Schon etwas älter:
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Homestory: Jan FilipFamilienmensch mit besonderer Begabung
Es ist fast immer das gleiche Procedere für Jan Filip: Am Ende eines jeden Heimspiels der HSG im Euregium, wenn er verschwitzt auf dem Parkett steht und den Applaus des Publikums entgegen nimmt, kommt sein Sohn, Honzik mit Vornamen und gerade einmal viereinhalb Jahre alt, auf ihn zugelaufen, lässt sich von Papa in die Arme nehmen und hochheben und verlässt mit ihm zusammen das Spielfeld. Gerade so, als könne der Filius den Abpfiff des Spiels kaum erwarten, um dem Vater wieder ganz nahe zu sein. Keine Frage: der Tscheche in Diensten der HSG Nordhorn ist ein ausgeprägter Familienmensch. Was der wiederum auch gerne bestätigt. „Die Familie und der Handball“, sagt Honza, „das sind die wichtigsten Dinge in meinem Leben.“
Seine Familie, das ist neben Sohn Honzik auch die Ehefrau Hanka und der jüngste Spross der Familie, Töchterchen Anetka, gerade einmal zwei Jahre alt. Das ist aber auch der Hort, in dem Jan Filip sich geborgen fühlt und in dem er sich ganz dem Handball-Sport widmen kann. Und den beherrscht er schon seit Jahren so gut, dass er es zum tschechischen Nationalspieler, zum Bundesligaspieler und – beinahe – zum Torschützenkönig in der Liga gebracht hat. Platz drei in der Saison 2003/2004, Platz zwei mit 249 Treffern, davon 71 verwandelte Siebenmeter, in der vergangenen Saison mit einem Schnitt von 7,3 Toren: Lediglich Lars Christiansen von der SG Flensburg-Handewitt konnte es besser und erzielte noch zehn Treffer mehr.
Doch mit seinen schnellen Gegenstößen gehört der 32-jährige Rechtsaußen auf seiner Position längst zu den Besten des Welthandballs. Abzulesen an der Tatsache, dass der Tscheche seine Visitenkarte auch schon in der IHFWeltauswahl abgeben durfte. Das Fachblatt „Handball-Woche“ wies ihm in der diesjährigen Rangliste auf seiner Position Platz eins zu – bester Rechtsaußen der Liga. „Ich bin heute noch immer glücklich“, sagt Manager Bernd Rigterink rückblickend, „dass ich Jan Filip vor fünf Jahren verpflichtet habe.“
Das klingt nach einer Bilderbuchkarriere als Handball-Profi. Dabei hatte sein Vater eigentlich ganz andere Dinge mit ihm vor. Offensichtlich massiv unter den Eindrücken des Weltklasse-Tennisspielers und Landsmanns Ivan Lendl stehend, schickte Vater Filip seinen Sohn Jan im zarten Alter von zwölf Jahren zum Tennis-Training. Honza wollte nicht und legte aus diesem Grund keinen gesteigerten Ehrgeiz an den Tag. Da gab es andere Dinge, die den kleinen Jungen aus Prag mehr faszinierten. „Fußball, Eishockey und Handball“, so Honza, „das waren die Sportarten, zu denen ich mich hingezogen fühlte.“ Und weiter: „Ich wollte unbedingt Sport im Kollektiv betreiben.“
Ein ganz besonderer Umstand kam dem kleinen Jan damals zu Hilfe. Unmittelbar vor der Wohnung der Familie Filip lag der Trainingsplatz der Handballer von Dukla Prag, auf dem die Jugendabteilungen ihre Einheiten absolvierten. Und wie der Zufall es wollte, war er vom Fenster des elterlichen Hauses nur zur Hälfte einzusehen. Ergo ging Klein-Honza heimlich zum Training der Handballer, ohne Wissen des Vaters aber mit der Rückendeckung seiner Mutter. War Papa daheim, trainierte der Sohn auf der nicht einzusehenden Platzhälfte. Bis sein damaliger Trainer dahinter kam und in einem klärenden Gespräch das Einverständnis vom Vater eingeholt wurde.
Bis zu seinem 24. Lebensjahr blieb der findige Handball-Enthusiast bei seinem Heimatverein Dukla Prag, ehe die erste Auslandsstation ihn unmittelbar nach der Weltmeisterschaft in Japan 1997 in die zweite deutsche Liga nach Düsseldorf führte. Dort begegnete er zum ersten Mal einem Herrn namens Ola Lindgren, der zu jener Zeit bei den Rheinländern als Spielertrainer unter Vertrag stand. Eine schicksalhafte Begegnung, die drei Jahre später zu jenem Vereinswechsel führte, den der HSG-Manager Rigterink noch heute als Glücksfall bezeichnet. Im Jahr 2000 stand der damals 27-jährige im italienischen Conversano unter Vertrag, genoss dort zwar den italienischen Lebensstil, war aber handballerisch unterfordert. „Es war immer mein Ziel“, sagt Jan Filip, „in der Bundesliga zu spielen, um mich mit den Besten zu messen.“
Das macht er nun schon seit fünf Jahren mit großem Erfolg. Sein großes Ziel ist es, mit der Mannschaft ähnlich erfolgreich abzuschneiden, wie in der vergangenen Saison. Vieles, das weiß auch Jan Filip, wird dabei von der Fitness und von dem Umstand abhängen, von schwereren Verletzungen verschont zu bleiben. „Wir haben ein großes Potenzial“, sagt Filip, „und sind möglicherweise noch stärker als in der vergangenen Saison, weil wir eine eingespielte Mannschaft sind.“ Eine Platzierung zwischen Rang sechs und acht hält er für realistisch, setzt aber viel auf die Karte Europacup: „Im Cup der Pokalsieger haben wir große Chancen, weil wir sowohl den deutschen, als auch den spanischen Top-Teams aus dem Wege gehen können.“
Ein Titelgewinn mit der HSG wäre schon die Verwirklichung eines Traumes. Vor allem, weil er dem ebenso treuen wie enthusiastischen Publikum ein Erfolgserlebnis der besonderen Art gönnen würde. Bis heute hat Jan Filip nicht vergessen, wie die Fans im Euregium in der vergangenen Saison nach einem Spiel gegen den SC Magdeburg ihm und seinen Mitspielern applaudierten – obwohl die Mannschaft gerade mit zehn Toren Differenz verloren hatte. Selbst Gästetrainer Alfred Gislason zeigte sich tief beeindruckt und beglückwünschte die HSG zu ihren Fans. „Dieses wunderbare Erlebnis“, so Jan Filip, „werde ich nie vergessen.“
Arnulf Beckmann