Nachdem in den letzten Tagen wieder verstärkt die EU im Gespräch war und ich mich wieder einmal frage, ob die Politiker wirklich etwas davon verstehen, über was sie da zu entscheiden haben, fand ich einen Artikel im Abendblatt unheimlich faszinierend. Und zwar geht es momentan um eine Neuverteilung der Stimmgewichtung in diversen EU-Gremien und es steht zur Debatte, dass größere Staaten weniger Einfluss als bisher haben sollen. In diesem Zusammenhang ist vor allem Polen mit den beiden Kaczynski-Brüdern an den Schalthebeln der Macht eine der Nationen, die einen EU-Vertrag blockieren (Anmerkung: Der EU-Vertrag hieß ehemals "EU-Verfassung" und wurde von einigen EU-Mitgliedsstaaten, u.a. Frankreich und Niederlande, abgelehnt). Im Moment versucht Merkel alles Länder unter einen Hut zu bekommen und da haben die Polen folgendes als Argument angeführt:
ZitatAlles anzeigenPolens "bitterböses" Spiel mit den Kriegstoten
Streit um Stimmgewichtung in der EU immer heftiger. Auch London droht mit Veto.
Brüssel - Im erbitterten Streit um mehr Einfluss in der EU macht Polen nun auch die Kriegsschuld Deutschlands geltend. Premier Jaroslaw Kaczynski ließ die Konfrontation mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eskalieren und verlangt, die polnischen Toten im Zweiten Weltkrieg zu berücksichtigen. Ohne sie hätte Polen schließlich "eine Bevölkerung von 66 Millionen". Diplomaten nannten den Vorstoß Polens auf europäischer Bühne beispiellos. Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker sprach im "Handelsblatt" von "bitterbösen Argumenten, die nicht akzeptabel sind".
Jaroslaw Kaczynski, der Bruder des zum Gipfel gereisten Präsidenten Lech Kaczynski, hatte gesagt, Polen wolle sich bei den künftigen Stimmrechten in der EU zurückholen, "was uns genommen wurde". Er sagte weiter: "Hätte Polen nicht die Jahre 1939 bis 1945 durchgemacht, wäre es heute ein Staat mit einer Bevölkerung von 66 Millionen, wenn man sich auf demografische Kriterien beruft." Polen verlangt, dass der Einfluss großer Mitgliedsstaaten wie Deutschland im neuen Vertrag bei Abstimmungen in den EU-Ministerräten kleiner wird.
Während des Zweiten Weltkriegs waren allein in Polen etwa 6,5 Millionen Menschen getötet worden, darunter drei Millionen polnische Juden. Das entspricht einem Anteil von einem Viertel der Vorkriegsbevölkerung. Polen hat derzeit knapp 38 Millionen Einwohner.
Auch kompromisslose Forderungen des britischen Premiers Tony Blair drohten die Bemühungen Merkels bei dem letzten Gipfel unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft scheitern zu lassen, den Weg für einen modernen EU-Vertrag anstelle einer Verfassung zu ebnen. London pocht auf eine eigenständige Außen- und Innenpolitik. Blair schloss auch ein Veto nicht aus. Notfalls wolle er den Gipfel sogar verlassen.
Angela Merkel dagegen will eine Art EU-Außenminister und das Prinzip der Einstimmigkeit bei Innen- und Justizthemen weitgehend außer Kraft setzen. Sie rief alle Mitgliedsstaaten zur Kompromissbereitschaft auf: "Wir müssen alles daransetzen, zu einer Einigung zu kommen."
Eine solche Argumentation in einer offiziellen Verhandlung zu bringen ist lachhaft. Dann können alle Mitgliedsstaaten mit "Was wäre wenn" anfangen. Ein solches Kindergarten-Niveau von einem Vertreter eines Staates zu hören ist erschreckend und lässt mich wirklich daran zweifeln, ob die EU erstrebenswert ist. So allmählich frage ich mich, ob die EU mehr Nutzen bringt als Lasten. Denn solche Diskussionen gehören für mich wahrlich nicht in die Politik. Das ist noch nicht einmal Parteitagsniveau.
Edit: Auch der Spiegel hat dazu einen [url=http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,489866,00.html]Artikel[/url] gebracht. Aber der Spiegel versucht auch die [url=http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,489937,00.html]polnische Seite[/url] nachzuvollziehen.