Und niemand hatte Schuld ...

  • Auch auf die Gefahr hier, hier eine Einstellung zu wiederholen (so lange bin ich hier noch nicht dabei und ich habe mir ehrlich gesagt nicht die Mühe gemacht nachzuschauen), nachfolgender Text eines unbekannten Autors zur Diskussion oder einfach nur zum Lesen. Ich habe ihn seinerzeit als Artikel aus der ersten 2004er Ausgabe des „Stern“ herausgerissen und diese Seite ist mir gerade beim Durchforsten eines der mittelhohen Papierhaufen neben meinem Schreibtisch (die auf dem Tisch sind etwas kleiner, dafür aber die im hinteren Bereich des Raumes größer, ja, ja, die „Jäger und Sammler“) wieder in die Hände gefallen. Mit spricht er im Sinne meiner Generation bzw. ehrlich gesagt auch als als Jugend- bzw. Kinderhandballtrainer mehr als aus der Seele, vielleicht erkennt sich der ein oder andere ja auch wieder :

    Und niemand hatte Schuld ...

    Wenn Du als Kind in den 50er-, 60er- oder 70er-Jahren lebtest, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten!
    Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt in strahlenden Farben voller Blei und Cadmium. Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel. Auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm. Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar. Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren, und wir hatten nicht mal ein Handy dabei! Wir haben uns geschnitten, brachen uns Knochen und Zähne, und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle. Niemand hatte Schuld, außer wir selbst. Wir aßen Kekse und wurden trotzdem nicht zu dick. Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und niemand starb an den Folgen. Wir hatten nicht: Playstation, Nintendo 64, X-Box, Videospiele, 64 Fernsehkanäle, Filme auf Video, Surroound-Sound, eigene Fernseher, Computer, Internet-Chatrooms. Wir hatten Freunde. Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße. Oder wir marschierten einfach zu deren Heim und klingelten. Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln, sondern gingen einfach hinein. Keiner brachte uns, keiner holte uns. Wie war das nur möglich? Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die Prophezeiungen trafen nicht ein: Die Würmer lebten nicht in unseren Mägen für immer weiter, und mit den Stöcken stachen wir nicht besonders viele Augen aus. Beim Straßenfußball durfte nur mitmachen, wer gut war. Wer nicht gut war, musste leben, mit Enttäuschungen klarzukommen. Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung. Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung. Mit alldem wussten wir umzugehen.

    Du gehörst auch dazu. Herzlichen Glückwunsch!

  • Ich bin erst Ende der 80er geboren und erkenne dennoch ein paar Punkte aus meiner Kindheit, die ja manchmal noch nicht mal vorbei ist.
    Also, ist es nun gut, dass "wir" uns so weiter entwickelt haben, oder doch eher nicht?

  • Also ich bin Mitte der 80er geboren und sehe trotzdem viele Sachen, wenn ich in meine Kindheit zurückblicke. Wir haben auch immer auf der Straße gespielt und leben heute noch alle. Ich finde es einfach total grausam, wenn ich Mütter mit ihren Kindern auf den Spielplätzen sehe und dann Aussagen höre wie: "Mach dich nicht so dreckig!" "Lass die anderen auch mitspielen!" "Kletter nicht so hoch!" usw. Eltern, lasst eure Kinder doch bitte auch Kinder sein. Man muss nicht immer und überall der/die Beste sein um angesehen zu werden. Kinder die Spaß am Leben haben, sind meisten die glücklichsten Kinder. Und die, die es später mal gut haben werden.

    La bella vita

    It’s a beautiful life, so let it in your heart

    My bella vita

    It’s a beautiful life, no matter who you are

  • Naja die anderen Kinder auch mitspielen zu lassen ist vielleicht gar nicht so schlecht. Ich bin 1986 geboren und erkenne mich in dem Text oben auch noch sehr gut wieder. Handy? Fehlanzeige. PC? Nein...TV?? Nur Kindersendungen und auch das nur in Maßen...stattdessen spielen mit den Freunden draußen im Wald (wir haben auch in ner sehr schönen Gegend gewohnt), oder halt auch mal drinnen...war halt echt ne super schöne Zeit- und wir leben auch noch alle ;) obwohl wir alle mal uns die Knie aufgeschlagen haben oder mal nen Abhang runter gekullert sind oder sonst was...
    Ansonsten seh ich das jetzt sehr gut bei meinem Cousin und meiner Cousine (8 Jahre und 4 Jahre)- da fängt das im Kindergarten und Grundschulalter schon mit PC Spielen und Handys an...
    und ich seh´s ja auch an mir selber, ich frag mich heute auch oft genug: Was würdest du nur ohne Handy machen- wie hast du das eigentlich früher gemacht??

