jetzt soll erst mal die EM beginnen.
Sport1: Aber dann müssen Sie noch ihre ungeliebte Frage beantworten: Wie lautet Ihre Zielsetzung?
Brand: Die Hauptrunde zu erreichen. Dann sehen wir weiter.