schreibt jedenfalls die NZZ aus der Schweiz. In dem Bericht geht es als Aufmacher zwar hauptsächlich um die SG Flensburg/Handewitt und die ewige Rivalität zum THW, aber auch um den Handball in Deutschland an sich. Sehr interessant.
ZitatAlles anzeigenNZZ vom 2.4.04
Punkte nur für Verkehrssünder
Flensburg-Handewitt greift gleich nach drei Handball-Titeln
hgt. Flensburg an der Grenze zu Dänemark ist der Standort des deutschen Strassenverkehrsamtes und geniesst unter deutschen Autofahrern einen schlechten Ruf: Das Kraftfahrt-Bundesamt verteilt (Straf-)Punkte an Verkehrssünder. In der Regel keine Punkte sind dagegen im nördlichsten Zipfel Deutschlands für fremde Handballklubs zu holen. Die Heimstätte des Bundesliga-Topteams SG Flensburg-Handewitt, die 6500 Personen fassende «Campushalle», trägt in der Branche den Kosenamen «Hölle des Nordens» und ist stets ausverkauft. Für die lauten Töne sind 1500 Stehplatz-Abonnenten zuständig, die für ihr Dauerticket lediglich 99 Euro entrichten. In der Kieler Bucht werden in diesen Wochen die Schlagzeilen nicht nur des Bundesliga-, sondern des internationalen Klubhandballs geschrieben. Die SG Flensburg-Handewitt ist direkt in drei wichtige Entscheidungen involviert. Die Equipe des Stoikers in der Gilde, des schwedischen Trainers Kent- Harry Andersson, kämpft um das Dreierpack Meisterschaft, Champions League und DHB- Cup. Zwei der drei Trophäen führen über den ständigen Rivalen, den eine Autobahnstunde südlich gelegenen THW Kiel.Sieben Runden vor Schluss führt Flensburg die Bundesligatabelle mit zwei Punkten Vorsprung vor Kiel an. Das möglicherweise entscheidende Derby vom Ostersamstag in der längst ausgebuchten «Campushalle» füllt schon heute ganze Zeitungsspalten und setzt eine ganze Region, die dänische Nachbarschaft eingeschlossen, in einen fieberhaften Zustand. Nach fünf zweiten Plätzen seit 1996 ist der erste deutsche Meistertitel überfällig. Das sieht der Rivale aus Kiel freilich anders. Die Equipe des Langzeit-Coachs Zvonimir Serdarusic, der in seiner elfjährigen Amtszeit bisher sieben Meisterschaften gewann, befindet sich im Aufwärtstrend, der in den letzten Wochen aus dem Mittelfeld in die Spitzengruppe führte. Pikanterweise werden sich die beiden Nordlichter auch im Cup noch begegnen, im Halbfinal des sogenannten Final-Four-Turniers am ersten Mai-Wochenende in Hamburg, wo der SC Magdeburg im zweiten Halbfinal gegen den HSV nach einer Reihe von nationalen und internationalen Pleiten eine missratene Saison zu retten versuchen wird.
Zwischen dem Derby gegen Kiel und der Ausmarchung im DHB-Cup greift die SG Flensburg- Handewitt als dritter deutscher Verein nach Gummersbach und Magdeburg nach der europäischen Krone. Die Champions League ist im Norden des Bundeslandes Schleswig-Holstein besonders prestigeträchtig. Denn ein Sieg in der Königsklasse fehlt im Palmarès des «verhassten» Rivalen aus Kiel. Die Halbfinalpartien zwischen Flensburg und Magdeburg, die mit je einem Zehn-Tore-Sieg endeten, haben den durch den EM-Gewinn der DHB-Auswahl ausgelösten Zuschauerboom noch verstärkt. Die ARD verzeichnete anlässlich des dramatischen Rückspiels in Magdeburg, wo Flensburg Sekunden vor Schluss das entscheidende Goal gelang, 2,38 Millionen Zuschauer und den für die Sportart ungewöhnlichen Marktanteil von 13,5 Prozent. TV-Handball ist in Deutschland definitiv salonfähig geworden. Das ZDF hat die Übertragungsrechte des Rückspiels des Champions-League-Finals zwischen Flensburg und Celje-Laško am 25. April erworben und damit dem Bundesligaleader pekuniär nicht unerhebliche Vermarktungsmöglichkeiten eröffnet.
Weil das Hinspiel in Slowenien stattfindet, ist auch die sportliche Erwartungshaltung gestiegen. Der Teamchef Andersson dämpft jedoch die Euphorie. Der Gegner aus der Handball-Hochburg des Nordbalkans eliminierte auf dem Weg ins Endspiel der Reihe nach immerhin León, Lemgo und Ciudad Real - allesamt Mitglieder der «Belétage» des Klubhandballs. In der Vorrunde des Wettbewerbs unterlag Flensburg in Slowenien (28:29) und kam zu Hause nur zu einem Remis (29:29). Da im Kader elf Ausländer stehen - vier Dänen, drei Norweger, zwei Schweden und ein Pole und ein Weissrusse -, kommt es nicht selten vor, dass kein einziger Deutscher auf dem Platz steht. Trotzdem hat der Anhang keine Identifikationsprobleme mit dem Team; Flensburg hat dank Zulauf aus der skandinavischen Nachbarschaft ein internationales Publikum.
Auch die Bundesliga-«Hausmannskost», die regulären Partien mit Beteiligung der Grossklubs, mobilisiert die Massen. Der VfL Gummersbach, der mit grossem Erfolg regelmässig die Rosinen in die Köln-Arena auslagerte, verbuchte Ende Februar gegen Magdeburg (33:34) einen Weltrekord - 19 154 Eintritte - für Vereinsmannschaften. Im Sinne eines Pilotversuches wird der TBV Lemgo im Mai das Spiel gegen Gummersbach im Tennisstadion von Halle austragen. Sämtliche 11 000 Tickets waren nach zwei Wochen Vorverkauf vergriffen. Und das, obwohl der Verein der beiden Schweizer Lima und Baumgartner nur noch minimale Chancen hat, den Titel mit Erfolg zu verteidigen