Ex-Handballer Markus Baur
"Ich muss mir sportlich nichts vorwerfen"
Früherer Nationalspieler Baur: "Über kurz oder lang werde ich wieder im Handball arbeiten"
Nach seiner Freistellung als Trainer beim TBV Lemgo hat sich Markus Baur erstmal eine berufliche Auszeit verordnet. Mit dem "Handball-Magazin" spricht er über die neue Mitte der Nationalmannschaft und erklärt, warum sich Michael Kraus bisher nicht gemeldet hat.
Frage: Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?
Baur: Ich bin wieder in meiner alten Heimat am Bodensee. Wir bauen dort ein Haus, darum kann ich mich ebenso kümmern wie um meine Familie. Ich kann die Zeit mit meinen Kindern mehr genießen.
Frage: Können und dürfen Sie denn erklären, was sich beim TBV Lemgo im August und September ereignet hat?
Baur: Dazu möchte ich mich bis auf Weiteres nicht äußern.
Frage: Warum?
Baur: Es wäre nicht von Vorteil.
Frage: Lemgo war für Sie eine prägende Zeit: Zwei Ihrer drei Kinder sind dort geboren, als Spieler waren Sie mit dem TBV erfolgreich.
Baur: Nach meiner Zeit als Spieler in Lemgo waren wir schon am Bodensee und wollten dort unser Nest finden. Den ganzen Aufwand, noch einmal nach Ostwestfalen zu ziehen, haben wir nur auf uns genommen, weil es eben Lemgo war. Für unsere Kinder ist das die Heimat. Wir hatten alles in der Familie durchgesprochen und die Sache bewusst entschieden: dreieinhalb Jahre Lemgo mit einer guten Mannschaft, eine Riesenchance in einem bekannten, familiären und vertrauenserweckenden Umfeld und Leuten, mit denen man schon durch dick und dünn gegangen ist. Daniel Stephan, Volker Zerbe und Markus Baur - so eine Konstellation wird es in Deutschland nie mehr geben.
Frage: Im Gedächtnis wird die Öffentlichkeit behalten, dass Sie in Ihrem ersten Traineramt gescheitert sind. Hat das Ende in Lemgo Ihren Namen beschädigt?
Baur: Ach, ich stehe morgens auf und kann in den Spiegel schauen. Ich weiß, dass so etwas in diesem Job passieren kann. Ich weiß, was ich geleistet habe. Und ich weiß inzwischen auch, dass ich mir sportlich nichts vorwerfen muss. Worüber ich mir als junger Trainer Gedanken mache und woraus ich unheimlich viel lerne, ist die Art und Weise, wie alles abgelaufen ist.
Frage: Während des Supercups gehörten Sie zu den aufmerksamen Beobachtern der Nationalmannschaft. Welche Eindrücke haben Sie von der neuen Formation von Bundestrainer Heiner Brand gesammelt?
Baur: Die Mannschaft ist einen Schritt nach vorn gegangen. Sie hat noch nicht die Top-Form, aber die Jungs wissen, dass sie wieder gegen jeden Gegner gewinnen können. Dieses Wissen brauchen sie, um bei einer Europameisterschaft bestehen zu können. Wenn ihnen das gelingt, werden wir trotz der sehr starken Vorrundengruppe viel Spaß haben können.
Frage: Wie schlägt sich denn die neue Mitte?
Baur: Die ist doch nicht neu. Bei der WM in Kroatien haben wir mit Kraus und Strobel gespielt, jetzt den Supercup eben mit Kraus, Haaß und Salzer. Heiner Brand hat jetzt vier Mittelleute, die alle ihre speziellen Stärken haben. Wir sind da sehr gut besetzt.
Frage: Im Detail?
Baur: Haaß spielt in Göppingen eine sehr gute Saison und besitzt als Einziger die Qualitäten, auch im Mittelblock zu decken. Er ist ein sehr kompakter und sehr komplexer Spieler. Ich bin gespannt, wie er sich schlägt, wenn er auch international mehr Verantwortung trägt.
Frage: Und was ist mit den anderen?
Baur: Alle drei können auf den Halbpositionen decken, Kraus vielleicht eher außen. Da gibt es nicht das Problem, wechseln zu müssen. Im Angriff hat Mimi alles drauf und ist individuell der Stärkste. Auch Haaß kann im Eins-gegen-Eins mit Power, Körper und Schlagwürfen viel bewegen. Strobel und Salzer bringen eher Bewegung für die Nebenleute. Man muss einfach sehen, wer am besten zu den Halbspielern passt. Im Rückraum gibt es jedenfalls wieder Gruppierungen, die im Verein zusammenspielen. Das ist sehr gut, und da hat jeder der vier Mittelmänner seine Vorzüge.
Frage: Strobel war in Lemgo Ihr Spieler und hatte sich den TBV gezielt ausgesucht, um von Ihnen zu lernen. Steckt Ihr Lehrling in einer Krise?
Baur: Es ist sicher nicht leicht für einen jungen Spieler, wenn seine ersten Ansprechpartner nicht mehr da sind. Er hat nach wie vor seine Qualitäten und ist ein richtig guter Handballer, muss aber vom Kopf her wieder frei werden. Er wird uns sicher noch viel Freude machen.
Frage: Die Nationalmannschaft hat zuletzt stark aufgespielt, doch vermisst wird nach wie vor ein absoluter Führungsspieler, wie Sie es waren.
Baur: Und? Das ist doch eine Entwicklung, die eine Mannschaft machen muss. Als Heiner Brand 1997 Bundestrainer wurde, gab es auch keinen richtigen Führungsspieler. Bis sich das herauskristallisierte, hatte es auch ein paar Jahre gedauert. Auf einmal gab es dann fünf, sechs. Der absolute Typ, der vorneweg geht und das auch möchte - diese Aufgabe wird jetzt einfach auf viele Schultern verteilt. Das ist vollkommen in Ordnung und bringt die Mannschaft weiter.
Frage: Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Kapitän. Wie schlägt sich Michael Kraus in dieser Rolle?
Baur: Keine Ahnung, aber wenn Heiner Brand diese Position mit ihm besetzt hat, wird das schon in Ordnung sein.
Frage: Kann Kraus eine Mannschaft leiten, oder braucht er selbst noch Hilfe?
Baur: Letzteres, was aber nicht heißt, dass er nicht auch das Erste kann. Dazu benötigt er aber noch Zeit und Menschen, die ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ihm tut es gut, wenn er Hilfe bekommt - und das weiß der Bundestrainer auch und gibt ihm diese.
Frage: Kraus hat gesagt, er habe sich nach Ihrer Freistellung bei Ihnen gemeldet oder wolle dies tun.
Baur: Das hat er bislang noch nicht getan. Aber das gehört meiner Meinung nach zu einem Führungsspieler: Wenn etwas passiert ist, geht man auf Leute zu und spricht mit diesen. Er meint das nicht böse - ihm ist es nur sehr unangenehm.
Frage: Vielleicht findet sich im Januar die Gelegenheit zum Gespräch. Werden Sie bei der EURO auch selbst vor Ort sein?
Baur: Mit Sicherheit. Das ist vom Bodensee ja nicht mehr so weit.
Frage: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Baur: Über kurz oder lang werde ich wieder im Handball arbeiten wollen - das war und ist mein Leben.
Das Interview führte Tim Oliver Kalle
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