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"Wir haben kein Schiedsrichterproblem!"Irgendwann platzt auch Peter Rauchfuß der Kragen. Der oberste Schiedsrichter des DHB ist sauer auf manche Verantwortliche in den Bundesligaklubs, die nach fast jedem Spiel mit unterschiedlicher Intensität die Schiedsrichterleistungen öffentlich kritisieren. Derzeitiger Höhepunkt der wöchentlichen Schelte sind die Manipulationsvorwürfe von Essens sportlichem Leiter HaDe Schmitz, der nach der Niederlage seines TuSEM beim Aufsteiger Düsseldorf in der "Neuen Ruhr Zeitung" (NRZ) mit den Worten "Das war Manipulation!" zitiert wird.
Olaf Nolden (26.04.2005)
Joachim Ehlers und Heiko Schnare haben nach Ansicht des Esseners vorschnell passives Spiel gegen den TuSEM angezeigt. Den Schiedsrichtern sei immer dann gerade etwas eingefallen, wenn der TuSEM sich erholt habe. "Ich habe ihnen ganz klar gesagt: Das war Manipulation!", zitiert die NRZ den sportlichen Leiter. TuSEM-Boss Klaus Schorn zeigte sich im Gespräch mit handball-world.com wenig glücklich über die Aussage seines Angestellten, sah aber auch "einige bemerkenswert einseitige Regelauslegungen" der Schiedsrichter, die dem Spiel in Düsseldorf eine andere Wendung gegeben hätten. Schlimmer noch: Klaus Schorn sieht sich seinerseits von anderen abstiegsbedrohten Teams Manipulationsvorwürfen ausgesetzt. "Jeder, der mich kennt, weiß, dass wir mit Sicherheit keine Nachbarschaftshilfe geben", wehrt er sich. Ausgerechnet in Düsseldorf war aber kein Schiedsrichterbeobachter angesetzt, moniert Schorn.
Ob Manipulation oder nicht: Schon seit Wochen wird immer unverhohlener seitens einiger Vereinsverantwortlicher auf die Schiedsrichterleistungen geschimpft. Nach der Schiedsrichterschelte der unterlegenen Teams beim Final Four und der Kritik von Magdeburgs Manager und HBL-Präsidenten Berndt-Uwe Hildebrand an den Schiedsrichtern Fleisch/Rieber nach der Niederlage seines SCM gegen den THW Kiel sind die Wogen kaum noch zu glätten. Ein grundsätzliches Problem kocht hoch, dass nicht nur durch die Endphase der Meisterschaft erklärbar ist. Die ständigen Kritiken nach den Spielen deuten daraufhin, dass es bei der Regelauslegung entweder ein grundsätzliches Problem oder ein grundsätzliches Missverständnis gibt.
Für Peter Rauchfuß steht die Qualität deutscher Schiedsrichter außer Frage. "Wir haben kein Schiedsrichterproblem. Unser einziges Problem ist, dass wir zuwenig Schiedsrichter haben." Wenn öffentlich Manipulationsvorwürfe erhoben werden, stelle er sich ohne weitergehende Prüfung vor die Schiedsrichter. "Das ist absolut unfair, was da passiert", empört sich der Schiedsrichterwart aus Chemnitz. Dass Schiedsrichter Fehler machen, kann und will Peter Rauchfuß nicht von der Hand weisen. "Wenn man nach dem Spiel mit uns redet und drei, vier Dinge konkret benennt, die aus Vereinssicht falsch waren, dann sind wir absolut offen dafür. Niemand wird intern so hart kritisiert, wie unsere Schiedsrichter, für Dinge, die die meisten Zuschauer gar nicht bemerken", sagt Rauchfuß, der zusammen mit dem Lehrwart Hans Thomas viel ehrenamtliche Zeit in die Fortbildung der Schiedsrichter investiert.
"In der Breite der qualitätsvollen Schiedsrichter sind wir nicht vorangekommen", sagt hingegen Berndt-Uwe Hildebrand, SCM-Manager und Liga-Präsident in Personalunion. Er findet, dass der Abgang guter Gespanne in der Vergangenheit nicht kompensiert werden konnte. Vielleicht sei im deutschen Handball auch das Kontrollsystem zu groß. Bei vielen Spielen stünden die Schiedsrichter unter (von der HBL gewollter) Beobachtung und haben Angst, Fehler zu machen. Dadurch würden Fehler aber vielleicht erst recht geschehen. "Es kann doch nicht sein, dass einige Schiedsrichter vor großen Spielernamen in Ehrfurcht erstarren und junge, unerfahrene Spieler sind dann die Leidtragenden. Oder dass im Bemühen, möglichst nicht als Heimschiedsrichter zu gelten, der gegenteilige Effekt eintritt."
Ihn ärgert, dass bei hochbrisanten Spielen nicht immer die Top-Gespanne ins Rennen geschickt werden. "Wenn es um den Abstieg geht oder um die Frage der Qualifikation für einen internationalen Platz, dann müssen die besten pfeifen, die wir haben", sagt Hildebrand. Nur die stünden dann teilweise nicht zur Verfügung, obwohl die Liga mittlerweile gutes Geld bezahle. "Dass muss besser funktionieren", fordert der Magdeburger. Von seiner Forderung nach internationalen Gespannen ist Hildebrandt nach einem längeren Gespräch mit Peter Rauchfuß wieder abgerückt. "Das ist Quatsch, sollte aber verdeutlichen, dass bei uns nicht immer die besten pfeifen. International pfeifen ja auch die Besten des Landes."
