HANDBALL: „Es herrscht Misstrauen“
Füchse-Manager Bob Hanning legt vor dem WM-Auftakt der Deutschen den Finger in die Wunde
Bob Hanning (44) steht am heutigen Samstag zum WM-Auftakt der Deutschen gegen Brasilien (16 Uhr) als ARD-Experte neben dem Spielfeld. Mit dem Handball-Visionär und umtriebigen Manager der Füchse Berlin sprach Jens Kürbis.
Ist denn wirklich alles schlecht im deutschen Handball?
Bob Hanning: Die Ära Strombach (DHB-Präsident, d. Red.) war durchaus erfolgreich. Wir wurden Europameister, Weltmeister, der Verband wurde entschuldet. Doch alles hat seine Zeit, und die Zeit Strombach ist jetzt vorbei. Außerdem ist in der Ära nicht alles richtig gelaufen. Es wurde gelebt für den Moment, die WM im eigenen Land, doch nicht für die Zeit danach. Jetzt geht es um Veränderungen, so viele Aufgabenstellungen, auch weg von der Nationalmannschaft.
Die da sind?
Hanning: Was können wir tun, um die Nationalmannschaft nach vorn zu bringen? Und zwar so, dass wir spätestens 2020 Olympiasieger sind. Das kriegen wir nicht hin, wenn wir mit dem Finger auf andere zeigen. Was derzeit herrscht, das ist Misstrauen. Da heißt es mal böser DHB, mal böse Liga. Jetzt geht es darum, den DHB, die Bundesliga und die Landesverbände zu vereinen, Aufgaben klar zu definieren. Und jeder muss sich hinterfragen, ob er für den Handball, das Aushängeschild Nationalmannschaft wirklich alles tut.
Sie meinen das Reizthema, die Absage von Holger Glandorf?
Hanning: Wir haben im Verein alles dafür getan, damit Christophersen hier dabei ist. Ich will Flensburg keinen Vorwurf machen, sage aber trotzdem: Glandorf sagt für die WM aus gesundheitlichen Gründen ab, fliegt aber zum Spaß-Turnier nach New York. Zehn Stunden hin, zehn zurück. Da ist doch irgendetwas falsch im System.
Doch sollte der größte Handballverband der Welt nicht mehrere Glandorfs in petto haben?
Hanning: Korrekt. Island hat genau so viel Einwohner wie Berlin-Charlottenburg, steht aber international besser da. Ein Glandorf-Ausfall dürfte uns eigentlich nicht interessieren.
Aber wir haben doch die Talente, die Junioren und Jugend-Weltmeister.
Hanning: Das ist das nächste Problem: Anschlusskader. Und da werden wir bei den Füchsen ein Zeichen setzen, für die neue Saison drei 19-Jährige spielen lassen. Wenn wir 2020 Olympiasieger werden wollen, müssen diese Jungs jetzt spielen.
Wie wollen Sie die anderen Vereine mitnehmen?
Hanning: Wir müssen den Weg gemeinsam gehen, wer ihn verlässt, muss öffentlich angeprangert werden. Wir haben die stärkste Liga der Welt. Von den 300 weltbesten Handballern spielen 250 in Deutschland. Die Wertigkeit der Liga ist vom Gefühl her wie eine Oberliga. Noch einmal: Wir haben das beste Produkt, den besten Fernsehvertrag, eine funktionierende Liga, wo Gott sei Dank Wetzlar, Hannover und Melsungen jetzt auch eine Rolle spiele. Wir haben das Größte, das Beste, eine Riesenchance, die wir nutzen müssen.
Wie wollen Sie Vereine wie Kiel und die Spieler mitnehmen?
Hanning: Der THW ist ja schon dabei. Sie haben ja Omeyer, Narcisse, Ahlm nicht umsonst gehen lassen, haben ja jetzt auch einen Wiencek. Und die Spieler? Für sie kann es nur darum gehen: Wer ist mein Trainer, kann der mich weiterbringen, in welcher Klasse spiele ich und wie viel Einsatzzeiten bekomme ich? Dann gibt es noch drei Soft-skills: In welcher Stadt darf ich leben, in welcher Halle spielen und wie viel schauen mir beim Gladiatorenkampf zu? Wenn es einem Spieler nur ums Geld geht, da mache ich nicht mit.
Wen müssen Sie noch mitnehmen?
Hanning: Wir müssen ganz neue Wege gehen, in der gemeinsamen Vermarktung, der Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen den DHB neu sortieren, da will ich gern mehr Verantwortung übernehmen. Und ein ganz zentrales Thema sind die Landesverbände. Ohne sie ist nichts möglich. Für das Ausbildungs-, das Erziehungs- und Sichtungssystem sind sie elementar. Wir müssen sie mit professionalisieren. Das ist die Basis. Sie sorgen dafür, dass unser Handballsport weiter existiert, wir nach dem Fußball die Mannschaftssportart Nummer zwei auf Dauer bleiben.
Aktuell hinken wir mit der Nationalmannschaft aber der Weltspitze hinterher. Warum?
Hanning: Der Bundestrainer ist arm dran. Er muss das, was andere verbockt haben, jetzt auslöffeln. Deshalb sind wir alle Heuberger. Nur ich akzeptiere die Zielstellung Achtelfinale nicht. Für uns muss immer das Ziel Viertelfinale lauten. Die Mannschaft hat nur eine Chance über den Teamgeist, doch ob das in allen Spielen gelingt, bezweifle ich.
Wie wichtig ist das WM-Abschneiden?
Hanning: Ich freue mich über jeden Sieg, aber das Abschneiden ist zweitrangig. Selbst wenn wir Weltmeister würden, löst das nicht unsere Probleme. Deshalb hätte ich sogar noch zwei junge Spieler mehr mitgenommen.