Ein Leistungszentrum für den Handball-Nachwuchs
09.02.2006
In Großwallstadt soll ein Handball-Leistungszentrum für den Nachwuchs entstehen. Das Projekt, seit eineinhalb Jahren hinter den Kulissen vorbereitet, war am Dienstagabend erstmals Thema einer öffentlichen Debatte. Gerd Schüßler, Geschäftsführer der Großwallstädter Gerwah GmbH und Investor, stellte dem Gemeinderat im Rathaus das 15-Millionen-Euro-Vorhaben vor. Schüßler leitet nicht nur ein Unternehmen, das Kupplungen für Maschinen herstellt, er ist auch Aufsichtsratsvorsitzender der TVG Handball AG und dem Bundesligisten eng verbunden. Neben ihm gelten Siegfried Emmerich und Jürgen Steigerwald von der Großwallstädter Steuerberatungsgesellschaft con.tax, beide ebenfalls im TVG-Umfeld aktiv, als treibende Kräfte.
Internat und Schulungsräume
Der Gebäudekomplex soll auf dem Gelände »Am Neubergsweg« entstehen, das Projekt von drei Säulen getragen werden: dem eigentlichen Leistungszentrum, einem medizinischen Bereich sowie Räumen mit einer Gesamtfläche von 3500 Quadratmetern, die für gewerbliche Zwecke vermietet werden.
Zwei Handballhallen, ein Sportinternat und Schulungsräume für Schiedsrichter sieht die Planung vor. Damit der Bayerische Handballverband in Großwallstadt künftig Trainer und Übungsleiter ausbilden und Auswahllehrgänge veranstalten kann, müssen Kursteilnehmer und Sportler untergebracht werden. Gewährleisten soll das ein Penthousebereich mit Studios und Appartements.
Auf dem medizinischen Sektor sollen sich neben Sportärzten auch Allgemeinmediziner ansiedeln können. Außer Stellplätzen soll es eine Tiefgarage geben. Nach Angaben des Wörther Architekten Klaus Herbert werden 63458 Kubikmeter Raum umbaut, hiervon entfallen 24000 Kubikmeter auf die Sporthallen.
Laut Gerd Schüßler liegt dem Bayerischen Landessportverband (BLSV) mittlerweile ein Antrag vor, die Ausbildungsstätte als Landesleistungszentrum einzustufen. Angestrebt wird darüber hinaus die Anerkennung als Bundesleistungszentrum. Trainingslager der deutschen Handballnationalmannschaft in Großwallstadt auszurichten - das könnte für den DHB aufgrund der Nähe zum Frankfurter Flughafen ein reizvoller Gedanke sein. Auch mit dem bayerischen Kultusministerium haben die Initiatoren Gespräche geführt. Dabei ging es um die Planstelle für eine Lehrkraft.
Ähnlich wie Gerd Schüßler bezeichnet TVG-Vorstand Georg Ballmann das Leistungszentrum »als Chance für die Region«. Das Projekt sei in enger Kooperation mit dem TV Großwallstadt entwickelt worden; es biete den Jugendlichen der Region die Perspektive, in der 1. und 2. Bundesliga spielen zu können.
Vor allem aber geht es dem TVG um ureigene Interessen. Jahrzehntelang hat der Bundesligist seine Jugendarbeit sträflich vernachlässigt. Während die Konkurrenz Lücken mit Spielern aus eigenen Zweitliga- oder Regionalligateams schließen konnte, war der TVG ohne diesen Unterbau. Dafür bediente man sich zunehmend der besten Ballwerfer aus den Nachbarvereinen Kirchzell und Obernburg.
Tuspo nicht dabei
Dort sieht man das Projekt bei weitem nicht so euphorisch wie in Großwallstadt. Dr.Winfried Müller, Vorsitzender des Förderkreises der Tuspo Obernburg, weist auf eine zunächst angestrebte Kooperation hin. Gemeinsam sollten Jugendliche aus verschiedenen Vereinen in dem Leistungszentrum ausgebildet werden.
Weil es die Satzung jedoch nur zulässt, dass lediglich eine aus diesem Verbund hervorgehende Mannschaft in der höchsten Spielklasse antreten darf, befürchteten die Tuspo-Verantwortlichen Frusterlebnisse beim eigenen Nachwuchs. »Das war unser K.o.-Kriterium; jetzt geht es getrennte Wege«, so Müller. Er sieht nun die Gefahr, dass sich nicht nur der Wettbewerb um die Handballtalente, sondern auch der Kampf um die Sponsoren-Gelder verschärft, glaubt aber die Tuspo gut aufgestellt. Im Grundsatz begrüßt er das Leistungszentrum als »Möglichkeit, die Attraktivität und Popularität des Handballsports in der Region zu stärken«.
Bitter für Kirchzell
Zwei Herzen schlagen in der Brust von Gottfried Kunz, Trainer beim Turnverein Kirchzell. Einerseits bezeichnet er das Leistungszentrum als »Riesengewinn für die Region«, zum anderen »müssen wir uns damit wohl abfinden, dass wir niemals mehr ein Endspiel um die deutsche Meisterschaft bestreiten werden« - bitter für das erfolgsverwöhnte Handballdorf.
Kunz, der von Bernd Roos bis Bernd Hofmann schon viele »Eigengewächse« zum TVG hat abwandern sehen, kennt die Automatismen des Leistungssports - und so manchen Trick. Gegenwärtig bohrt er beim Deutschen Handballbund. Sein Vorschlag: Das Doppelspielrecht ausweiten auf Jugendliche. Kunz? Nachwuchstalente sollen im Leistungszentrum gefördert werden, zugleich aber dem Regionalligateam des TVK erhalten bleiben.
Martin Roos/Manfred Weiß
quelle: main echo