Föderalismusreform und das deutsche Bildungswesen

  • Ich versuche hier ein durchaus kompliziertes und vielschichtiges Problem zur Diskussion zu stellen: Der Bund will sich offenbar im Rahmen der Föderalismus-Reform aus der Planung und Koordination des deutschen Bildungssystems zurückziehen (Bildung ist lt. Grundgesetz Ländersache). Was haltet ihr davon, was könnten mögliche Folgen sein?

    Ziel der Föderalismusreform ist, die bisher bestehenden großen Interdependenzen zwischen Länder- und Bundesgesetzgebungshoheit einzugrenzen (Stichwort Art. 74 GG: Konkurrierende Gesetzgebung), auch um den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Sicher zunächst kein negatives Ansinnen.

    Link: Förderalismus-Reform (Bertelsmannstiftung) (extern!)

    Meine Meinung ist, dass eine gemeinsame Linie natürlich immer nur der kleinste Nenner sein kann. Ich glaube aber nicht, dass es eine gute Idee ist, das Bildungssystem in Deutschland noch weiter auseinanderzureißen. Vielmehr sollte eine gemeinsame Linie aller Bundesländer im Sinne eines tatsächlich gleichwertigen Bildungsstandards gefahren werden (m.E. heute nicht der Fall), der natürlich möglichst hoch liegen muss, damit die kommenden Generationen im härter werdenden internationalen Wettbewerb bestehen können. Wenn alles auseinanderfiele, wären die Baden-Württemberger wohl mal wieder die ersten, die das Abitur aus NRW, Hamburg oder Berlin nicht anerkennen würden.

    MfG Felix0711

    "Deshalb unterstütze ich mit vollstem Enthusiasmus ein Projekt, das abendländischen Humanismus mit moderner Technik verbindet – den Bau eines unterirdischen Doms!"
    Harald Schmidt

    Einmal editiert, zuletzt von Felix0711 (10. Dezember 2004 um 16:26)

    • Offizieller Beitrag

    Das ist ein Thema, das nicht nur im Bildungsbereich derzeit hochkocht, sondern zB auch im Umweltsektor, wo die Gesetzgebungskompetenzen sehr zersplittert sind und daher die Regelungen auch zT sehr unterschiedlich.

    So sehr Föderalismus seine Vorteile hat und egschichtlich gewachsen in Deutschland auch seine Bedeutung hat und "Zentralismus" wie in Frankreich in Deutschland nicht durchsetzbar ist, hat das deutsche System gerade im Zusammenspiel mit der europäischen Ebene und den von derEU vorgegebenen Rechtsnormen erhebliche Schwierigkeiten.

    Ich persönlich wäre daher durchaus für eine stärkere Zentralisierung zu haben ... (was auch was damit zu tun hat, dass mE durch die vielen Bundesländer viel Geld verschleudert wird).

  • Vor allem das Bildungssystem noch weiter auseinanderzufahren (was ohnehin schon obskure Ausmaße angenommen hat, Stichworte wie Fächerwahl und Abiturregelungen, die - imho zu Recht - die Glaubwürdigkeit bzw. Wertigkeit eines Abiturs in versch. Ländern anzweifeln lässt) ist ein mächtiger Schritt in die falsche Richtung.

    Gerade ein viel zentraleres System würde dieses Gleichheit bringen und dürfte durch weniger Unterschiede auch zentral einfacher handhabbar seinm anstatt die Länder weiter ihre eigenen Süppchen kochen zu lassen und somit Mittel evtl. zu verschwenden.

    Das wurde schon so oft von so vielen beklagt, dass es beinahe traurig ist, dass der entgegengesetzte Schritt in Erwägung gezogen wird.

    Laying in bed, looking up at the stars, a single thought passed through my head.
    Where the fuck is my roof?

  • Mal noch ein anderer Aspekt: Wenn man die Bildung zur Bundessache erklären würde, könnte man zusätzlich durch eine Art "zentralen Einkauf" von Lehrmitteln (Schulbücher usw.) garantiert jede Menge Geld sparen und so verhindern, dass in Stuttgart, wie zu Beginn des laufenden Schuljahres passiert, wochenlang 10.000e Schulbücher fehlen, weil der Ausschreibungs-Gewinner aus Schleswig-Holstein Lieferschwierigkeiten hat.

