Spiegel online: Wo Fans noch Fans sind

  • 09. April 2006

    HANDBALL-POKALFINALE

    Wo Fans noch Fans sind

    Von Mike Glindmeier

    Während es auf Deutschlands Fußballplätzen regelmäßig zu Ausschreitungen kommt, gleichen Handball-Spiele Familienfesten. Die Fans feiern sich selbst, ihr Team und manchmal sogar den Gegner. Ein Ortstermin beim Pokalfinale in Hamburg.

    Wenn es keine Gefahr gibt, hat die Gefahrenabwehr gut lachen. Die beiden Polizisten stehen vor der kleinen Wache unterhalb des Haupteingangs der Hamburger Color Line Arena, sie rauchen entspannt und unterhalten sich. Nicht einmal 50 Meter entfernt sitzen sich gerade die Anhänger von vier Bundesliga-Vereinen in einer Halle gegenüber. Anderswo würde das für helle Aufregung sorgen, im Handball ist es kein Grund zur Unruhe. "Alles friedlich", sagt der Beamte und verschwindet in der Wache.

    Es ist das Pokalfinale des Deutschen Handball-Bundes, 26.000 Besucher sind insgesamt an zwei Tagen in die Halle direkt gegenüber der AOL-Arena gekommen. Und schon bei der Fahrt in den Hamburger Stadtteil Stellingen wird klar: Diese Fans sind anders. Keine Hasslieder aus heiseren Kehlen dröhnen durch die Shuttlebusse, es wird gefachsimpelt: "Kronau könnt ihr schlagen, müsst nur körperlich dagegen halten", rät ein THW-Kiel-Fan einem HSV-Anhänger vor dem Endspiel. "Du meinst, wir sollen uns nicht so dumm anstellen wie ihr gestern", entgegnet der Mann mit der Raute auf der Brust. Dann geht es in die Halle, gemeinsam.

    Unter dem Dach das gleiche Bild. Obwohl der THW Kiel als Favorit bereits am Samstag nach einer 31:33-Niederlage gegen Außenseiter Kronau/Östringen ausgeschieden war, sind mehr als 2000 Anhänger des Deutschen Meisters in der Halle. Neben ihnen am Bierstand: Die ebenfalls am Vortag ausgeschiedenen Magdeburger, die 30:31 gegen den HSV verloren hatten. Die Atmosphäre ist familiär, Polizisten sind keine zu sehen. "Handball-Fans sind vielleicht nicht besser als Fußballfans, aber wesentlich niveauvoller", sagt Jens Santen. Der Fanclubvorsitzende der Kieler "Zebrasprotten" ist gemeinsam mit 180 seiner Clubkollegen nach Hamburg gereist, um sein Team anzufeuern.

    Santen hat eine einfache Erklärung, warum es bei Handball-Großveranstaltungen so gut wie nie zu Zwischenfällen kommt. "Das liegt daran, dass wir alle unter einem Dach sind. Im Garten benimmt man sich eben anders als im Haus", sagt Santen. Das Haus, das will er sagen, ist die Color Line Arena, der Garten die angrenzende AOL-Arena, auf die Santen mit seinem Kopf deutet. Lediglich bei Spielen gegen den Erzfeind aus Flensburg käme es ab und an zu Handgreiflichkeiten. "Das ist aber eine kleine Gruppe, von der lassen wir uns den gemeinsam Spaß nicht vermiesen."

    Uwe Kobert, Leiter des Magdeburger Handball-Fanprojekts, berichtet Ähnliches. "Bei Auswärtsspielen wird zwar Joël Abati (SCM-Profi aus Frankreich; Anm. d. Red.) oft ausgepfiffen, was aber nicht an seiner dunklen Hautfarbe liegt, sondern an seiner aggressiven Spielweise", so Kobert. Während bei Spielen des Fußball-Oberligisten 1. FC Magdeburg regelmäßig Dutzende Polizisten für die Sicherheit der 2000 bis 3000 Zuschauer sorgen, gleicht der Bundesliga-Handball in der Magdeburger Bördelandhalle einem Familienfest.

    "Hallenverbote kennen wir nicht"

    "Bei Heimspielen werden zwei Polizisten vom angrenzenden Revier abgestellt, an Ausschreitungen kann ich mich nicht erinnern", sagt Kobert. Durchschnittlich 6000 Zuschauer besuchen die Heimpartien des SCM. "So etwas wie Hallenverbote kennen wir nicht." Der Unterschied zwischen Hand- und Fußballfans fängt seiner Meinung nach im Kopf an: "Beim Fußball reicht es, wenn ich Abseits erklären kann. Aber die Regeln beim Handball sind komplizierter, das setzt eine höhere Intelligenz als beim Fußball voraus."