Hildebrandt: "Über Videobeweis muss man reden"
Man müsse sich jedenfalls etwas einfallen lassen, fordert Hildebrand und ist auch einem Videobeweis gegenüber nicht abgeneigt. "Darüber muss man mal reden. Dann kann man während des Spiels eine strittige Szene noch mal genau unter die Lupe nehmen." Verhindern will er jedenfalls, dass es zukünftig zu Zuschauerausschreitungen wegen strittiger Entscheidungen kommt. "Dass in Magdeburg das Publikum Gegenstände auf das Parkett wirft, wenn der gegnerische Kreisläufer bei 12 Toren sechs Mal im Kreis steht und einen Siebenmeter bekommt, wenn er dann noch fällt, kann doch kein Normalzustand werden. Unser Publikum ist nicht bekannt dafür, Dinge zu werfen." Beim Sieg des THW Kiel in Magdeburg vor einer Woche flogen einige Rasseln und Programmhefte auf das Parkett, da nach Meinung der Zuschauer die Schiedsrichter den THW einseitig begünstigten. Uwe Schwenker versteht die Magdeburger Aufregung indes nicht. "Wenn man sich das Video anschaut, kommt man zu dem Ergebnis, dass alles sauber ablief." Das sagt auch Peter Rauchfuß, der zudem befürchtet, dass der erste Spielabbruch nicht mehr weit sei. "Wenn der erste Schiedsrichter die Nerven verliert und sich bedroht fühlt, wird es soweit kommen."
"Nach jedem Spiel wird nur noch gemeckert über die Schiedsrichter", sagt Uwe Schwenker leicht genervt und nimmt sich da selber nicht aus, denn immerhin forderte er schon vor drei Jahren, man möge für Spitzenspiele internationale Gespanne verpflichten. "Insgesamt haben die Schiedsrichter aufgrund der Regeln große Möglichkeiten der Einflussnahme auf ein Spiel", sagt Schwenker. Aber selbst die Handball-Experten seien sich bei Betrachtung ein und derselben Szene selten einig, was die Beurteilung angehe. "Solange man das Gefühl hat, die Schiedsrichter haben eine einheitliche Linie, bin ich zufrieden", sagt Kiels Manager. Denn eine optimale Lösung für das Problem hat auch er nicht parat. Der Ermessensspielraum ist einfach zu groß, das Spiel zu schnell.
"Wir haben vieles in Deutschland, aber mit Sicherheit kein Schiedsrichterproblem", sieht Bob Hanning vom Hamburger SV keinen öffentlichen Diskussionsbedarf. Im übrigen solle man Differenzen zwischen Vereinen und den Schiedsrichtergespannen intern austragen und nicht öffentlich.
Das findet auch Thorsten Zacharias, zusammen mit Matthias Dang A-Kader-Gespann beim DHB. "Es ist doch so, dass jeder nach dem Spiel in der ersten Emotion ungestraft persönliche Angriffe auf die Schiedsrichter in die Mikrofone sagen darf", ärgert sich der Mann mit der Pfeife und hofft auf einen Strafenkatalog des DHB wie er im Fußball üblich ist. Natürlich machten Schiedsrichter bei einer so schnellen und athletischen Sportart wie Handball auch Fehler. "Es geht ja auch nicht darum, dass unsere Fehler nicht aufgedeckt werden sollen, das sollen und müssen sie, aber dafür besteht nach den Spielen ausreichend Gelegenheit zur Diskussion mit den Vereinsvertretern, das muss nicht auf der Pressekonferenz sein." Denn, so Zacharias, damit stachele man auch die Zuschauer zusätzlich auf.
Manchmal hängt es von einer oder zwei Situationen ab, ob ein Gespann positiv oder negativ beurteilt wird. Waren die Schiedsrichter 50 Minuten unauffällig, sorgt eine späte Rote Karte bei knappem Spielstand zwangsläufig zu heftigen Diskussionen, unabhängig von der Berechtigung der Bestrafung. "Plötzlich ist man als Schiedsrichter der Buhmann und parteiisch", weiß Zacharias um die Zwiespältigkeit seines Hobbys. Einen Videobeweis lehnt die Schiedsrichtergilde derzeit allerdings ab. Selbst wenn es Regelungen gäbe, die es etwa jedem Trainer erlaubten, pro Spiel dreimal einen Videobeweis zu beantragen, bliebe die Frage: Was dann? Die Gefahr, dass ein Spiel aufgrund unendlicher Diskussionen unberechenbar lang werden könnte, wäre da noch die geringste Sorge.
Und so ist zur Deeskalation wohl derzeit nur Selbstdisziplin das Mittel der Wahl. Öffentliche Manipulationsvorwürfe sorgen jedenfalls nicht dafür, dass der Handball positiv wahrgenommen wird und die Zuschauer auch für den eigenen Verein nachteilige Entscheidungen respektieren können. "Wir haben mit der Bundesliga die stärkste Liga der Handballwelt, mit dem Final Four die größte Vereinsveranstaltung der Handballwelt. Und dann gelingt es uns, das in den Dreck zu ziehen", kann Peter Rauchfuß sein Unverständnis über manche Äußerungen nach der Großveranstaltung nicht verbergen. Der Frust sei derzeit sehr groß, sagt der ehrenamtlich tätige Schiedsrichterwart. Er wünscht sich, dass die Verantwortlichen künftig ordentlich miteinander umgehen.
quelle
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...und - haben wir ein sr-problem oder nicht?
mir scheint es eher so, daß die gestiegen anforderungen in den vereinen zu erhöhtem druck führen. und der äußert sich - auch - in den sr- kritiken.