Ein dritter Schwede vom Spitzenklub Redbergslid IK nimmt Kurs auf Kiel. Nach Magnus Wislander und Stefan Lövgren kommt im Sommer Martin Boquist über die Ostsee - Kiel und Göteborg liegen eben nur eine Schiffsreise voneinander entfernt.
Es gibt wohl keine zwei Städte in der Welt des internationalen Handballs, die so eng miteinander verbunden sind wie Kiel und Göteborg. Und das liegt nicht allein an den täglich auf beiden Seiten der Ostsee ablegenden Fährschiffen der Stena Line. Genauso wie in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt wird auch in der schwedischen 600.000 Einwohner zählenden Metropole Handball der internationalen Spitzenklasse gespielt. Was der THW Kiel im vergangenen Jahrzehnt für die Bundesliga war, ist der Redbergslid IK für die schwedische Elitserien. Garanten für große Erfolge auf beiden Seiten waren und sind große Namen, die sowohl dies- als auch jenseits der Ostsee auf Torejagd gingen.
So entwickelten sich Spieler wie Magnus Wislander und Stefan Lövgren im RIK zu Weltklassespielern, im Trikot des THW wurden sie zu Weltstars ihres Sports. Als Magnus Wislander 1990 als frisch gebackener Weltmeister aus Göteborg nach Kiel kam, ging es mit den "Zebras" steil bergauf. Zwölf Jahre später kehrte der inzwischen 38-Jährige um mehr als ein Dutzend Titel reicher als "Welthandballer des Jahrhunderts" heim. Sein Trikot mit der Nummer zwei ist Legende - und zurück bei RIK trägt er inzwischen die 22. Doch der Erfolg ist geblieben. Mit dem "alten Schweden" in seinen Reihen dominiert RIK derzeit unangefochten die schwedische Meisterschaft und schaffte erstmals seit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1959 wieder den Sprung in ein Europapokal-Finale. Für Wislander allerdings nichts besonderes mehr: Mit dem THW Kiel gewann er zweimal den EHF- Pokal und stand zudem im Finale der Champions League.
Wislander machte den Anfang, im Sommer 1997 folgte ihm sein Landsmann Stefan Lövgren, der ihn schon in Göteborg und in der schwedischen Nationalmannschaft als Spielmacher beerbt hatte. Auf dem Sprung ist inzwischen ein weiterer aufgehender RIK-Stern. Ab dem kommenden Juli wird Martin Boquist das THW-Trikot tragen. Momentan spielt der 25-jährige Göteborger noch äußerst erfolgreich an der Seite von Magnus Wislander - Tendenz aufsteigend.
Mit seinen 24 Treffern und zahlreichen sehenswerten Anspielen gegen den TBV Lemgo warf Boquist Redbergslid fast im Alleingang in das bevorstehende Endspiel des europäischen Pokalsieger-Wettbewerbs. "Es waren vielleicht meine besten Spiele im Trikot von RIK", kommentierte Boquist sein beeindruckendes Auftreten bescheiden. Die Kieler Fans jedenfalls dürfen sich auf einen weiteren Klassemann "made in Göteborg" freuen.
Kein Wunder, dass der Spielgestalter und halblinke Rückraumspieler in einer Person zahlreiche Angebote aus der gesamten Bundesliga und dem europäischen Ausland hatte. Dass er sich letztlich für den THW Kiel entschieden hat, ist die fast logische Konsequenz. "Der THW gehört zu den führenden Adressen in Europa", ist sich Boquist bewusst, "wenn Kiel anfragt, sagt man nicht einfach nein danke." Dass er dabei auch auf die Meinung seines Mannschaftskameraden Magnus Wislander hörte, liegt nahe. Dass die Nähe zu Göteborg ein zweiter Grund für seine Entscheidung pro THW war, ebenso. "Wenn ich mich beeile, brauche ich 30 Minuten mit dem Fahrrad zum THW", sagt Boquist scherzhaft. "25 Minuten von meiner Wohnung bis zur Fähre, und fünf Minuten am nächsten Morgen von der Fähre bis zur Ostseehalle."
Interview
Living Sports:
Herr Wislander, seit nunmehr über neun Monaten sind Sie zurück in der schwedischen Heimat. Hat für Sie inzwischen ein neues Leben begonnen?
Magnus Wislander:
Ja, selbstverständlich ist hier alles ein bisschen anders als in Kiel. Für mich selbst ist es wohl der größte Unterschied, tagsüber allein zuhause zu sein. Meine Frau arbeitet und die Kinder gehen in die Schule. Währenddessen bin ich allein zuhause und muss mich nun selbst ein bisschen mehr um den Haushalt kümmern.
Living Sports:
Aber Sie kommen zurecht?
Magnus Wislander:
Ja. Mir geht es gut und der Familie auch.
