Fan behindert Torwart - Wie hättet ihr entschieden?

  • Aus einem Bericht zum Verbandsliga-Spiel CVJM Oberwiehl – Siegburger TV 35:35 (18:13):

    Zitat

    [...] Beim 34:34 (59.) setzte Janeck nun früh alles auf eine Karte und brachte den siebten Feldspieler. Dieser wurde auch mustergültig freigespielt, doch Siegburgs Keeper parierte den Wurf und traf nun selbst zehn Sekunden vor Schluss ins leere CVJM-Tor. Die Gäste wähnten sich bereits wie der sichere Sieger, so dass unter anderem ein Fan noch vor dem Schlusspfiff auf das Feld stürmte, um mit seiner Mannschaft zu feiern.

    Doch die Uhr zeigte noch vier Sekunden, die Florian König nutzte, um seinerseits den Anwurf direkt im STV-Gehäuse unterzubringen, wo der verdutzte Gästekeeper durch den Fan aus dem eigenen Lager am Halten gehindert wurde. Nach langen Diskussionen entschieden die Schiedsrichter auf Siebenmeter, den Tim Hartmann schließlich souverän verwandelte. [...]


    Quelle: Oberberg-Aktuell


    Wie hättet ihr entschieden? Und wie lässt sich ein Siebenmeter in dieser Situation regeltechnisch begründen? Alle Regeln, Kommentare und Erläuterungen behandeln nur den Fall, dass ein Zuschauer einen Torgewinn vereitelt, aber nicht, dass das Einschreiten eines Fans den Torgewinn erst ermöglicht.

    Zitat

    14:1 Auf 7-m-Wurf wird entschieden bei:

    c) Vereiteln einer klaren Torgelegenheit durch das Eingreifen einer nicht am Spiel beteiligten Person, z.B. durch das Betreten der Spielfläche durch einen Zuschauer oder einen Pfiff aus dem Zuschauerbereich, der den Spieler stoppt (Ausnahme: siehe den Kommentar zu Regel 9:1 ).


    Auch der Kommentar zu Regel 9:1 bzw. die Erläuterung 8 zur Definition einer klaren Torgelegenheit lassen sich nicht direkt auf diesen speziellen Fall anwenden.


    Mir stellen sich zwei Fragen:

    1.) Kann Mannschaft A dafür bestraft werden, dass ein Fan der Mannschaft B den Torwart von Mannschaft B behindert? Mannschaft A wurde ein vermeintlich reguläres Tor aberkannt, bei dem kein Regelverstoß durch Mannschaft A vorlag. Man stelle sich vor der gegebene Siebenmeter wäre nicht verwandelt worden.

    2.) Hätte man andererseits das Spiel unterbrochen, als der Zuschauer das Spielfeld betrat, dann hätte zu diesem Zeitpunkt mitnichten eine klare Torgelegenheit vorgelegen. Da der Torwart von Mannschaft B das Tor zum 34:35 ins leere Tore von Mannschaft A erzielt hatte, ist davon auszugehen, dass sich im Moment des darauffolgenden Anwurfes von Mannschaft A bei noch vier zu spielenden Sekunden die komplette Mannschaft B in der eigenen Hälfte befindet. Also keine klare Torgelegenheit für Mannschaft A. Diese entsteht erst durch das Eingreifen des Zuschauers.

    Einmal editiert, zuletzt von Arcosh (14. März 2010 um 12:59)

  • Auch hier helfen die Regelfragen, wobei b und d (13:4a) richtig sind:

    Zitat

    250. B11 ist in Ballbesitz und versucht, Abwehrspieler A2 zu umspielen. Aufgrund eines Pfiffs aus dem Zuschauerbereich stellt A2 seine Aktivitäten ein; B11 kommt frei zum Torwurf. Richtige Entscheidung?
    a) 7-Meter-Wurf für B
    b) Time-out, Rücksprache mit Zeitnehmer
    c) Freiwurf für A
    d) Freiwurf für B

    Auch hier, bei Regelfrage 250, entsteht erst durch das Eingreifen eines Zuschauers die Torchance. Allerdings erfolg hier der Pfiff (TO) wohl, bevor der Ball im Tor ist.

    Regel 13:4

    Zitat

    Zusätzlich zu den Situationen gemäß Regel 13:1a bis b wird in bestimmten Fällen, in denen das Spiel ohne Regelverstoß einer Mannschaft unterbrochen wurde (d.h. wenn der Ball im Spiel ist), ein Freiwurf zur Wiederaufnahme des Spiels gegeben:

    1. wenn eine Mannschaft zum Zeitpunkt der Unterbrechung in Ballbesitz ist, behält sie den Ballbesitz;
    2. wenn keine der Mannschaften in Ballbesitz ist, erhält die Mannschaft, die zuletzt in Ballbesitz war, erneut den Ballbesitz;
      [/list=a]Die "Vorteilsregel" gemäß Regel 13:2 gilt nicht in den in Regel 13:4 aufgeführten Situationen.

