Jesper Nielsen öffnet die Büchse der Pandora
Der Handball-Skandal um den THW Kiel weitet sich aus – Startrainer Noka Serdarusic soll der Informant gewesen sein
Oft liegt des Rätsels Lösung in Krimis ganz nah – näher als man zu denken wagt. Der Ausgangspunkt einer Geschichte, die die (inter)nationale Handball-Welt in nächster Zeit erschüttern wird, ist profan. Mirjana, die Frau von Startrainer „Noka“ Serdarusic (58), und Heidi, die Lebensgefährtin von Manager Uwe Schwenker (49), geraten aneinander. „Du Schlampe“, soll Mirjana vor Zeugen gesagt haben. Es sollte gleichzeitig das Ende einer Männerfreundschaft sein. Ein Traumpaar, das von 1993 bis 2008 insgesamt 25 Titel einheimste, wurde von den Gesellschaftern des THW Kiel am 25. Juni 2008 getrennt, obgleich Serdarusic noch einen Vertrag bis zum 30. Juni 2009 besaß.
Serdarusic, den Garanten für Meisterschaften, wollten die Rhein-Neckar Löwen haben. Am 17. Dezember 2008 unterzeichnete Serdarusic einen Drei-Jahres-Vertrag, der ab 1. Juli 2009 gegolten hätte. Am 19. Februar bat er um die Auflösung des Millionen-Vertrages, angeblich aus gesundheitlichen Gründen, sechs Tage später verbreiteten die Löwen eine entsprechende Pressemeldung, eine Nachricht wie ein Donnerhall – deren Hintergründe langsam aber sicher klar werden. Serdarusic musste zurücktreten, weil es um seine Integrität geschehen war. Es gab Gerüchte, dass die „Bayern des Handballs“ Spiele in der Champions League manipuliert haben sollen. In der heutigen SPIEGEL-Ausgabe erscheint eine Reportage mit dem Titel „Die Könige von Kiel“. Es ist eine facettenreiche Milieustudie, in der die Gepflogenheiten eines korrupten Sportsystems beschrieben werden.
Nach RNZ-Informationen scheint festzustehen: Die Hinweise, dass Kiel – laut SPIEGEL sind es zehn Champions-League-Spiele, in denen Schiedsrichter bestochen wurden, darunter das deutsch-deutsche Finale 2007 zwischen dem THW und der SG Flensburg-Handewitt, hier sollen 96.000 Euro bezahlt worden sein – jedes Mittel recht war, sollen von Serdarusic selbst gekommen sein. Warum der gebürtige Bosnier dies tat, ist plausibel: Er wollte mit dem Franzosen Nikola Karabatic den derzeit weltbesten Spieler haben – und Kiel wegnehmen. Außerdem wollte Serdarusic den Preis drücken. Drei Millionen Euro Ablöse für Karabatic lautete die Forderung der Schleswig-Holsteiner – die Löwen waren nach Rücksprache mit ihrem neuen Hauptsponsor Kasi-Group bereit, 1,25 Millionen für Monsieur Karabatic auszugeben. Ein langjähriger Szenekenner kennt die Eigenheiten von Serdarusic aus dem Effeff. Wenn Noka in seinem Stolz und in seiner Ehre verletzt werde, dann kämpfe er wie ein angeschossenes Raubtier. Schiedsrichter-Bestechung sei im internationalen Handball an der Tagesordnung, Serdarusic habe es als Kavaliersdelikt eingestuft – und schlichtweg nicht für möglich gehalten, dass ihm persönliche Konsequenzen bei den „Mannheimern“ drohen, mit denen er zum Großangriff auf Serienmeister Kiel blasen wollte. Löwen-Gesellschafter Jesper Nielsen öffnete die Büchse der Pandora. Laut Daniel Hopp ist der sportbegeisterte Däne, erfolgreicher Geschäftsführer und mit vier Millionen Euro Hauptsponsor des populären Fußball-Klubs Bröndby Kopenhagen, „der neue starke Mann“.
Der Chef also, derjenige, der weiteren frischen Wind bei den Nordbadenern reinbringen soll. Nielsen ist der „Spiritus rector“ einer ungewöhnlichen Aktion. Nach einem Dreier-Treffen nach dem WM-Finale zwischen Kroatien und Frankreich in Zagreb mit Uwe Schwenker und Dr. Hubertus Grote, dem Geschäftsführer der Kieler Nachrichten und Gesellschafter des THW, soll Schwenker Bestechungen gegenüber Nielsen eingeräumt haben. Der THW Kiel bestreitet alle Vorwürfe in einer Presseerklärung.
Nielsens Empfehlung bei einer Telefonkonferenz der fünf Gesellschafter (Nielsen, Hopp, Jürgen B. Harder, Gregor Greinert, Achim Niederberger) sei es gewesen, „die Dinge sauber zu halten“ und Abstand von einer Serdarusic-Verpflichtung zu nehmen. Jesper Nielsen, dank unglücklicher Medienauftritte zuletzt in der Kritik, sei ein ehrlicher und geradliniger Mensch, sagt ein weiterer Anonymus, er habe die Initialzündung für die Aufarbeitung des Skandals gegeben.
Der Brief von Dieter Matheis in seiner Funktion als HBL-Aufsichtsratsmitglied an Uwe Schwenker macht Sinn. Matheis wollte Aufklärung, „nach vielen Beratungen“ mit einer Anwaltssozietät, so Matheis zur RNZ. Der 65-jährige „Ehrenmann“ und frühere SAP-Finanzvorstand hakte vertrauensvoll nach – ein übliches Geschäftsgebaren. Dass es undichte Stellen in der Handball-Bundesliga (HBL) gab, wirft ein schales Licht auf die Hauptprotagonisten. Präsident Reiner Witte sagte: „Wir werden keine weiteren Schritte einleiten.“ Witte ist ein alter Kumpel und Ex-Mannschaftskamerad von Uwe Schwenker beim TV Grambke-Bremen. Wollte der HBL-Präsident seinen Vize-Präsidenten decken?
(c) Joachim Klaehn (Rhein-Neckar-Zeitung) - vom 09. März 2009