Wallau vor der Rückkehr in die Bundesliga?
Im Sommer 2005 endete das Kapitel erste Bundesliga für die SG Wallau-Massenheim. Mit dem Lizenzentzug endete eine bewegte Zeit in der ersten Liga für die Handballer aus dem so genannten ‚Ländche’. Der zweifache Meister und Pokalsieger sowie IHF-Pokal-Sieger hatte sich finanziell übernommen, hinzu kamen massive Managementfehler, die bis hin zum Vorwurf des Betrugs reichten. Der einstmals ruhmreiche Vorzeigeverein aus der Handballhochburg zwischen Wiesbaden und Frankfurt war ein Fall für den Insolvenzrichter geworden. Nach dem Ende des Profihandballs wurde die zweite Mannschaft der SG in der Regionalliga zum neuen Aushängeschild. Daneben sorgte die Deutsche Meisterschaft der A-Jugend für positive Schlagzeilen. Mittlerweile steht die neue "Erste" der SG als Tabellenführer vor dem Aufstieg in die zweite Liga.
Für die SG Wallau-Massenheim stehen die Wochen der Wahrheit ins Haus. Der Tabellenführer der Regionalliga Südwest muss im Januar in den Spielen gegen den Tabellenvierten Mülheim/Kärlich/Bassenheim sowie auswärts beim Fünften TV Offenbach und dem ärgsten Verfolger TV Kirchzell die vorentscheidenden Duelle auf dem Weg zur möglichen Meisterschaft bestreiten. Der Auftakt ins neue Jahr ist mit dem Erfolg gegen Mülheim/Kärlich/Bassenheim (37:30) geglückt. Ende Januar dürfte dann etwas mehr Klarheit herrschen, ob ein Jahr nach dem Lizenzentzug der Bundesligamannschaft zumindest wieder Zweitligahandball im Ländche zu sehen sein wird.
Die Mannschaft von Jörg Schulze führt derzeit ohne Verlustpunkt die Tabelle der Regionalliga Südwest an. Für den Trainer durchaus etwas überraschend: "Wir hatten natürlich einen sensationellen Start in die Runde. Davon haben wir vielleicht vorher geträumt, dass wir an Weihnachten zu Null in die Pause gehen." Die letzte Begegnung im alten Jahr konnte die SG bei Angstgegner TV Nieder-Olm mit 26:23 gewinnen und damit die Punkte 23 und 24 einfahren. Der Jahresabschluss war für Schulze allerdings nicht rundum befriedigend. "Gerade das letzte Spiel gegen Nieder-Olm hat gezeigt, woran wir noch arbeiten müssen. Wir haben gegen Nieder-Olm 42 Minuten lang sehr gut gespielt. Dann hat die Mannschaft zu lange gebraucht, um ihr Spiel zu variieren. Aber gerade diese Schwächephasen sind wichtig für die Entwicklung der Mannschaft. Wir werden jetzt nicht abheben sondern weiter an unseren Schwächen arbeiten."
Der Trainer lässt sich vom Tabellenstand nicht blenden: "Noch ist nichts entschieden. Ich bin sicher der erste, der warnt und klar sagt, dass wir noch einiges schaffen müssen. Wir spielen die ersten Fünf der Tabelle alle noch auswärts. Natürlich können wir auch ein Heimspiel verlieren, aber ich denke, auswärts und in den Spielen gegen Kirchzell wird die Meisterschaft entschieden werden." Gerade der Rivale aus dem Spessart nötigt Schulze großen Respekt ab: "Kirchzell liefert trotz aller personellen Rückschläge eine starke Saison ab. Ich sehe da einen Zweikampf bis zum Ende mit Kirchzell auf uns zukommen." Trotz des am Schluss etwas holprigen Spiels in Nieder-Olm – die SG hatte einen Lauf und so kann Coach Schulze der Weihnachtspause auch nur wenig Gutes abgewinnen. "Die Pause kommt mir sehr ungelegen, ich hätte gerne weitergespielt. Jetzt müssen wir sehen wie wir wieder in die Runde kommen. Mülheim/Kärlich/Bassenheim im ersten Spiel ist schon eine starke Mannschaft – und dann gilt es in Kirchzell."
Die derzeitige Situation im Umfeld
Am 30.Juni 2005 ging das Kapitel Bundesliga-Handball für die SG Wallau – Massenheim mit einem großen Knall zu Ende. Bei der Verhandlung vor dem Ständigen Schiedsgericht der HBL musste die SGWM einräumen, einen Eigeninsolvenzantrag gestellt zu haben – was zwangsläufig den Lizenzentzug und damit verbunden den Zwangsabstieg bedeutete. Mit dem Ende des Erstligahandballs kam auch eine deutliche Verkleinerung der Strukturen im Verein. Die Geschäftsstelle ist heute fünf Stunden in der Woche besetzt, neben einem Frührentner sind dort zwei ehrenamtliche Kräfte am Werk. Vollprofis gibt es nicht mehr - weder im sportlichen noch im organisatorischen Bereich.