    MfG Felix0711

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    Harald Schmidt

  • Bei der ganzen Sache sollte man aber immer bedenken, dass gleich nicht automatisch gleich gut heißt, es könnte ebenso einheitlich schlecht werden (und die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht gering). Einen Vorteil des Föderalismus sehe ich darin, dass unterschiedliche Ideen Platz finden. Und Ideen, die sich als tauglich erwiesen haben, sind durchaus auch von anderen Bundesländern übernommen worden.
    Deshalb ist es meiner Meinung nach der falsche Weg die Bildung zur Bundessache zu machen.

  • Also, dieses "Unser Abitur ist besser"-Gehabe der Länder Bayern und Baden-Württemberg ist so schwachsinnig, wie es schon gar nicht mehr geht. Ich habe noch keinen getroffen, wo ich sagen würde, dass er aufgrund seines Abiturs ein größeres Allgemeinwissen, als ich gehabt hätte, so dass ich sagen müsste. "Wow, ist der aber gebildet." Und ich hab nur ein dummes NRW-Abi. :)

    Ja, ich hätte Mathe nach der 12 abwählen können

    [Na und, andere machen da schon die Abiturprüfung und werden dann auch nicht mehr gemacht haben]

    Ja, ich habe kein Zentralabitur gemacht

    [NRW führt es aber ab 20006 ein]
    [Zentralabitur bildet einen landesweiten Standard heraus, der aber bei einigen Schülern zu einem reduzierten Lehrplan führen würde.]

    Wir sind übrigens auf dem Weg eine europäische Verfassung zu bekommen und wie das Bachelor-Master-System zeigt, wird man auf eine einheitliche europäische Linie gebracht werden. Das bedeutet für den Bund natürlich, dass er nur die Rahmenbedingungen weitergeben kann, die die EU vorgibt. Entweder müsste der Bund den Ländern die Entscheidungskompetenz im Bildungsangelegenheiten entziehen (was vielleicht gar nicht so schlecht wäre), oder sich aus dem Bildungssystem vollständig zurückziehen, da man eh nichts mehr zu entscheiden hat.

    Ich würde eher den ersten Weg begrüßen.

    Original von rro.ch
    Beliebte Sportarten aber auch Randsportarten wie Handball kommen beim Publikum an.

  • Mal kurz ein paar Anmerkungen von mir:

    Günstigere Kosten und sichere Lieferzeiten für Schulbücher:
    Höchst fraglich, denn die Buchauftrage müsen trotz der Buchpreisbindung ausgeschrieben werden. Da kann es durch Einspruche unterlegener Konkurrenten immer geschehen, dass Aufträge erst verspätet ausgeführt werden können. (So in meiner Gegend dieses Jahr passiert.)
    Und ein zentraler bundesweiter Einkauf wäre wahrscheinlich auch wettbewerbsrechtlichen Gründen höchst fragwürdig.

    Zentralabitur:
    Halte ich persönlich wenig von, es wird zwar mehr gelernt für die vorgegebenen Prüfungsziele, aber individuelle Bildung fällt dahinter zurück. Das heißt nicht, dass ich nicht finde alle sollten einen gleichen Standard beherrschen, ich finde aber etwas individuelle Schwerpunkte schaden nicht.

    Klar ist, dass etwas im Bereich Bildung passieren muss aber politische Schnellschuss helfe da nicht, man kann auch nicht erwarten, dass sich nach 2 Jahren bei PISA II alles ändert.

  • Wenn ich das so lese, muss ich sagen, dass Schulbuch - Argument ist wirklich nicht schlecht.

    Das Zentralabi - Thema wird ohnehin nie zur Ruhe kommen. Ich finds gut, jeder hat diesselben Aufgaben, jeder diesselben Chancen, Lehrereinmischung gibts net.