Living Sports:
Sportlich läuft es ebenfalls hervorragend. Sie sind fit und haben Ihren Vertrag gerade um ein weiteres Jahr verlängert...
Magnus Wislander:
Ich fühle mich einigermaßen fit und es macht mir Spaß auch in Schweden zu spielen, vielleicht sogar mehr Spaß als ich von Anfang an denken konnte. Und deswegen habe ich meinen Vertrag auch noch einmal verlängert.
Living Sports:
Was haben Sie vorher gedacht?
Magnus Wislander:
Man hatte vorher viel darüber gehört, dass einige Spiele einfach langweilig sind und nach ein paar Partien das Publikum ausbleibt und alles ein wenig mehr zum Alltag wird. Aber ich habe das noch nicht erlebt, stattdessen glaube ich, der Handball boomt ein bisschen in Schweden. Der Zuschauerschnitt ist um dreißig Prozent gestiegen und überall wo wir gespielt haben, waren die hallen fast ausverkauft. So macht mir das Spaß, muss ich sagen. Nächstes Jahr kommt zudem noch Staffan Olsson zurück und dann kann es noch einmal richtig heiß in der Liga werden.
Living Sports:
Herr Boquist, Magnus Wislander ist für einen Profihandballer schon sehr alt und Redbergslid IK ist ansonsten ein sehr junges Team. Macht das irgendwelche Unterschiede zwischen ihm und Ihnen aus?
Martin Boquist:
Ich kann nicht behaupten, dass Magnus aus meiner Sicht alt wäre. Natürlich ist er älter, sogar zwanzig Jahre älter als ein Teil seiner Mitspieler. Er hat andere Interessen: Er hat Kinder, seine Mitspieler gehen abends in die Kneipe. Aber wenn wir gemeinsam auf dem Spielfeld stehen, dann kann man es nicht fühlen. Manchmal ist er zwar nicht so hungrig wie die anderen, aber ich kann wirklich nicht behaupten, dass er alt wäre.
Living Sports:
War es rückblickend die richtige Entscheidung für Sie, zwölf Jahre lang in Kiel zu spielen?
Magnus Wislander:
Es ist schwer zu sagen, ob das die richtige Entscheidung war oder nicht. Es war jedenfalls der richtige Zeitpunkt um aufzuhören, weil nach solch einer Saison wie wir sie letztes Jahr in Kiel hatten etwas besonderes hatte zurück zu kehren. Zudem gefällt uns das Leben hier in Schweden, die Kinder fühlen sich wohl, fast wohler als in Deutschland. Sie waren zwar keine traurigen Kinder in Deutschland, aber hier haben sie noch einen Schritt aufgelebt. Alle fühlen sich sehr, sehr wohl. Und ich habe die ganze Zeit gesagt, dass ich noch gern ein Jahr in Schweden spielen möchte - und jetzt werden es zwei. Aber na gut, das ist viel ein Bonus, oder nicht?
Living Sports:
Was ist nach zwölf Jahren Abenteuer Bundesliga hängen geblieben?
Magnus Wislander:
Das erste Jahr war wohl ein Abenteuer, die anderen Jahre danach danach nicht mehr. Kiel war für mich eine zweite Heimat und ich habe mich auch dort sehr, sehr wohl gefühlt, sehr viele neue Freude gewonnen. Noch immer sind sehr viele Sachen im Kopf drin und man vermisst auch ein paar Leute, den Handball selbstverständlich und die Ostseehalle. Aber gleichzeitig so richtig was hängengeblieben, das kann ich gar nicht ganz sagen.
Living Sports:
Der THW Kiel steht in den kommenden Monaten vor einem Umbruch und einem einschneidenden Verjüngungsprozess. Glauben Sie, dass in diesem Sommer noch einmal eine ähnliche Erfolgsperiode beginnen kann, wie es bereits vor zehn Jahren in Kiel der Fall war?
Martin Boquist:
Natürlich hoffe ich das, aber es für mich sehr schwer vorherzusagen, denn noch kenne ich nicht sonderlich viel vom THW Kiel. Ich denke, es ist vielleicht ein guter Moment, um jetzt nach Kiel zu kommen, eine Menge neuer Spieler, die noch jung sind und darauf hoffen, die Erfolgserie wieder herzustellen oder eine gänzlich neue zu starten. Aber ich kann nicht vergleichen, ob es wirklich wie in der Saison 1993/94 ist - ich war damals erst 15 oder 16 Jahre alt. Aber es ist schwer zu vergleichen, es ist heute ein härterer Wettbewerb und es gibt mehr gute Teams, die wirklich gewinnen wollen.
Living Sports:
Was würde es bedeuten, wenn der THW Kiel im nächsten Jahr nicht international spielen würde?
