Der Feind im eigenen Land
Von Erik Eggers
Gift, Schlägereien und Polizeieinsätze: Derbys zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt sind an sich schon hoch explosiv. Vor dem Champions-League-Finale am Wochenende heizen zusätzlich Wechselgerüchte die Stimmung zwischen den beiden deutschen Vorzeigeclubs an.
Eine kleine Ewigkeit ist Jan Holpert nun schon Handballprofi. Bereits 1986 stand er im Tor des Münchner Clubs TSV Milbertshofen, in einem Team mit Erhard Wunderlich, dem berühmten Weltmeister von 1978. Im Jahr 1993 schließlich wechselte er zurück in seine Heimat, hütet seitdem das Tor der SG Flensburg-Handewitt und ist dort zu einem Idol geworden. Im Sommer hört der 38-Jährige nun auf - nach 228 Einsätzen in der Nationalmannschaft und über 600 Spielen in der Bundesliga. Das Ende dieser langen Karriere erlebt er "wie einen Traum". Einen besseren Abschluss als diesen hätte man nicht malen können aus seiner Perspektive, freut er sich, "noch einmal ein solches Finale, und dann in dieser Konstellation".
Die Rede ist von den beiden Endspielen um die Handball-Champions League, dem wichtigsten Clubwettbewerb der Welt. Am Sonntag (17.30 Uhr, live bei Eurosport) erwartet die SG den Lokalrivalen THW Kiel in der heimischen Campushalle, eine Woche später reisen die Flensburger in die 80 Kilometer entfernte Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins. "Diese Konstellation", sagt Holpert und meint, dass die Handballwelt kein hitzigeres, spannenderes und kampfbetonteres Derby kennt. "Manche sagen, das ist wie Schalke gegen Dortmund im Fußball", erklärt Holpert. Eine wahre "Schlacht" stehe bevor, prognostiziert der Boulevard. Tatsächlich wird das Klischee des Schleswig-Holsteiners als ruhigem, introvertierten und drögen Zeitgenossen in diesen Handballspielen zerstört. Nicht wenige Kieler und Flensburger Fans nämlich wirken in den 60 Minuten, als hätten sie vor dem Anpfiff mehrere Liter Bullenblut getrunken, so aggressiv ist die Stimmung auf den Rängen.
Natürlich überträgt sich diese Rivalität auch auf Trainer und Funktionäre. Als Kiel die Flensburger am vergangenen Samstag im Pokalhalbfinale mit 34:33 niederrang, ging das Scharmützel hinterher auf rhetorischer Ebene weiter, da Flensburgs Manager Thorsten Storm einen Protest wegen eines vermeintlichen "Phantom-Tors" eingelegt hatte. "Lächerlich", schnaubte THW-Manager Uwe Schwenker. Selbst der ansonsten bedächtige schwedische SG-Coach Kent-Harry Andersson schnitt seinem verblüfften Kollegen Noka Serdarusic gar in der Pressekonferenz das Wort ab. Noch nie, sagte Schwenker später, sei "so viel Gift" zwischen den beiden Parteien gewesen, "und das ist, fürchte ich, erst der Anfang, weil es jetzt um alles geht".
Die Rivalität zwischen den Clubs, die seit Mitte der 1990er Jahre den deutschen Handball beherrschen, speist sich aus vielen heißen Derbys und persönlichen Konflikten. So ist Kiels Erfolgstrainer Serdarusic vor den Duellen mit den Flensburgern besonders aufgeregt, da er dort 1993 "nicht gerade im Guten geschieden ist", wie SG-Geschäftsführer Frank Buchholz erzählt.
SG-Manager Storm lernte sein Handwerk bei Schwenker in Kiel und fabrizierte viel Wut bei seinem Lehrmeister, als er bei seinem 2002 erfolgten Wechsel nach Flensburg einige Sponsoren mitnahm. Seither liefern sich die beiden Manager vor den Duellen (teils kalkulierte) rhetorische Gefechte, die sich nicht selten aufs Spielfeld übertragen. Zuletzt kam es im Pokalhalbfinale nach heftigen Fouls einige Male zu Rudelbildungen zwischen den Profis; besonders der norwegische Kreisläufer Johnny Jensen, ein gelernter Zimmermann, heizte die Stimmung mit gezielten Provokationen in der Vergangenheit immer wieder an. Unvergessen die Prügelei auf dem Spielfeld, die allerdings THW-Kapitän Stefan Lövgren vor zwei Jahren auslöste, als er Jensen, der in das freie Tor werfen wollte, am Mittelkreis umriss - erst die Polizei konnte die Hitzköpfe wieder trennen. Auch 1998, als sich die beiden Clubs im Finale des EHF-Pokals gegenüber standen (und Kiel knapp gewann), war es unter den Spieler nach dem Schlusspfiff zu einer Schlägerei gekommen.
Dänischer Kreisläufer auf dem Sprung
Spielerwechsel zwischen den Vereinen werden genauso verbittert kommentiert wie im Fußball, wie das Beispiel des dänischen Internationalen Lars Krogh Jeppesen zeigte. "Er war ein Held in Flensburg, als wir 2004 das Double gewannen", sagt Buchholz, "damals hat er gesagt: Ich gehe nie nach Kiel". Als Jeppesen über den Umweg Barcelona 2006 an die Kieler Förde wechselte, verziehen ihm das die Flensburger Fans nicht. Einige Anhänger aus der "Ultra"-Szene beschimpften ihn als "Judas". Jedenfalls wird das sich verdichtende Gerücht, der starke dänische SG-Kreisläufer Michael Knudsen werde nun in Kiel unterschreiben, die Emotionen der SG-Fans vor dem Finale noch höher kochen lassen.
Was dieses Derby noch heikler macht: Kiel kämpft in den Finals auch um die Verarbeitung eines Alptraums. Als der THW vor sieben Jahren in Barcelona unglücklich das Champions-League-Finale verlor, schworen sich die Clubverantwortlichen des Rekordmeisters, alles zu unternehmen, um endlich Europas Thron zu besteigen. Im siebten Anlauf hat der THW nun endlich wieder das Endspiel erreicht - und muss ausgerechnet gegen den Erzrivalen aus Flensburg ran, der sein einziges Champions-League-Finale 2004 gegen den slowenischen Meister Celje verlor. Freilich gelten die Flensburger, da mit THW-Kapitän Lövgren der zentrale Angriffspieler wegen einer Adduktorenverletzung ausfällt und Kiel mit Nikola Karabatic nur noch einen gelernten Rechtshänder im Rückraum zur Verfügung hat, nun laut THW-Manager Schwenker als "90:10-Favorit". Für ihn wäre es "das Schlimmste", würde die SG nach dem Rückspiel mit dem Pokal nach Flensburg fahren. Und für die Flensburger Fangemeinde, die von den Kielern seit Jahren als "ewiger Zweiter" verhöhnt wird, eine Quelle der Genugtuung, die über Jahre nicht versiegen würde.