    Zitat

    Zentralabitur:
    Halte ich persönlich wenig von, es wird zwar mehr gelernt für die vorgegebenen Prüfungsziele, aber individuelle Bildung fällt dahinter zurück. Das heißt nicht, dass ich nicht finde alle sollten einen gleichen Standard beherrschen, ich finde aber etwas individuelle Schwerpunkte schaden nicht.


    Abitur = allgemeine Hochschulreife
    Der viel zu frühe Spezialisierungswahn treibt zu arge Blüten. Wer kann in der 10. Klasse schon seine Bildungsziele wirklich endgültig kennen. Aber das sieht halt jeder seiner derzeitigen bzw. damaligen Abi-Art ensprechend.

    @topic:
    Wie gesagt für mich ganz klar die falsche Richtung und hier sind auch schon einige gute Argumente zusammengekommen.

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  • Zitat

    Original von Nauru
    Günstigere Kosten und sichere Lieferzeiten für Schulbücher:
    Höchst fraglich, denn die Buchauftrage müsen trotz der Buchpreisbindung ausgeschrieben werden.

    Natürlich haben wir in D die Buchpreisbindung. Mein Argument zielte auch eher auf eine umfangreiche Einsparung von Transaktionskosten (Bestellvorgang, Bestellabwicklung usw.) ab. Selbstverständlich bestünde die Gefahr, dass unterlegene Bieter sich beschweren könnten, aber bislang besteht diese auch. Zumindest in BW und im "kleinen Stil". Zu späte und/oder unvollständige Lieferungen werden meiner Meinung nach bei Bestellungen in größeren Massen weniger wahrscheinlich, soweit die Lieferanten auf Leistungsfähigkeit geprüft werden.

    Wollte ich nur loswerden, auch wenns nicht unbedingt zum Thema passt ;)

    MfG Felix0711

    "Deshalb unterstütze ich mit vollstem Enthusiasmus ein Projekt, das abendländischen Humanismus mit moderner Technik verbindet – den Bau eines unterirdischen Doms!"
    Harald Schmidt

    Einmal editiert, zuletzt von Felix0711 (11. Dezember 2004 um 16:40)

  • [quote]Original von meteokoebes
    Also, dieses "Unser Abitur ist besser"-Gehabe der Länder Bayern und Baden-Württemberg ist so schwachsinnig, wie es schon gar nicht mehr geht. Ich habe noch keinen getroffen, wo ich sagen würde, dass er aufgrund seines Abiturs ein größeres Allgemeinwissen, als ich gehabt hätte, so dass ich sagen müsste. "Wow, ist der aber gebildet." Und ich hab nur ein dummes NRW-Abi. :)[quote]


    aber das ist doch einfach Fakt!

    2 Mal editiert, zuletzt von Betti (11. Dezember 2004 um 16:53)

  • Zitat

    Original von Betti


    aber das ist doch einfach Fakt!

    Ja das süddeutsche Abi ist einfach toll, genauso wie die Hochschulen und alles andere. Aber das ist mir so ziemlich egal, mir reicht mein NRW-"Billig-Abi". (P.S. In diesem Satz könnten sich Teile von Ironie befinden.)

    Das Problem, dass die deutschen Schulen zu undurchlässig sind und weshalb der schulische Erfolg in Deutschland von der sozialen Herkunft abhängt, haben aber wohl auch die süddeutschen Bundesländer mit fabriziert.

  • Zitat

    Original von Betti


    aber das ist doch einfach Fakt!

    Das sehe ich nicht so. Ich habe bis jetzt noch keinen BW-ler oder Bayern nach meinem Abi getroffen, der eine sonderlich bessere Allgemeinbildung aufweisen konnte. Vielleicht war ich auch an einer NRW-überdurchschnittlichen Schule, aber bis jetzt kann ich diese Erfahrung nicht teilen und BW'ler haben ja ihr ganzes Leben lang kein (Hoch-) Deutsch in der Schule gelernt ;)

    An der Kölner Uni kommen Leute aus allen Bundesländern zusammen. Die Erfahrung, dass irgendein Abitur einen höheren Standard geliefert hat, als mein NRW-Abi habe ich noch nicht machen können.

    Original von rro.ch
    Beliebte Sportarten aber auch Randsportarten wie Handball kommen beim Publikum an.