    Auch während des Finales zwischen dem HSV und Kronau/Östringen bestimmt Fairness den Umgang der Anhänger. Schmähgesänge wie auf Fußballplätzen üblich sind keine zu hören, stattdessen konzentrieren sich die Fans auf die Unterstützung ihrer Teams. Selbst die Tatsache, dass die 14 Akteure eine der schwächsten ersten Halbzeiten der Pokalfinal-Geschichte abliefern, ist kein Anlass für Unfrieden. Am Ende des ersten Durchganges steht es 9:9. Hätten die Torhüter auf beiden Seiten wenigstens einige mittelschwere Bälle gehalten, hätte das Ergebnis auch 5:5 lauten können. 50 Minuten dauerte die erste Hälfe, bei dem die Spieler mehr auf dem Boden liegen als gelungene Spielzüge zeigen. Trotzdem: Zur Halbzeit gibt es Beifall statt Pfiffe.

    Das positive Auftreten der Handball-Fans freut auch Markus Pütz. Der Objektleiter der "Pütz Security" ist gemeinsam mit 130 Ordnern für die Sicherheit in der 13.000 Besucher fassenden Halle verantwortlich. An diesem Wochenende ein angenehmer Job: "Wir haben zwar ein paar angetrunkene Besucher ermahnt, mussten aber keine Person der Halle verweisen", sagt Pütz. Der 38-Jährige betreut mit seinem Team sonst auch Boxkämpfe und Konzerte. "Die Handballspiele gehören ganz klar zu den unkomplizierten Veranstaltungen."

    Trotz einer nervenaufreibenden zweiten Halbzeit, in der die Besucher für die ersten 30 Minuten entschädigt werden, bleibt alles ruhig. Am Ende schlägt der Gastgeber Kronau/Östringen 26:25. Bei der Siegerehrung applaudieren die Gästefans artig dem HSV, ehe sie aus der Halle strömen. Draußen fahren dann doch noch Einsatzfahrzeuge der Polizei vor, Beamte laufen in Gruppen über den Vorplatz und beobachten angespannt die Lage. In weniger als einer Stunde wird das Fußball-Bundesliga-Spiel zwischen dem HSV und Borussia Mönchengladbach angepfiffen.

    Im Vergleich zu Serdarusic muss man sich Elefanten als vergessliche, etwas schusselige Tiere vorstellen. (Süddeutsche Zeitung v. 10.2.09)

  • Zitat

    "Bei Heimspielen werden zwei Polizisten vom angrenzenden Revier abgestellt, an Ausschreitungen kann ich mich nicht erinnern", sagt Kobert. Durchschnittlich 6000 Zuschauer besuchen die Heimpartien des SCM. "So etwas wie Hallenverbote kennen wir nicht." Der Unterschied zwischen Hand- und Fußballfans fängt seiner Meinung nach im Kopf an: "Beim Fußball reicht es, wenn ich Abseits erklären kann. Aber die Regeln beim Handball sind komplizierter, das setzt eine höhere Intelligenz als beim Fußball voraus."

    Besser hätte man das wohl nicht ausdrücken können. Ich spiel zwar selber Fußball, aber was da manchmal abgeht.
    Der Artikel ist im allgemeinen richtig gut geschrieben.

    La bella vita

    It’s a beautiful life, so let it in your heart

    My bella vita

    It’s a beautiful life, no matter who you are

  • Zitat

    Original von Kevin -
    Klasse Artikel! [Blockierte Grafik: http://www.cosgan.de/images/smilie/froehlich/g015.gif]

    Aber dass bei Fussball-Fans so gewalttätig sind, ist auch nicht wahr.

    Da bin ich andrer Mewinung, da ich schon oft Gewalt und Hassgesänge in Stadien erleben "durfte"

    "Mit dem Ende des Kinos werden wir vertrieben worden sein aus einem Paradies"
    ( Peter Handke)

    "Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung"
    ( Theodor W. Adorno )

    Einmal editiert, zuletzt von Outsider81 (9. April 2006 um 21:45)

  • Moin,

    vielleicht ist Handball dem Mob zu anspruchsvoll...

    Gruß, harmi

    :) Mache nie zwei mal den selben Fehler, die Auswahl ist doch groß genug! :)

  • Zitat

    Original von Kevin -
    Klasse Artikel! [Blockierte Grafik: http://www.cosgan.de/images/smilie/froehlich/g015.gif]

    Aber dass bei Fussball-Fans so gewalttätig sind, ist auch nicht wahr.

    dann biste aber kein regelmäßiger Stadiongänger... :D ich bin seit 1992 regelmäßig in Stadien von der Bundes- bis zur Regionalliga, und da is schon arg viel Gewaltpotential...