      Dabei ist interessant, daß der letzte Satz [list]Die "Vorteilsregel" gemäß Regel 13:2 gilt nicht in den in Regel 13:4 aufgeführten Situationen.

    in den neuen Regeln fehlt. Bedeutet das, daß man dann (also nach dem 01.07.2010) das Spiel hätte weiterlaufen lassen können, mit der Konsequenz, daß ein gültiges Tor von B11 hätte erzielt werden können?

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    4 Mal editiert, zuletzt von rrbth (14. März 2010 um 14:57)

  • Zitat

    Original von Arcosh
    Somit wäre die Entscheidung auf Siebenmeter ein spielentscheidender Regelverstoß der Schiedsrichter gewesen, oder?


    Meiner Meinung nach, ja.

    Wie du ja ausgeführst hast, wird durch das Eingreifen des Zuschauers die Torchance erst ermöglicht.

    Nachdem es ein Zuschauer aus dem eigenen Lager war, könnte man die Vorteilsregel anwenden, weil der eigene TW behindert wird. Diese Überlegung lag wahrscheinlich auch der 7-m-Entscheidung zu Grunde.

    Aber: Kein Zuschauer hat etwas auf dem Spielfeld zu suchen und schon gar nicht ins Spiel einzugreifen. Deshalb ist das Spiel zu unterbrechen, und es greift m.M.n. Regel 13:4 (Spielfortsetzung FW).

    Andererseits:
    Die angreifende Mannschaft wird um ihren Vorteil gebracht, deshalb ist ein FW unbefriedigend (aber regelgerecht, denke ich).

    Aber das ist ein schwieriger Fall. Einspruch wurde keiner eingelegt?

    -------------------------------------------------

    Ich hab mal bei den beteiligten Vereinen nachgeschaut. Bei der Mannschaft, die den (nicht regelgerechten) 7-m zugesprochen bekam, liest es sich so:

    Zitat

    Es entwickelte sich nun ein wahrer Schlagabtausch. Bei 59:45 Min. ( 34:34 ) scheiterte unser Gegner wiederholt an Toby und er konnte den Ball selber im gegnerisch verwaisten Gehäuse zum 35:34 ( 59:53) unterbringen. Die Halle stand Kopf und im Gefühl des sicheren Sieges lief einer unserer Anhänger im Freudentaumel auf das Spielfeld auf unseren Torhüter zu. Dieser dachte daraufhin, das Spiel sei vorbei und verließ sein Gehäuse. Ein Oberwiehler Spieler konnte dann den Ball aus 25 Metern mit der Schlusssirene in unserem Gehäuse unterbringen. Das Schiedsrichtergespann musste jetzt handeln und gab einen Strafwurf für diese Situation. Nach Regelauslegung hätte es aber nur zu einem Freiwurf kommen dürfen. Sei`s drum. Der verhängte Strafwurf wurde verwandelt und Oberwiehl konnte im Endeffekt glücklich zum 35:35 in letzter Sekunde ausgleichen.

    TV Siegburg

    Also nach dieser Schilderung wäre die korrete(re?) Entscheidung Tor gewesen. Der TW wurde nicht behindert, sondern er hat sein Tor verlassen, weil er glaubte, das Spiel sei aus. Da ist er selber (mit) schuld.

    Und ich denke, die abgeklärte Schilderung (sei's drum) im Spielbericht zeigt, daß die Siegburger das auch so sehen. Der Regelverstoß durch den zu unrecht gegebenen 7-m hat, weil er zu einem Tor führte, nur den Zustand hergestellt, der ohne den Regelverstoß geherrscht hätte: Tor für Oberwiehl in der letzten Sekunde.

    Hätten die Oberwiehler verworfen, hätte dann ein Einspruch von ihnen Erfolgsaussichten haben können? Ich meine, ja.

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    2 Mal editiert, zuletzt von rrbth (16. März 2010 um 22:26)

  • Interessanterweise hätten wohl beide Mannschaften gegen diese Entscheidung Einspruch einlegen können und hätten gute Chancen auf Erfolg gehabt. Dass beide Mannschaften darauf verzichtet haben, dürfte daran liegen, dass Oberwiehl nach Verwandeln des Siebenmeters zufrieden gestellt war und die Siegburger der Ansicht waren an diesem Ausgang selber Schuld zu sein. Im Zweifelsfall dürfte Siegburg auch mit dem einen Auswärtspunkt im Abstiegskampf zufrieden sein nachdem das Spiel schon fast verloren war.

