Bewusst in einem separaten Posting, als Mod ist es ja nicht einfach sich inhaltlich zu beteiligen, zwischen den Rollen zu differenzieren und zu erwarten, dass diese Differenzierung anerkannt wird. Es gab schon einige Postings, da hat es in den Fingern gekribbelt, aber da beherrsche ich mich mal.
Es wurden ja immer wieder die Maßnahmen diskutiert und manchem User fehlte die Logik bei den Maßnahmen. Insbesondere weil es Einschränkungen gibt, die nicht darauf zurückzuführen sind, dass diese Maßnahmen direkt damit zusammenhängen, dass dort in der Vergangenheit Infektionen ausgelöst wurden. Mal ein logischer Denkansatz dazu...
Gedanke 1: Welche Faktoren beeinflussen das Risiko einer Infektion?
(inspiriert durch 301 Moved Permanently)
Faktor 1: wie ist die allgemeine Infektionslage in meinem Umfeld? Relevanteste Größen sind hier vermutlich die aktuelle Anzahl der Infizierten in meinem regionalen Umfeld und der Inzidenzwert.
Faktor 2: welche Maßnahmen ergreife ich um das Infektionsrisiko zu reduzieren? Maske, Abstand, Aufenthalt im Freien, etc. reduziert das Risiko
Faktor 3: Wie viele Kontakte habe ich?
Jeder persönlich kann vor allem die Faktoren 2 und 3 aktiv beeinflussen. Aktuell komme ich persönlich für die letzten 25 Tage auf keine 50 Kontakte, darunter nur zwei Kontakte ohne Abstand und ohne Maske, der Rest je hälftig mit mehr als 2 Meter Abstand und/oder beiderseitigem Mundnasenschutz. Wenn ich jetzt im verlinkten Artikel lese, dass im Frühjahr bei jeder/m Infizierten 5-6 Kontakte nachverfolgt werden mussten und im Oktober 80-90, dann sagt das meiner Meinung nach viel aus.
Mit Blick auf die aktuellen Maßnahmen kann ich klar erkennen, dass es die Politik neben dem Faktor 2 (die Maßnahmen galten schon vorher) das Augenmerk auf den Faktor 3 gelegt hat. Die Kontakte müssen (drastisch) reduziert werden um die Dynamik auszubremsen.
Gedanke 2: wo entstehen die Infektionen?
Hier sind aus meiner Sicht zwei Zahlen relevant.
- Aktuell können 50 - 75% der Infektionen nicht mehr nachvollzogen werden.
- Ein Großteil der Infektionen erfolgt im privaten Umfeld, hier habe ich eine Statistik gesehen, als noch 50% nachvollzogen werden konnten, 30% privat - 20% also nicht-privat und 50% unbekannt.
Wir haben also, wenn wir bei 1) von 50% ausgehen, eine Dunkelziffer von weiteren 50%. Und jetzt habe ich die These, dass diese Dunkelziffer überwiegend NICHT im privaten Bereich zu suchen ist. Die Gesundheitsämter kommen nicht mehr nach bei der Nachverfolgung, die Kontaktzahlen sind in der Regel (siehe Gedanke 1) sehr hoch - da ist es aus meiner Sicht logisch, dass sehr viel im privaten Umfeld zugeordnet wird, weil das ist am einfachsten nachvollziehbar.
Konstruiertes Beispiel, aber aus meiner Sicht nicht so abwegig. Bei einer neuen Infektionskette ist der Erstkontakt nicht reproduzierbar, aber es ist eigentlich logisch, dass Folgeinfektionen immer auch im privaten Bereich stattfinden. Wenn jetzt also der erste Folgekontakt untersucht wird und nach den Kontakten der letzten Woche gefragt wird. Es kommt die Antwort "ich bin 10x U-Bahn gefahren, war 3x im Supermarkt, saß allein im Büro und hatte im Flur und sonst überall meine Maske auf, einmal war ich noch mit Abstand in der Handballhalle. Ach ja, übrigens, meine Frau wurde vorgestern positiv getestet." Wo macht da das Gesundheitsamt das Kreuz? Nahverkehr, Supermarkt, Arbeit, Handballhalle oder privat?
Aus dieser Logik heraus fallen Veranstaltungen (vergleiche Superspreader bei Freikirchen) nur dann auf, wenn sie zu einem Maßenauslöser werden, so wie Tönnes-Fleischfabrik. Wenn es vereinzelte Ansteckungen in der U-Bahn gab, wer soll das wie nachvollziehen?
Und daher vertrete ich die These, dass bei 50% nicht-nachvollziehbaren Infektionen eher der kleinere Teil im privaten Bereich versteckt ist und der größere Teil sich verteilt
Gedanke 3: Bezug zu den Maßnahmen
Wie oben schon geschrieben, die aktuell für den November verhängten Maßnahmen zielen aus meiner Sicht darauf ab die Kontakte zu reduzieren. Man könnte die Kontakte noch deutlicher reduzieren mit noch härteren Maßnahmen, vergleiche März/April oder härteren Maßnahmen wie in anderen Ländern mit Ausgangssperren, etc.