  • Ich finde den Artikel auch gut, nur stört mich ein bisschen, dass Handball-Fans intelligenter sein sollen, nicht das ich was dagegen habe oder das Gegenteil behaupte. Irgendwie stört mich das aber, klingt irgendwie blöd.

    Gruß Jan

  • Es geistert irgendwo der Spruch: Je tiefer der Ball, desto tiefer... (oder auch andersrum: Je höher der Ball, desto höher ...)
    Es ist ja nicht so, dass es nicht auch im Handball üble Szenen gibt, aber die sind doch eher verbaler Art (finde ich auch daneben) Aber körperliche Ausschreitungen habe ich noch nie erlebt.

  • Was das Gewaltpotential beim Fußball angeht, ist Dynamo Dresden wohl das beste Beispiel, für [IRONIE]leicht[/IRONIE] agressive Fans! Was bei denen abgeht ist echt heftig und schadet dem verein sehr oft!

  • Der Artikel trifft es wirklich. Dieses Wochenende war mal wieder Werbung für den Handball.

    So viele Fans von nicht gerade befreudeten Mannschaften in einer Halle und in der S-Bahn wird dann einfach gemeinsam gesungen: WIR SIND ZUM FEIERN HIER!!! Magdeburger, Kieler, Hamburger und Kronauer plus die Fans aus "neutralen" Lagern haben eine tolle Zeit gehabt.

    Sowas wäre im Fussball wohl nicht denkbar. Aber auch das ist doch für die meisten ein Grund warum wir diesen Sport so lieben:)

  • Schöne Selbstbeweihräucherung! Dann würde ich mal gerne wissen, warum in letzter Zeit beim so friedlichen Handball öfter die Schiedsrichter körperlich attackiert wurden. Friede, Freude, Eierkuchen?

    Es ist bestimmt so, dass beim Fussball deutlich mehr potentielle Krawallmacher dabei sind. Das liegt zum einen daran, dass Fussball durch die hohe Wahrnehmung in der Öffentlichkeit einfach populärer ist und man sich dort besser in Szene setzen kann. Ich bin auch oft in Deutschlands Fussballstadien unterwegs und habe es sehr oft erlebt, dass mit den gegnerischen Fans locker beinander gestanden wird, ohne dass es auch nur zu irgendwelchen Krawallen kommt.

    Wenn ich die ständigen Pobeleien gegen Schiedsrichter in den Handball-Hallen erlebe, zweifel ich manchmal schon, ob der Handball-Fan an sich intelligenter ist. Klar, die Regeln sind komplizierter, aber verstehen tun die meisten Handball-Fans sie deshalb auch nicht, zumindestens teilweise nicht.

    Ich weiss selber, dass Handball-Fans sich gegenüber uns Fussball-Fans als niveauvoller erachten. Man könnte das schlichtweg als Arroganz auslegen. Ich sehe es anders: Seid einfach froh, dass das Kroppzeugs unter den Sportfans aus Gründen des höheren Interesses lieber zum Fussball geht als zu einer leider immer noch Randsportart wie dem Handball-Sport, wo die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender das Pokal-Endturnier im dritten Programm verstecken.

    Einmal editiert, zuletzt von Meikel (10. April 2006 um 09:31)

  • Zitat

    Original von Meikel
    Ich sehe es anders: Seid einfach froh, dass das Kroppzeugs unter den Sportfans aus Gründen des höheren Interesses lieber zum Fussball geht als zu einer leider immer noch Randsportart wie dem Handball-Sport, wo die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender das Pokal-Endturnier im dritten Programm verstecken.

    Manchmal ist es aber auch umgekehrt, manch eine "Ultra-Organisation" erreicht durch die Randsportart Handball mehr Aufmerksamkeit als ihre Kollegen beim Fußball, wo es mehr Doppelhalter-Fraktionen gibt.

  • Zitat

    Original von Micha

    Manchmal ist es aber auch umgekehrt, manch eine "Ultra-Organisation" erreicht durch die Randsportart Handball mehr Aufmerksamkeit als ihre Kollegen beim Fußball, wo es mehr Doppelhalter-Fraktionen gibt.

    Aber nur in der Handball-Szene! Und die ist noch überschaubar!

  • Mir ist das auch ein wenig zu heile Welt und zu undifferenziert. Ich werde mir da mal einige Sachen mal zu raussuchen, die mich stören, aber Meikel hat ja auch schon einen großen Teil angemerkt.

