So düster sah?s noch nie aus
Heute Schicksalstag für die SG Wallau/Massenheim/„30 bis 40 Prozent“ am Etat fehlen
Vom 19.08.2002
Der heutige Montag wird zum Schicksalstag für die SG Wallau/Massenheim! Der Handball-Bundesligist steht 27 Jahre nach seiner Gründung vor dem Aus. „30 bis 40 Prozent“ fehlen nach Angaben von Ehrenpräsident Bodo Ströhmann zur Deckung des 2,25-Millionen-Euro-Etats für die kommende Saison.
Von Kurier-Redakteur
Bernd Nusser
15 Jahre mischt die Spielgemeinschaft nun ununterbrochen in der Eliteliga mit und umschiffte dabei schon so manche finanzielle Klippe – so düster wie jetzt sah?s freilich noch nie aus. Heute um 18 Uhr läuft das Ultimatum ab, dass der Geschäftsführer in Spe, Bülent Aksen, gestellt hat. Der gebürtige Duisburger zögert seit Wochen mit seiner Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag als Geschäftsführer, Manager und Pressesprecher, weil ganz einfach die Finanzen nicht stimmen. Den stattlichen Fehlbetrag kann der 36-jährige Ex-Torhüter des OSC Rheinhausen natürlich nicht verantworten.
„Wenn wir es bis heute Abend nicht schaffen, tritt Aksen zurück und wir sind am Ende“, macht Bodo Ströhmann unmissverständlich klar. Die Mannschaft ist in die prekäre Situation des Vereins eingeweiht. Die für heute geplante Abfahrt ins Trainingslager nach Herrsching wurde abgesagt. „Was sollen wir die Spieler ins Trainingslager schicken, wenn wir nicht wissen, ob es weitergeht“, fragt Ströhmann, der zusammen mit Freund und Hauptsponsor Harald Scholl sowie weiteren engagierten Helfern aber bis zuletzt um sein Lebenswerk kämpft: „Wir arbeiten fieberhaft an allen Fronten an der Rettungsaktion“, hat der 62-Jährige noch ein Fünkchen Hoffnung.
Insbesondere die Reaktion der Mannschaft sowie die tadellose Einstellung von Trainer Martin Schwalb gegenüber seinem Arbeitgeber motivieren Ströhmann, der sich in den letzten Jahren aus dem Tagesgeschäft zurück gezogen hatte, bei der insgesamt frustierenden Suche nach neuen Geldgebern. Die Spieler sagten bei einem gemeinsamen Grillabend bei Torhüter Marcus Rominger ihre Unterstützung zu. „Wir haben die beste Truppe, die man sich vorstellen kann. Nachdem die Abfahrt ins Trainingslager verschoben wurde, haben sie sich selbst um eine Trainingszeit in der Halle gekümmert. Die Mannschaft ist motiviert und weiß, dass sie in solch schwierigen Zeiten auch Abstriche am Gehalt wird machen müssen“, erklärt Trainer Martin Schwalb, der gleichfalls fieberhaft am Fortbestand der SG arbeitet. Allerdings kann auch der engagierte Übungsleiter nicht verhehlen, dass „derzeit eine geregelte Arbeit nicht möglich ist. Natürlich haben die Spieler Existenzängste, jedem geht die Muffe“.
Heute stehen drei weitere Gespräche mit potenziellen Sponsoren an – der letzte Strohhalm, um die „mehreren hunderttausend Euro“ (Ströhmann) aufzutreiben, die fehlen, um den Spielbetrieb für die am 6. September mit dem Auswärtsspiel bei der SG Willstätt/Schutterwald beginnenden Saison sicher zu stellen. 10 Uhr, 12 Uhr und 16.30 Uhr sind die maßgeblichen Zeiten in Bülent Aksens Terminkalender. „Ein Vorstandsvorsitzender kommt eigens aus dem Skandinavien-Urlaub zu dem Gespräch“, hat der bislang verhinderte Multifunktionär die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Obwohl die SG Wallau/Massenheim im Mai noch die Lizenz ohne Auflagen erhalten hatte, kam es jetzt zum dramatischen Absturz, weil einige Sponsoren, die fest eingeplant waren, aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtlage abgesprungen sind und einige Verträge erst zum 1. September abgeschlossen sind. Damit entstand eine viermonatige Einnahme-Lücke – die Kosten aber liefen weiter. Aksen: „Mit Geld ist da frühestens im Oktober zu rechnen“. Zudem ist es der SG seit geraumer Zeit nicht mehr gelungen, neue Geldquellen aufzutun. So wurde auch kein Nachfolger für den Ende der vergangenen Spielzeit ausgestiegenen Hofheimer Trikotsponsor D?Logistics gefunden.
Seit Tagen klappern Ströhmann und seine Mitstreiter nun schon alle Banken ab – ebenfalls ohne Erfolg. „Ein 500000-Euro-Darlehen würde uns reichen, aber dazu ist keiner bereit. Wir müssen für jeden Euro einen Euro und 20 Cent an Bürgschaft hinterlegen“, erklärt der Wallauer Marmorhändler, dessen Betrieb längst von seinen drei Söhnen geführt wird: „Ich kann da doch nicht unbegrenzt in die eigene Tasche greifen, um die Löcher im Verein zu stopfen“. Zudem macht sich bei Ströhmann Verbitterung breit: „Bei der Frankfurter Eintracht standen die Politiker Schlange, um zu helfen, uns verschafft keiner einen Kredit von der Hessischen Landesbank“.