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„Wir sind eine große Familie“
28.01. 2003
INTERVIEW: Handball-Boss Hassan Moustafa unterstreicht den Stellenwert des DHB
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Viseu. Der Kongress der internationalen Handball-Föderation (IHF) in St. Petersburg hat hohe Wellen geschlagen. Die rund 250 Delegierten aus mehr als 90 Mitgliedsverbänden lehnten im November eine Satzungsänderung ab, die entscheidend zur Erneuerung der IHF beitragen sollte. Aus deutscher Sicht war besonders ärgerlich, dass die Kongressteilnehmer die Handball-Weltmeisterschaft 2005 der Männer an Tunesien und nicht nach Deutschland vergeben haben. Am Rande der Titelkämpfe in Portugal traf sich Redakteur Matthias Foede mit dem IHF-Präsidenten Dr. Hassan Moustafa und sprach mit ihm über die strittige Vergabe, die laufende WM und die Zukunft des Handballs.
Die Vorrunde der WM ist vorbei. Wie lautet Ihr Fazit?
HASSAN MOUSTAFA: Diese WM ist sehr interessant, da viele neue Mannschaften teilnehmen und stark geworden sind. Wir erleben zum ersten Mal seit langem, dass Deutschland eine so gute Mannschaft hat; auch Frankreich und Spanien haben sich in die Favoritenrolle gespielt. Die WM ist in der Spitze ausgeglichen besetzt, das macht es spannend.
Sind die zahlreichen Überraschungen für Sie ein Zeichen von wachsender Qualität im Welthandball?
MOUSTAFA: Guter Handball wird nicht nur in Europa gespielt. Unsere Aufgabe ist es, neue Länder nach vorne zu bringen, zum Beispiel Argentinien oder Grönland.
Der schwedische Nationalspieler Staffan Olsson hat kritisiert, dass sein Hotel bestenfalls durchschnittlich und die Sporthalle ein komisches Gebäude sei, in dem es immer irgendwo leckt. Außerdem hake es in der Organisation. Kurzum, diese WM sei die schlechteste Handball-Großveranstaltung, an der er je teilgenommen habe. Was sagen Sie dazu?
MOUSTAFA: Komisch ist, dass die Schweden das nach der Niederlage gegen Slowenien gesagt haben. Leider haben sie nicht mit mir gesprochen. Auch nicht auf der Pressekonferenz, die ich für schwedische Journalisten gegeben habe. Die Schweden müssen uns beweisen, dass wirklich so viel schief gelaufen ist. Von den anderen 23 Ländern habe ich noch nichts gehört.
Auch der Modus stößt auf Kritik.
MOUSTAFA: Wir werden mit den 24 WM-Teilnehmern über die notwendigen Veränderungen reden. Allerdings steht schon fest, dass das in Portugal praktizierte System mit vier Vierergruppen in der Zwischenrunde nicht das Gelbe vom Ei ist. Künftig werden wir wieder in zwei Sechsergruppen spielen. Wir haben zudem eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit solchen Problemen beschäftigt. Die Experten kommen aus den wichtigen Handball-Ländern wie Deutschland oder Frankreich.
In der deutschen Gruppe waren gleich drei sogenannte „Kleine“ vertreten. Tut sich der Handball einen Gefallen, so viele Exoten bei einer WM starten zu lassen?
MOUSTAFA: Dieses System besteht seit vielen Jahren. Betrachten Sie doch nur Nationen wie Argentinien oder Brasilien, die für positive Überraschungen gesorgt haben. Diese Mannschaften waren vor 20 Jahren so klein wie Grönland oder Australien heute. Man muss solche Länder mitspielen lassen, damit sie irgendwann einmal besser werden und oben mitspielen können. Unser Verband heißt schließlich IHF – Internationale Handball Föderation. Die besteht aus fünf Kontinenten, nicht nur aus Europa.
Was sind weitere Aufgaben der IHF?
MOUSTAFA: Demnächst sollen keine unerfahrenen Nationen mehr eine WM-Endrunde ausrichten. Stattdessen geben wir solchen Anwärtern zuerst eine Junioren-WM, bei der sie Erfahrung sammeln können. Außerdem sollten wir stets Reserve-Veranstalter benennen, falls es in Zukunft wieder bauliche Verzögerungen gibt wie hier in Viseu. Es ist zudem unsere Aufgabe, den Handball in den großen Nationen wie USA, Japan und China populärer zu machen. Wir müssen die Kleinen unterstützen, andererseits aber auch die Märkte in den großen Nationen erschließen, damit Handball ein Massenphänomen wird.