    Zitat

    Keine Hasslieder aus heiseren Kehlen dröhnen durch die Shuttlebusse, es wird gefachsimpelt:

    Das liegt vielleicht auch an der diesjährigen Zusammensetzung. Im Vorjahr sah das bestimmt anders aus.

    Zitat

    "Handball-Fans sind vielleicht nicht besser als Fußballfans, aber wesentlich niveauvoller", sagt Jens Santen. Der Fanclubvorsitzende der Kieler "Zebrasprotten" ist gemeinsam mit 180 seiner Clubkollegen nach Hamburg gereist, um sein Team anzufeuern.

    Es ist doch immer wieder schön, wie schön man 13.000 und 40.000 Zuschauer alle über einen Kamm scheren kann. Nee, das passt nicht.

    Zitat

    "Hallenverbote kennen wir nicht"

    Hmm, Hallenverbote hat es im Handball auch schon gegeben und Heimspielsperren kennt man ja auch an einigen Orten. Zudem sei mal an die Trillerpfeifenermahnung des Hallensprechers erinnert und das, obwohl doch Nordhorn gar nicht dabei war.

    Zitat

    Beim Fußball reicht es, wenn ich Abseits erklären kann. Aber die Regeln beim Handball sind komplizierter, das setzt eine höhere Intelligenz als beim Fußball voraus."

    Wie bereits von Meikel angemerkt. Im Fußball kennen die meisten Zuschauer die Regeln, weil sie so einfach sind. Im Handball sind die Regeln vielleicht komplizierter, aber der Teil der regelkundigen Zuschauer ist auch nicht besonders hoch.

    Zitat

    Am Ende des ersten Durchganges steht es 9:9.

    Ich hatte die Kröstis mit einem Tor vorne gesehen.

    Original von rro.ch
    Beliebte Sportarten aber auch Randsportarten wie Handball kommen beim Publikum an.

    Einmal editiert, zuletzt von Steinar (10. April 2006 um 10:09)

  • Zitat


    Selbst die Tatsache, dass die 14 Akteure eine der schwächsten ersten Halbzeiten der Pokalfinal-Geschichte abliefern, ist kein Anlass für Unfrieden. Am Ende des ersten Durchganges steht es 9:9. Hätten die Torhüter auf beiden Seiten wenigstens einige mittelschwere Bälle gehalten, hätte das Ergebnis auch 5:5 lauten können. 50 Minuten dauerte die erste Hälfe, bei dem die Spieler mehr auf dem Boden liegen als gelungene Spielzüge zeigen. Trotzdem: Zur Halbzeit gibt es Beifall statt Pfiffe.

    Das zeugt aber von absolutem Sachverstand! :wall:

    Wenig Tore = schwaches Spiel. :pillepalle:

    Die Torhüter waren also auch nicht gut :pillepalle:

    Und trotzdem wird applaudiert. Was für ein schrecklicher Sport. ;(

    Hat der gute Mann schon mal Tennis gesehen? Da wird für jeden Mist geklatscht.

    :) Mache nie zwei mal den selben Fehler, die Auswahl ist doch groß genug! :)

    Einmal editiert, zuletzt von harmi (10. April 2006 um 12:40)

  • Auch wenns jetz hier einige Kritikpunkte gibt ist der Artikel meiner Meinung nach doch recht gut gelungen und das war mal wieder gute Werbung für den deutschen Handball. Mehr davon :hi:

  • Insgesamt ein sehr gelungener Artikel, wobei es doch ziemlich einseitig gesehen wird. Der durchschnittliche Fußballfan ist bestimmt nicht dümmer als der durchschnittliche Handballfan, warum auch? Nur leider gibt es bei Fußball mehr Chaoten.

  • Im Eishockey gibts doch auch viele diffizielen Regeln und wer schon mal da war weiss dass es da ein gehöriges gewaltpotenzial gibt...

    wie ist das zu erklären??? ;)

  • Zitat

    Original von sg-fan86
    Im Eishockey gibts doch auch viele diffizielen Regeln und wer schon mal da war weiss dass es da ein gehöriges gewaltpotenzial gibt...

    wie ist das zu erklären??? ;)


    Im Eishocky gibt es die Gewalt auf der Eisfläche ;)

    Sogesehen ist Basketball von den populären Ballsportarten (ansonsten wäre es natürlich Schach!) noch am harmlosesten!
    Die Fans kloppen sich nicht (hab jedenfalls in Europa noch nicht davon gehört) und auf dem Feld gibt es für die geringste Berührung eine Strafe! Dort werden ja Tätlichkeiten gepfiffen, da würde sich jeder Handballer, geschweige denn Eishockyspieler drüber schlapp lachen!