Martin Boquist:
Für mich wäre es momentan noch kein großes Problem, eher schon für den Klub. Für mich wäre es natürlich schön Champions League zu spielen, aber diese Chance ging schon vor einiger Zeit verloren. Selbstverständlich macht es Spaß international zu spielen.
Magnus Wislander:
Der THW hat sich einen Namen in Europa gemacht und sich in den anderen Ländern Respekt erarbeitet. Daher ist es sicher auch für die Wettbewerbe selbst nicht sonderlich gut, wenn Kiel nicht dabei ist. Noch hat der THW eine kleine Chance, denn ich glaube, es wird mit einem sechsten Platz reichen. Und ich hoffe natürlich, dass es die Kieler noch schaffen, auch wenn es wohl ziemlich eng wird.
Living Sports:
Wie eng ist Ihr Kontakt zum THW Kiel heute noch? Mitunter hat man den Eindruck, Sie agieren mittlerweile als Spielervermittler.
Magnus Wislander:
Davon musste ich auch schon hören. Diesen Ruf will ich nicht haben! Aber was man schreibt und was wirklich die Wahrheit ist, sind immer zwei verschiedene Dinge. Selbstverständlich hat Martin mich um meinen Rat bezüglich Kiel gebeten - aber nicht als Spielervermittler, sondern als Freund. Ich habe als Freund auch kein Problem, als Freund kann man soetwas tun. Aber Spielervermittler machen etwas anderes, diesen Titel möchte ich nicht haben!
Living Sports:
Uwe Schwenker wurde zitiert, dass Martin Boquist so etwas wie ein Schlüsselspieler für den THW Kiel seien könnte, der weitere junge schwedische Talente wie zum Beispiel Kim Andersson veranlassen könnte, ebenfalls zu diesem Klub zu wechseln. Was halten Sie davon?
Martin Boquist:
Wenn Uwe Schwenker das gesagt hat, bin ich sehr verblüfft. Aber ich weiß auch nicht, was er genau damit meint. Wenn andere Spieler wegen mir ebenfalls in Kiel spielen wollen, ist es für mich persönlich natürlich etwas großartiges. L
iving Sports:
Aus welchen Gründen haben Sie sich dafür entschieden, nach Kiel zu wechseln?
Martin Boquist:
Zuerst muss erwähnen, dass auch andere Vereine sehr gute Eindrücke auf mich machten, aber Kiel ist neben Barcelona einer der europäischen Klubs, die man als junger Spieler hier in Göteborg kennen muss - Magnus spielte dort seit 1990. Kiel ist für den Handball so etwas wie Manchester United im Fußball. Wenn man also die Chance bekommt dorthin zu gehen, dann muss man diese Chance nutzen!
Living Sports:
Welche Rolle spielt die Nähe zwischen beiden Städten? Martin Boquist:
Mein erster Eindruck war natürlich "Oh, perfekt! Es gibt diese Fährlinie nach Göteborg". Ich weiß allerdings nicht, wie oft ich selbst diese Verbindung nutzen kann, aber wahrscheinlich werden sich meine Eltern besonders darüber freuen. Ich denke, es ist einer dieser Vorzüge, auf die man fokusiert, wenn irgendwo an neuen Ort hinkommt - in meinem Fall die Fähre oder dass Lövgren beim THW spielt. Aber wenn man wirklich angekommen ist, dann lebt man sich ein, trifft neue Freunde - man könnte auch in Afrika leben.
Living Sports:
Welchen Einfluss hatte Magnus Wislander auf Ihre Entscheidung?
Martin Boquist:
Ich habe Magnus gefragt, was er über den THW Kiel denkt. Und natürlich war er sehr positiv angetan vom Klub, von der Stadt, vom Trainer. Er sagt mir, dass es gut für mich sei, dorthin zu gehen. Aber das war nicht entscheidend, denn schließlich wusste ich, dass Kiel ein guter Verein ist und viele schwedische Spieler dort für lange Zeit spielten oder noch immer spielen.
Living Sports:
Was bedeutet die Persönlichkeit Magnus Wislander für Sie?
Martin Boquist:
In meinen Augen ist er jetzt mein Mannschaftskamerad, was er zuvor schon in der Nationalmannschaft war. Ich denke, wir kommen sehr gut miteinander zurecht. Aber natürlich ist Magnus "Magnus". Er spielte schon 1990 das Endspiel um die Weltmeisterschaft, als ich gerade einmal 13 Jahre alt war. Magnus ist Magnus. Wenn ich rausgehe und mit meinen Freunden spreche, dann fragen sie nach Wislander. Aber ich denke nicht so. Vielleicht bin ich in zwanzig Jahren sehr froh darüber, zusammen mit Magnus Wislander gespielt haben zu dürfen.