Ist es da nicht ein Widerspruch, dass bei einer WM Australien gegen Grönland vor 100 Zuschauern spielt?
MOUSTAFA: Das liegt in Portugal vor allem an den hohen Preisen. Würden Sie in Deutschland 15 Euro bezahlen, um so ein Spiel zu sehen? Das ist einfach zuviel. Wir werden zukünftig darauf Einfluss nehmen, schon bei der Frauen-WM in Kroatien im Dezember. Unter anderem deswegen haben wir im Moment Probleme mit den TV-Anstalten, die bei ihren Aufnahmen die leeren Ränge kaschieren müssen. Auch unsere Sponsoren klagen über das geringe Interesse der Zuschauer. Ich kann das verstehen. Ein Handballspiel in einer leeren Halle ist wie ein Theaterstück ohne Zuschauer.
Sie hätten ein volles Theater haben können, wenn die WM 2005 nach Deutschland vergeben worden wäre. Eine WM 2005 in Deutschland hätte den Handball vorangebracht.
MOUSTAFA: Das kann nicht ich entscheiden. Auch wenn mir das aus Deutschland vorgeworfen wird. Ich als Präsident habe bei der Abstimmung keine Stimme. Ich war nicht gegen Deutschland. Meiner Meinung nach hätte es den Handball vorangebracht, wenn die WM 2005 in Deutschland stattgefunden hätte. Außerdem habe ich vor der Entscheidung eine Satzungsänderung entwickelt, bei der der Exekutivrat der IHF über die Vergabe einer WM entscheidet und nicht mehr die Vollversammlung, in der alle Mitgliedsländer sitzen. Diese Änderung erhielt allerdings nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Können Sie genauer erklären, was sich gemäß ihres Antrages geändert hätte.
MOUSTAFA: In dem Exekutivrat sitzen die führenden Handball-Nationen sowie wichtige Sponsoren. Das ist eine Art Expertengremium, das über eine sinnvolle Vergabe entscheiden kann. Unliebsame Überraschungen wird es dort nicht mehr geben. Momentan vergibt die Vollversammlung die Weltmeisterschaften. In der Vollversammlung hat jeder Mitgliedsstaat eine Stimme – egal ob es sich es um Deutschland mit rund 800.000 Mitgliedern handelt oder die Cook Inseln mit 25.
Demnach wollen Sie die paritätische Besetzung der Vollversammlung abschaffen. Dazu müsste allerdings die Vollversammlung ihre eigene Entmachtung beschließen. Ist das realistisch?
MOUSTAFA: Man muss darüber nachdenken, ob man die Stimmenverteilung nicht anders strukturiert. Dabei habe ich den Eindruck, dass gerade die kleinen Nationen sehr daran interessiert sind, den Handball weiter zu entwickeln Die etablierten Nationen hingegen scheint dies nicht so zu interessieren.
Geben Sie ein Beispiel.
MOUSTAFA: In St. Petersburg scheinen sich die Europäer, nicht einig gewesen zu sein. Wenn Europa geschlossen für Deutschland gestimmt hätte, fände die WM 2005 ganz sicher in Deutschland statt.
DHB-Präsident Ulrich Strombach kritisierte, dass „der Kongress eher Ähnlichkeit mit einem chaotischen Treffen auf einem Basar“ gehabt habe. Er fand es merkwürdig, dass die Teilnehmer aus Syrien und Palästina erst unmittelbar vor der Abstimmung erschienen sind. Strombach unterstellte bei dem knappen Abstimmungsergebnis von 44:46 gegen den DHB Mauschelei.
MOUSTAFA: Ich empfinde es als billig und falsch, die Verantwortung über den Ausgang der Abstimmung auf meine Person zu schieben. Die Art und Weise, wie ich angegriffen wurde, war unfair und verletzend. Viele Delegierte sind erst spät zu dem Kongress angereist. Der Schwede ist zum Beispiel vor der Abstimmung wieder abgereist.
DHB-Präsident Strombach hat Konsequenzen angekündigt. Er sagte, dass die Deutschen Sie künftig in keiner Weise mehr unterstützen werden.
MOUSTAFA: Wir werden am Freitag eine gemeinsame Pressekonferenz geben. Es gibt sicher ein paar Differenzen, aber keine unlösbaren Probleme. Wir sind eine große Familie. Ich wäre ja verrückt, wenn ich gegen den größten Verband der Welt arbeiten würde. Ich hatte immer gute Kontakte zum DHB. Schließlich hat mich der deutsche Verband bei meiner Wahl 2000 unterstützt. Das habe ich nicht vergessen.
BILD: Denkt an die Kleinen und Großen: Dr. Hassan Moustafa. FOTO: T. HEYER