Dieser Artikel stand gestern bei uns in den Lübecker Nachrichten.
Hilfe, wir kommen nicht aus der Halle, die Zuschauer spielen verrückt." Diese Mitteilung ,,simste" jüngst das Tarper Schiedsrichter-Duo Besse/Schmidt aus der Ludwigsfelder Sporthalle nach dem Männer Regionalligaspiel gegen die SG TM/BW Berlin an Kollegen. Zwei strittige Rote Karten in der Schlussphase und schon tobten die Fans-dabei gewann Ludwigsfelde sogar mit acht Toren...
,,Kein Wunder, dass die Fans langsam durchdrehen. Die Schiedsrichter werden immer schlechter, weil sie immer mehr verunsichtert sind", hat der Lübecker ,, Ober-Schiri" Manfred Bülow für beide Seiten Verständnis. Der Vize-Präsident der deutschen Trainervereinigung und Multi-Verbandsausbilder hat als Schiedsrichter mit seinem langjährigen Gespann-Partner Wilfried Lübker so manchen ,, heißen Tanz" bei Weltmeisterschaften und Olympiaden unbeschadet überstanden, sieht mittlerweile Theorie und Praxis immer mehr auseinander driften: 80 Prozent der Schiris pfeifen falsch, weil es strittige Szenen sind, die sie vorher noch nie gesehen haben . Mal werden Lehrgangsinhalte gar nicht umgesetzt, mal soll möglichst alles haarklein umgesetzt werden, wenn ein Beobachter auf der Tribüne auftaucht."
So standen beim Spiel des VFL Bad Schwartau gegen den LHC Cottbus die Schiris bereits Sekunden nach dem Anpfiiff im MIttelpunkt, als sie einen (Tor-) Wurf von Falko Wahnschlaff nicht im fest gespannten Netz, sondern im ,,Aus" landen sahen, obwohl doch jeder Schüler schon etwas von Einfall-gleich Ausfallwinkel gehört haben sollte. ,, Schiedsrichter sind auch manchmal feige,weil sie zwar die Szene gesehen haben, aber lieber gar nicht als zu spät reagieren" so Bülows Erfahrung.
Dass die Bad Schwartauerin Claudia Brandt beim Duell gegen TSC Berlin als nicht eingetragende und daher nicht spielberechtigte Akteurin auf die Tribüne verbannt wurde, entsprach indes der Regel.
Es gab jedoch auch schon den Fall, dass der verdutzte Trainer für solch ein ,, Vergehen" eine Rote Karte erhielt. ,,Kein Wunder, seit 2001 haben wir 33 neue Regeln und nochmal so viele Veränderungen der Auslegungen", kritisiert Bülow die Funktionäre.
Und Erzählungen wie die von Tim Lübker, Regionalliga-Torhüter im Team des ATSV Stockelsdorf, dass er von einem Schiri aufgefordert wurde, ,, geh ins Tor, nimm die Hände hoch oder du bekommst von mir eine rein", sind Bülow nicht unbekannt,, weil sie mit Arroganz und Machtgehabe so manche Schwäche zu übertünchen versuchen."
Insgesammt zehn Spiele Sperre für Trainer und Spieler, rund 1200 Euro Strafe uns sechs Spiele unter Verbandsaufsicht- dies war die Bilanz des mutwilligen Spielabbruchs seitens des TSV Nord Harrislee in der Oberliga der männlichen Jugend B in Stockelsdorf.,, Die Gästebetreuer haben jede Szene, jeden Pfiff lautstark kommentiert, die Sache hat sich hochgeschaukelt. Auf einem gab's Rote Karten , nur noch 2 TSVer waren auf dem Feld, dann schickte der Trainer alle in die Kabine", fand ATSV-Coach Heiko Grell dafür angesichts einer Stockelsdorfer 38:30- Führung bei 2 Minuten Restspielzeit kein Verständnis ,wurde zudem von einem TSV-Heißsporn mit einem Ellbogencheck bedacht. Zehn Tage später meldete Harrislee die B-Jugend ab, der gesperrte, aber uneinsichtige Trainer wollte nicht zahlen, zog zudem gleich sechs Spielr mit sich.
Die Hemmschwelle sinkt. Spieler werden nicht von Disqualifikationen wegen ,, gesundheitsgefährdender Fouls" abgeschreckt, Trainer nicht von zeitweiligem ,,Berufsverbot"- und so leben auch Fans ihre Aggressionen ungehemmt aus: So überwand ein Spielervater in Oldesloe einen meterhoehen Tribünenabgrund ,um nach einem Allerweltsfoul einem 13-jährigen Gästespieler und dessen Trainer an die Wäsche zu gehen. Die Strafe 50 Euro wegen Nichteinhaltung des Ordnungsdienstes.
Alle Seiten scheinen in der Schuld zu stehen: Zuschauer pöbeln ihren Alltagsfrust heraus, Spieler gehen so ode so an ihre gesundheitlichen Grenzen, Trainer machen aus jeder Mücke einen Elefanten, Schiedsrichter pfeifen ihren eigenen Stiefel.,, Schuld an dem Verfall haben alle", merkt Manni Bülow an, der sich damals wie heute nicht zu schade ist, auch mal in der ,, Betonliga" auf unterster Ebene zu pfeifen, ,, aber Respekt ernten wir nur, wenn wir nicht uns so wichtig, sondern die Spieler ernst nehmen."
Quelle Lübecker-Nachrichten vom 21.12.05