Nach dem Lizenztheater gab es auch personell einen radikalen Schnitt. Von den ehemaligen Mitarbeitern – seien es haupt- oder ehrenamtliche – ist kaum noch einer an Bord. Verantwortlich für das Regioteam ist weiterhin Bernd Wagenführ, der sich über zuwenig Arbeit nicht beklagen kann: "Zur Zeit kümmere ich mich hauptsächlich um die Sponsorenakquise sowie die Vertragsgespräche und bin hier auch ganz erfolgreich gewesen. Allerdings wird die Belastung für mich sehr groß". Mit Bernd Scherer, der bereits lange Zeit für die SG tätig war und in den letzten Jahren pausierte, hat Wagenführ in letzter Zeit einen Mitstreiter, der sich vorrangig um die Finanzen kümmern wird, neu an die Seite bekommen.
Der Etat der Regionalliga-Mannschaft beträgt in dieser Saison 150.000 Euro, der Gesamtverein verfügt über einen Etat von 250.000 Euro. Aus den Bundesligazeiten sind lediglich Meinhard und Don Simon als Sponsoren übrig geblieben. Neben Meinhard sind die Süwag sowie Müpro Hauptsponsoren der SG, die sich ansonsten auf eine Vielzahl kleinerer Sponsoren stützt. Gerade in diesem Bereich greift das Management auch wieder auf die Unterstützung vom alten "Macher" Bodo Ströhmann zurück. "Bodo Ströhmann hat mir bereits sehr geholfen", sagt Bernd Wagenführ: "Er bringt seine Kontakte bei der Sponsorensuche ein." Allerdings wird Ströhmann keine Position mehr übernehmen, sondern im Hintergrund bleiben.
Die Querelen in der Bundesligaabteilung hat die Amateurabteilung relativ unbeschadet überstanden. "Die Altlasten der alten GmbH berühren uns nicht", so Wagenführ. Amateure und Profis waren zu Bundesligazeiten weitgehend autonom voneinander, wie Schulze anmerkt: "Unsere Arbeit hat sich dem Lizenzentzug nicht groß geändert. Damals sind viele Gräben aufgerissen worden. Es gab sehr viel Unruhe im Verein. Die Jungs haben es damals sehr gut geschafft, sich auf ihr Spiel und ihr Team zu konzentrieren. Wir sind jetzt halt nicht mehr die Zweite Mannschaft einer Bundesligavereins, sondern die Erste eines Regionalligavereins."
Zurzeit stellt die SG neben dem Regioteam eine Oberligamannschaft sowie ein Team in der Bezirksoberliga Wiesbaden. Dabei belegt das Oberligateam den Abstiegsplatz der Regionalligamannschaft – denn diese nimmt ja nun den Platz der Bundesligamannschaft ein. In den letzten Jahren hat die SG verstärke Anstrengungen in der Jugendabteilung unternommen. Größter Erfolg war bislang die Deutsche Meisterschaft der A-Jugend 2005. Unter Trainer Thomas Scherer, der von Gilles Lorenz und Mike Fuhrig unterstützt wurde, konnte die Mannschaft im Endspiel gegen den TV Kornwestheim triumphieren. Für Jörg Schulze ein "schöner Moment" – der dem Trainer allerdings auch nicht den Blick verstellt auf die Hintergründe des Erfolgs: "Das A-Jugendteam, welches in der vergangenen Saison Deutscher Meister wurde, ist ja nicht in Wallau/Massenheim gewachsen. Das ist erst in der B-Jugend so zusammengekommen. Deshalb gab es auch andere, die ihren Beitrag zum späteren Erfolg der Mannschat beigetragen haben und die man nicht vergessen sollte." Mihailo Djurdcevic spielt mittlerweile in der zweiten Liga beim TV Gelnhausen. Yves Gramlich, Christopher Prinz, Sebastian Hahn, Sebastian Eisenhauer und Michael Allendorf stehen im Regio-Kader der SG. Gleichwohl hält es Schulze für unrealistisch, mit eigenen Jugendlichen "die erste Mannschaft dauerhaft nach oben zu bringen". Gleichwohl ist der aktuelle Kader seiner Mannschaft mit einigen altgedienten Wallau-Massenheimern besetzt – angeführt von Jens Ehrmann, der seit den Minis bei der SG spielt, sind fast die Hälfe der Spieler bereits in der Jugend für die Spielgemeinschaft am Ball gewesen.
Gelingt der SG die Rückkehr?