Es gab im Nachgang des letzten "Lockdown" im Frühjahr einerseits die Kritik an den wirtschaftlichen Folgen und andererseits die Kritik an der Überforderung vieler Betroffener durch das Homeschooling. Hier erkenne ich eine Differenzierung, denn soweit möglich soll die Wirtschaft, das Arbeitsleben aufrecht erhalten werden und gleichzeitig die Kinderbetreuung gesichert werden.
Vor diesem Hintergrund sind auch manche Widersprüche nicht mehr ganz so widersprüchlich, ein paar Beispiele:
"Mein Kind ist morgens in der Schule mit anderen Kindern zusammen, nachmittags darf es mit anderen Kindern nicht auf den Spielplatz." -> Das sind eben nicht unbedingt die gleichen Kinder wie in der Schule, also noch mehr Kontakte, die es eigentlich zu reduzieren gilt. Beispielsweise kenne ich Schulen, die es sogar schaffen relativ strikt die Jahrgänge zu trennen. Ich habe mit einer Schule zu tun, da beginnen die verschiedenen Jahrgangsstufen versetzt, damit nicht alle gleichzeitig zur Schule kommen und nicht alle gleichzeitig Pausen haben. Das ist allerdings eine Privatschule, die das den Sommer über von langer Hand vorbereitet hat...
"Die Profisportler dürfen trainieren, die Amateursportler nicht." -> Bei den Profisportlern ist es der Beruf, auch hier gilt es das Wirtschaftsleben am Laufen zu halten. Eine Mannschaft trainiert untereinander, hat nochmals andere Möglichkeiten für ein Hygienekonzept als ein Amateurverein. Und im Amateurverein hat jeder Sportler gleichzeitig noch diverse Kontakte durch seinen Beruf, beim Profisportler entfällt das.
"Wenn ich Restaurants schließe und Veranstaltungen verbiete, dann findet ja noch mehr im Privatbereich statt." -> Aus meiner Sicht erst einmal falsch, den Privatbereich gibt es so oder so. Der Handballfan, der ein Handballspiel besucht, fährt danach nach Hause zu seiner Frau, ihrem Mann. Der Kontakt lässt sich auch nicht vermeiden, wenn Zuschauer erlaubt sind. Der Satz ist natürlich dann richtig, wenn ich statt dem Kneipenbesuch eine Privatparty veranstalte, also die Kontakte woanders hin verlagere.
Letztlich geht es wie gesagt darum die Kontaktzahlen zu reduzieren. Da das nicht über Freiwilligkeit funktioniert (hat), geht es leider nur durch Einschränkung der Möglichkeiten. Jetzt muss sich jeder selbst an die Nase fassen. Mache ich mir ernsthaft Gedanken um meine Kontaktzahlen? Oder spiele ich "beat the system", rechne aus, mit wie vielen Leuten ich theoretisch eine Party machen kann und freue mich den Staat zu verarschen.
Gedanke 4: Was kann der Staat bei den Maßnahmen anders machen?
Vorneweg, mir fällt viel ein, das vielleicht sogar fahrlässig versäumt wurde. Schulen weiter auf Digitalisierung vorbereiten, Gesundheitsämter und Kontaktnachverfolgung zu verbessern. Informationen an Infizierte zu automatisieren, etc. Mir geht es bei diesem Gedanken aber ganz konkret darum, welche Alternativen es zu den Maßnahmen gegeben hätte.
Selbst wenn unabhängig von Gedanke 2 der Privatbereich das größte Problem ist, wie will man dagegen vorgehen?
Denunzieren will keiner, Privatwohnung hat höchsten Schutz durch das Grundgesetz und den ABV wünscht sich auch keiner zurück.
Oder wäre die Alternative gewesen, dass es keine Maßnahmen gibt, aber jeder von uns nur "3 verschiedene Kontakte pro Tag" haben darf?
Jeder muss ein Smartphone mit App tragen und nach dem dritten Kontakt meldet die App "bis Mitternacht einschließen, keine weiteren Kontakte erlaubt". Nicht ganz so extrem, aber in die Richtung gehen technische Lösungen wie beispielsweise in Südkorea.
Um mal eines meiner Beispiele aufzugreifen oder eines aus der Diskussion:
Was haltet ihr von der Maßnahme; Kinder dürfen nur mit Klassenkameraden auf den Spielplatz. Wer kontrolliert das wie?
Oder wer entscheidet wie welche Kirche einen Gottesdienst abhalten darf und wer nicht?
Egal über welche Alternative ich zu den aktuellen Maßnahmen überlege, es geht nur über einen "Polizeistaat" mit entsprechenden Kontrollen. Und auch mit diesen Maßnahmen, wir bekommen die Corona-Entwicklung nur in Griff, wenn sich jeder (oder zumindest die überwiegende Mehrheit) ein wenig zurücknimmt. Wenn ich oben den Vergleich sehe, 5-6 Kontakte im Frühjahr, 80 Kontakte im Oktober - mit dem Virus leben (zumindest bis ein Impfstoff da ist) heißt einen Mittelweg zu finden. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben...