Schöner Artikel aus dem Spiegel:
SIEG DER WERTE
Werdet Handballer!
Von Achim Achilles
Handball ist bodenständig wie kaum etwas, Deutschland war wie Gummersbach in dieser wundervollen Woche. Kein Marketing-Schnickschnack, kein Fanmeilen-Hype, sondern Fernsehen in stickigen, engen, urwüchsigen Soziotopen. Und dazu dieses gute Gefühl, nichts geschenkt bekommen zu haben.
Diese Mannschaft hatte den Sieg verdient wie keine andere. Sie kämpfte, sie ackerte, gab niemals auf. Stoisch verfolgte Heiner Brand das triumphale Finale seiner Jungs. Wie konnte der Mann nur so ruhig bleiben? Ob die deutsche Nationalmannschaft gegen Polen nun mit sechs Toren führte oder fast den Ausgleich hinnehmen musste - der Bundestrainer, obwohl oder gerade weil er ahnte, dass er Deutschland nach 29 Jahren wieder einen Weltmeistertitel im Handball bescheren würde, blieb unfassbar cool. Ein Seehundschnauzer, der die Krone will, darf nicht zittern.
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Bundestrainer Brand: Ehrliche Kämpfer, ehrliche Beleidigungen
Der Gummersbacher Brand - 1978 beim WM-Triumph als Spieler dabei - ist der Prototyp des deutschen Handballers: keine millionenschweren Werbeverträge, kein dröhnendes Vertragsgefeilsche, keine esoterische Philosophie, keine Film- und Foto-Sessions, kein übermächtiger Personenkult. Der Mann macht einfach nur das was er kann - seinen Job. Und den macht er gut. Millionen Deutsche sind wie Brand: Ingenieure, Installateure, Briefträger. Keine Genies, sondern Männer im Getriebe. Solider Mittelstand. Jeden Tag aufs Neue halbwegs zuverlässig, ernst, bis zur Langeweile akribisch, aber oftmals erfolgreich. Männer, die bisweilen sogar in sich ruhen. Denn sie wissen, auf wen sie sich verlassen können - auf sich selbst. Und auf die paar Jungs um sie herum.
Weit mehr als das Pop-Business Fußball verkörpern Brand und seine Jungs deutsche Kernwerte. Einer wie Florian Kehrmann betreibt ein Sportgeschäft, Holger Glandorf, geboren in Osnabrück, hat Speditionskaufmann gelernt. Sie spielen in Flensburg oder Göppingen, in Kiel oder Magdeburg, weder abhängig von russischen Milliardären noch italienischen Halbseidenschals. Zum Sponsorenkreis gehört immer noch der lokale Bauunternehmer. Handballer versuchen nicht, irgendeine lässig-alberne amerikanische Profi-Mentalität zu imitieren. Hat man je die Spielerfrauen der Handballer irgendwo gesehen? Nein. Und das ist gut so.
Weltmeisterschaft: Deutschlands Handball-Helden
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Handball in seiner Bodenständigkeit ist ein urdeutscher Sport, dessen hochspannende Inszenierung sich aus dem Spiel selbst heraus entwickelt. Die traditionsreichen Clubs wie Gummersbach oder Lemgo liegen in der Peripherie, in Klein- und Mittelstädten, dort, wo zwei Drittel aller Deutschen wohnen, dort, wo die Welt nach den Maßstäben der Normalbürger noch halbwegs in Ordnung ist, dort, wo der Mittelstand zu Hause ist. Eine gute Show nimmt man auch in diesen Gegenden durchaus anerkennend zur Kenntnis. Aber sie bildet nicht den Kern.
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143 Beiträge
Neuester: Gestern 16:18 Uhr
von buzzt
Wer in Nordhorn zur HSG geht, der will sportive Wahrheit. Ehrliche Fans schätzen ehrliche Kämpfer und brüllen ehrliche Beleidigungen. Auf dem Feld wird solider Fleiß- und Kampfsport geboten, der manchmal auch ins Brachiale spielt. Da kann kein Brasilianer, Argentinier, Italiener mithalten. Viel Dekor, Kabinett und Kabarett stören beim Handball nur.
Es ist ja kein Zufall, dass von allen Mannschaftssportlern die Handballer in den hässlichsten Trikots stecken, wie diese deutsche Nationalmannschaft eindrucksvoll bewies. Die Schale ist ihnen eben vergleichsweise wurscht; der metrosexuelle Style-Terror der Großstadt-Weicheier erst recht, die es für intellektuell halten, aus dem Tragen von Flechtslippern Weltbilder zu entwickeln. Über Hierarchie wird entschieden auf dem Platz. Und hinterher an der Theke.
Den Titelverteidiger Spanien deutlich besiegt, die brillanten Franzosen mit letzter Kraft niedergerungen und die einzige Niederlage des Turniers gegen Polen (in der Vorrunde) durch den Finalsieg vergessen gemacht zu haben - das war ein ehrlicher, grundsolider Weg zum verdienten Titel.