Bei der SG wird mit Hochdruck an den Hausaufgaben im Hinblick auf die kommende Saison gearbeitet. Bernd Wagenführ konnte mittlerweile bei fast allen Spielern eine Vertragsverlängerung vermelden. Ausnahme ist nur Markus Rossmeier, dessen Vertrag nur bei einem Aufstieg in die Zweite Liga gilt. Ebenfalls fraglich ist der Verbleib von Michael Allendorf. Der 19-jährige Linksaußen wird mit dem TBV Lemgo in Verbindung gebracht und weilte auch schon dort zum Probetraining. Das die Vertragsgespräche recht schnell und ohne größere Komplikationen gelaufen sind, war für die Verantwortlichen keine große Überraschung. Im Ländche herrscht endlich wieder Harmonie – "Die Zusammenarbeit zwischen Spielern, Trainern und Management passt sehr gut", betonen Jörg Schulze und Bernd Wagenführ unisono.
Am Trainingsaufwand der Regio-Mannschaft hat sich nichts geändert: "Wir arbeiten weiter in der Grauzone zwischen Profi und Amateur, mit drei Trainingseinheiten in der Woche", so Schulze: "Bei uns gibt es weder Halb- noch Vollprofis." Anders als beim Leidensgenossen TuSEM Essen, wo nach dem Zwangsabstieg in der Regionalliga ein mindestens zweitligataugliches Team mit einigen ehemaligen Bundesligaprofis antritt, hat sich die Zusammensetzung des SGWM – Regioteams kaum geändert. Mit Torwart Matthias Beer kam von TuSPO Obernburg ein Ehemaliger zurück, aus dem Bundesligakader stieß einzig Sebastian Linder zum Team. Beide spielen für den Trainer eine große Rolle. Gerade Linder sei ein wichtiger Faktor für seine Mannschaft: "Auch wenn Sebastian Linder nicht gerade ein gestandener Bundsligaspieler ist, wenn man sich seine Einsatzzeiten ansieht, so ist er doch für die Mannschaft enorm wichtig. Er ist sozusagen Katalysator für die anderen und trägt dazu bei, dass sich andere im Team weiterentwickeln", so Schulze.
Sollte es Wallau/Massenheim gelingen, in die zweite Liga aufzusteigen, so sind im Ländche keine Hasadeursstücke zu erwarten, wie der Trainer betont: "Wir werden keine Stars verpflichten, solange dafür kein Geld da ist. Da bin ich mit Bernd Wagenführ auf einer Linie." Schulze hat Vertrauen in seine Spieler: "Ich denke, dass die Mannschaft in der heutigen Form durchaus zweitligareif ist. Mit unserem Kader wäre das untere Mittelfeld möglich." Viel wichtiger ist ihm, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen: "Wir können nicht immer einerseits so viel Wert auf das Kollektiv und den Zusammenhalt legen und dann irgendwelche Spieler verpflichten. Wir müssen ganz genau schauen, ob ein Neuer zur Mannschaft passt."
Die Sünden der Vergangenheit könnten die SG allerdings bei einem sportlichen Aufstieg einholen. Die alte Sportbetriebs-GmbH der SG Wallau-Massenheim ist in der Insolvenz. Den Statuten der HBL entsprechend, waren die beiden Trägervereine der SG – der TV Massenheim und der TV Wallau – Gesellschafter dieser GmbH. In einer neuen GmbH dürfen aber Gesellschafter, die in das Insolvenzverfahren gegen die alte GmbH involviert sind, nicht Gesellschafter sein. Damit dürften die beiden Trägervereine nicht in der neu zu gründenden Sportbetriebs-GmbH Gesellschafter sein – was aber laut Statut der HBL nötig ist. Zurzeit lässt die SG diese offensichtliche Schwachstelle in den Lizenzierungsrichtlinien bei der HBL überprüfen. Sollte es tatsächlich nicht zur Lizenzerteilung kommen, so bliebe der SG laut Wagenführ nur ein Ausweg: "In diesem Falle müssten wir einen neuen Verein gründen."
Auf Nachfrage stellte hw.com Rechtsexperte Helge-Olaf Kölding fest, dass eine derartige Auslegung dieses Regelung zumindest zweifelhaft sei, da ihre Intention offensichtlich auf Personen gemünzt sei, die im Verlaufe eines Insolvenzverfahrens ins Visier der Steuerfahndung gekommen sind und versuchen, von einer alten zu einer neuen GmbH "umzusteigen". Hinzu kommt die Tatsache, dass nach Kenntnisstand der HW-Redaktion ein Verein erst dann in eine Spielvereinigung in der Bundesliga eintreten kann, wenn er im Vorjahr bereits mit mindestens einer Mannschaft am Spielbetrieb teilgenommen hat. Sollte Wallau der sportliche Aufstieg gelingen, so scheint auch in dieser Saison die Frage nach dem Ligaverbleib unter Umständen erst wieder von juristischer Seite entschieden werden zu können.