Weiter sagt Jesus dann: "Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: 'Du sollst nicht töten; wer aber tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: "Du Verächtlicher!" soll dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber sagt: "Du Tor" soll der Hölle mit ihrem Feuer verfalle sein...Geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder...damit dich nicht der Gegner dem Richter...übergibt und du ins Gefängnis gesetzt wirst".
Jesus fordert also, daß bereits eine bloße Beschimpfung und Beleidigung mit Gefängnisstrafe geahndet wird.
Meiner Meinung nach ist dieses Strafmaß unverhältnismäßig hoch und daher ungerecht. Womit wollte man dann Diebstahl bestrafen? Wohl mit der Todesstrafe. Und womit sollte man dann Mord bestrafen - vielleicht durch Hinrichtung nicht nur der Mörders, sondern auch seiner ganzen Familie?
Jesus stellt so hohe moralische Forderungen, daß die Menschen sie unmöglich erfüllen können. Eine Moral, die so hohe Maßstäbe setzt, macht jedermann zum Schuldigen. Dies führt dazu, daß die Moral gehasst wird.
Weiter sagt Jesus dann: "Ihr habt gehört, daß gesagt ist: 'Du sollst nicht ehebrechen.' Ich aber sage euch: Jeder, der eine Ehefrau ansieht, um sie zu begehren, hat ihr gegenüber im Herzen schon Ehebruch begangen. Wenn dich aber dein rechtes Auge zur Sünde verführt, dann reiss es aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, daß eins deiner Glieder verlorengeht und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Und wenn dich deine rechte Hand zur Sünde verführt, so haue sie ab und wirf sie von dir; denn es ist besser für dich, daß eins deiner Glieder verlorengeht und nicht dein ganzer Leib in die Hölle kommt".
Ich meine dazu: Wenn ein Mann eine Frau sieht, Ehefrau oder nicht, und die Frau hat erotische Ausstrahlung, dann sind seine Instinkte so programmiert, daß er sie begehrt. Das ist ein Reflex, so wie z.B. der Kniesehnenreflex. Dieser Reflex ist schon da, bevor das Gehirn die Situation richtig verarbeitet hat. Wenn das Gehirn dann arbeitet, wird ein anständiger Mann sich sagen: "Diese Frau gehört einem anderen, sie ist tabu".
Jesus aber verurteilt schon den sexuellen Reflex des Menschen, und das ist einfach unfair. Denn man kann niemanden dafür verurteilen, daß er mit erotischen Instinkten ausgestattet ist. Jesus erzeugt also durch seine viel zu hohen moralischen Ansprüche bei seinen Anhängern ein Schuldgefühl, und er quält sie durch dieses Schuldgefühl.
Jesus geht sogar noch weiter: Er fordert die Menschen zu Selbstverstümmelung auf, und droht ihnen schon für relativ geringe Vergehen die ewige Verdammnis an. Wieviele Mönche und Nonnen haben sich schwere Vorwürfe gemacht, weil sie ihrem natürlichen Sexualtrieb nicht immer wiederstehen konnten und durch Fasten, Schlaf-Entzug und Selbstauspeitschung gegen ihren eigenen Körper Krieg geführt?
Die zwanzigste Säule der christlichen Moral ist die Verdammung der normalen sexuellen Instinkte des Menschen als schweres Vergehen, das mit ewiger Verdammnis in der Hölle bestraft wird.
Jesus fährt fort: "Es ist ferner gesagt: 'Wer seine Frau entläßt, soll ihr einen Schiedebrief geben.' Ich aber sage euch: Jeder, der seine Frau entläßt, außer wegen Unzucht, gibt Anlass, daß ihr gegenüber Ehebruch begangen wird; und wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch".
Jesus verbietet also eine Scheidung, wenn die Ehepartner nicht miteinander auskommen. Er verbietet den Menschen, den Versuch zu unternehmen, einen anderen passenden Partner zu finden. Als einzigen Scheidungsgrund erkennt er "Unzucht" an. Dagegen ist es kein Scheidungsgrund, wenn eine Frau von ihrem Mann ständig verprügelt wird.
Jesus sagt: "Ihr habt gehört, daß gesagt ist: 'Auge um Auge, Zahn um Zahn.' Ich aber sage euch, daß ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt; sondern wer dich auf den rechten Backen schlägt, dem biete auch den andern dar, und dem, der gegen dich den Richter anruft und dir den Rock nehmen will, dem lass auch noch den Mantel, und wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem ab, der von dir borgen will".
Jesus fordert also, daß man dem Bösen nicht widerstehen soll. Das heißt aber doch, daß man dem Bösen Gelegenheit gibt, immer dreister und mächtiger zu werden. Das halte ich für unmoralisch. Jeder Mensch hat das Recht zu Selbstbehauptung. Wer ihn dazu anstiftet, auf den Erhalt seiner Ehre, seiner Rechte und seines Besitzes zu verzichten, wird diesen Menschen ruinieren.
Jesus sagt: "Ihr habt gehört, daß gesagt ist: 'Du sollst deinen Nächsten lieben' und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und bittet für die, welche euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters in den Himmeln seid! Denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über gerechte und ungerechte".
Da haben wir wieder diesen moralischen Rigorismus Jesu. Er verlangt von den Menschen, daß sie vollkommen sind. Er fordert, daß der Menschen seine Feinde lieben soll. Nun sind aber Gefühle etwas, das der Mensch nicht steuern kann. Kann man einer Frau befehlen, daß, sie einen bestimmten Mann lieben soll, den sie aus den verschiedensten Gründen ablehnt. Man kann Gefühle nicht erzwingen. Wenn man das verlangt, überfordert man die Menschen. Und man macht sie nur unglücklich.
Jesus hätte fordern können: "Was du nichts willst, das dir man tu, das füg auch keinem andern zu." Das wäre eine vernünftige und erfüllbare Forderung gewesen.
Die einundzwanzigste Säule der christlichen Moral ist es, so hohe Anforderungen an den Menschen zu stellen, daß sie der menschlichen Natur und dem menschlichen Gefühlsleben zuwiderlaufen, und daher auf die Dauer unerfüllbar sind. Dies erzeugt bei den Menschen Schuldgefühle und macht sie unglücklich.
Wie kommt Jesus auf solche radikalen und überzogenen Forderungen? Die Antwort ist ganz einfach: Als er diese Forderungen aufstellte, war er jung, vielleicht dreissig, vielleicht sogar noch jünger. Das muß man sich vor Augen halten: Jesus war ein junger Mann, der mit der Unbedenklichkeit und der Radikalität der Jugend sprach. Hätte Jesus Gelegenheit gehabt, älter zu werden, hätte er mit 50, 60 oder 70 seine Ansichten vielleicht revidiert. Jetzt sind seine unreifen Ansichten als ewige Wahrheiten in der Bibel festgeschrieben.
Wir haben 21 Säulen der christlichen Moral betrachtet. 19 davon waren unmoralisch, teilweise sogar verwerflich. Zwei waren moralisch einwandfrei, aber in wie weit sind sie tragfähig?
Ich glaube nicht, daß das Gebäude der christlichen Moral der Menschheit ein sicheres Dach über dem Kopf bieten kann.