  • Hier meine regeltechnische Antwort
    Die beschriebene Situation ist m. E. unter den Fall eines äußeren Einflusses zu subsummieren, der eine ordnungsgemäße Spielfortsetzung nicht ermöglicht. Deshalb wären die SR m. E. gem. IHF-Erl. Nr. 2 Abs. 1 Buchstabe a gehalten gewesen, unverzüglich auf Time-out zu entscheiden, um anschließend den Mangel zu beheben (TW der abwehrenden Mannschaft aktionsunfähig). Hinsichtlich der Spielfortsetzung wäre zu klären gewesen, wer zum Zeitpunkt der Unterbrechung in Ballbesitz gewesen ist. Dies kann hier aber nicht das Problem sein, selbst wenn sich zum Zeitpunkt der Unterbrechung der Ball in der Luft befindet. Als nächstes wäre zu klären, ob durch die Unterbrechung eine klare Torgelegenheit vereitelt wurde. Hier käme allenfalls die in der IHF-Erl. Nr. 8 Buchstabe d beschriebene Variante in Betracht. Allerdings zeigt die Schilderung, dass der TW seinen Torraum nicht verlassen hat (und wenn, schon gar nicht freiwillig). Eine „Bogenlampe“ von der Mittellinie mit aktionsfähigem TW als klare Torgelegenheit zu definieren, ist nur schwerlich möglich und regeltechnisch auch nicht vorgesehen. Eine Anwendung der Bestimmungen aus dem Kommentar zur Regel 9:1 verbietet sich, weil es hier ja genau umgekehrt war. Auch eine Anwendung der Regelbestimmung 14:1 c Abs. 1 verbietet sich, da zum Zeitpunkt des Handelns des Zuschauers keine klare Torgelegenheit bestand, diese allenfalls durch das Handeln des Zuschauers erzeugt wurde. Dabei ist es auch völlig irrelevant, ob es sich um einen „Fan“ der Heim- oder Gastmannschaft oder einen sonstigen „Handballinteressierten“ handelt.
    Fazit: Die SR hätten das Spiel unverzüglich unterbrechen müssen (eine Anwendung der Vorteilsbestimmung gem. Regel 13:2 ist regeltechnisch nicht vorgesehen) und auf Time-out entscheiden müssen. Nach Wiederherstellung der Ordnungsmäßigkeit auf der Spielfläche hätte das Spiel mit Freiwurf für die angreifende Mannschaft, an der Stelle wo sich der Ball zum Zeitpunkt der Unterbrechung befand (Regel 13:4 a i.V.m. Regel 13:6 Abs. 2), fortgesetzt werden müssen. Der Vorfall selbst hätte von den SR im Spielbericht vermerkt werden müssen.

  • handballboss

    Zitat

    Fazit: Die SR hätten das Spiel unverzüglich unterbrechen müssen (eine Anwendung der Vorteilsbestimmung gem. Regel 13:2 ist regeltechnisch nicht vorgesehen) und auf Time-out entscheiden müssen. Nach Wiederherstellung der Ordnungsmäßigkeit auf der Spielfläche hätte das Spiel mit Freiwurf für die angreifende Mannschaft, an der Stelle wo sich der Ball zum Zeitpunkt der Unterbrechung befand (Regel 13:4 a i.V.m. Regel 13:6 Abs. 2), fortgesetzt werden müssen. Der Vorfall selbst hätte von den SR im Spielbericht vermerkt werden müssen.

    fast richtig

    Laut dem Artikel nutzt der Spieler die Verwirrung durch den "Fan" auf dem Feld und verwandelt den Anwurf direkt zum Torerfolg. Folglich ist der Anwurf noch nicht ausgeführt als der "Fan" das Spielfeld betritt. Die einzige Entscheidugn kann hier nur sein, den Mann dorthin zu bringen, wo er hin gehört und dann den Anwurf zu wiederholen.

    Eine 7-m Entscheidung ist regeltechnisch absolut unmöglich. Nach einem Torerfolg muss das Spiel durch Anwurf weiter geführt werden. Da dieser bisher nicht korrekt ausgeführt werden konnte, muss es jetzt passieren.

    Das ist das selbe mit den Diskussionen der Verhinderung des letzten Anwurfes kurz vor Schluss, um das mögliche Siegtor zu verhindern. So lange der Anwurf nicht ausgeführt ist, widerspricht jegliche Auslegung einer klaren Torgelegenheit der Regel 10.2. Es kann also nur mit Anwurf weiter gehen.

    mfg
    think blue

  • Zitat

    Original von Blueboy
    Laut dem Artikel nutzt der Spieler die Verwirrung durch den "Fan" auf dem Feld und verwandelt den Anwurf direkt zum Torerfolg. Folglich ist der Anwurf noch nicht ausgeführt als der "Fan" das Spielfeld betritt.


    Nur zur Klarstellung:
    Ein Wurf gilt als ausgeführt, wenn (evtl. nach Anpfiff, wie beim Anwurf immer) der Ball die Hand verlassen hat (15:2). Wenn nach einem Anwurfanpfiff ein Tor direkt erzielt wurde, war der Anwurf natürlich ausgeführt. Die Spielfortsetzung kann dann alles mögliche, aber keine Wiederholung des Anwurfs sein.

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  • ... der (davon gehe ich aus) angepfiffen und ausgeführt wurde. Daß da ein Zuschauer auf dem Spielfeld war, haben die Schiedsrichter zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht gesehen.

    Daß das Spiel gar nicht hätte angepfiffen werden dürfen, tut wenig zur Sache; es wurde angepfiffen.

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