    Also ich bin ehrlich gesagt froh, ne Kindheit ohne diese ganze Technik usw. gehabt zu haben... :)

    Das Leben ist eine endlose Probe für eine Vorstellung, die nie stattfindet.

  • Mich würde mal interessieren, wie die "Kinder" der 90er-Jahre über diesen Text denken...

    Ich hatte mit 13 meinen ersten eigenen PC(!) und mit 14 nen eigenen Telefonanschluss. Sicherheitsgurte sind mir seit Kindheitstagen bekannt, Kindersitze waren damals noch nicht "in". Bis ich 10 war haben wir neben einem Aussiedlerhof gewohnt, da ist auch allerhand passiert und ich habe überlebt :)

    Einen eigenen Fernseher hatte ich erst, als ich von zuhause ausgezogen bin (d.h. mit 20). Auch ich erkenne mich wieder. Aber mit bald einem Vierteljahrhundert auf dem Buckel ist das wohl keine große Kunst.

    MfG Felix0711

    "Deshalb unterstütze ich mit vollstem Enthusiasmus ein Projekt, das abendländischen Humanismus mit moderner Technik verbindet – den Bau eines unterirdischen Doms!"
    Harald Schmidt

  • Ich find´s auch schlimm, wie die Kiddies heutzutage teilweise überbemuttert werden. Da steht die Mutti um 12 Uhr mit der Familienkutsche vor der Schule um ihre Blagen abzuholen, dabei sind es bis zur eigenen Haustür gerade mal 500 mtr. Ich bin schon als fünfjähriger alleine zum Kindergarten und zurück. Oder hab mich alleine, od. mit Freunden, stundenlang in der Stadt oder in Feld, Wald und Wiese herumgetrieben. Ich ging nie verloren dabei und hab immer wieder nach Hause gefunden. Und auch wenn ich wegen diverser Blessuren einige Zeit lang Stammmgast in der Unfallaufnahme der Kinderklinik war ("Ah, der kleine Schröder ist wieder da") ich hab alles überlebt und dabei so wichtige Erfahrungen gesammelt wie: Ich soll mich nicht kopfüber einen total vereisten Hang hinunterstürzen, ich soll nicht nach einer Wespe schlagen die gerade auf meiner Unterlippe sitzt
    usw.usw...

    Heimat ist, wo das Herz weh tut!

  • Und wieder einmal "früher war alles besser" ;)

    Ich bin auch auf Bäumen rumgeklettert, über Zäune geklettert und hab mich verfangen, bin im winter nicht sofort nach hause gelaufen um mich umzuziehen sobald die Klamotten nass waren und bin wie bekloppt mit meiner Fietse die Hänge rauf und runter gedüst (oder Radrennen in Wendehammern - auch schön!).

    Man konnte überall unangemeldet reinschneien und überall waren die Türen offen - oder man wusste, wie man reinkommt. Eine Uhr besaß ich damals nicht - sobald die Glocken läuteten, musste ich nach Hause.

    Zum Thema "Computerspiele": das Größte war damals dieses Spiel mit den zwei Balken im TV - Tennis?

  • Zitat

    Original von Bienchen
    Zum Thema "Computerspiele": das Größte war damals dieses Spiel mit den zwei Balken im TV - Tennis?


    Ich glaube das hieß "Arkanoid" oder so ähnlich. War genial! :D

    MfG Felix0711

    "Deshalb unterstütze ich mit vollstem Enthusiasmus ein Projekt, das abendländischen Humanismus mit moderner Technik verbindet – den Bau eines unterirdischen Doms!"
    Harald Schmidt

  • Zitat

    Original von Felix0711


    Ich glaube das hieß "Arkanoid" oder so ähnlich. War genial! :D

    Also der Beschreibung nach würde ich auf "Pong" tippen - Arkanoid war doch schon viiiel komplizierter, oder?

  • Jaaaaaaaaaaaaa - Pong war es!

    Zwei Balken, ein Ball und ein ewiges Hin- und Her - das zum damaligen Zeitpunkt (ca. 1984) für uns in der Provinz höchster Fortschritt ;)

  • Zitat

    Original von Bienchen
    Jaaaaaaaaaaaaa - Pong war es!

    Zwei Balken, ein Ball und ein ewiges Hin- und Her - das zum damaligen Zeitpunkt (ca. 1984) für uns in der Provinz höchster Fortschritt ;)

    Allerdings!
    Und was war das immer für ein Kampf, am einzigen Fernseher im Haus jetzt Pong spielen zu dürfen - gab ja schließlich die gigantische Auswahl aus 5 (in Worten: fünf) Programmen!

  • Zitat

    Original von franky77

    Allerdings!
    Und was war das immer für ein Kampf, am einzigen Fernseher im Haus jetzt Pong spielen zu dürfen - gab ja schließlich die gigantische Auswahl aus 5 (in Worten: fünf) Programmen!


    ...und Thomas "Haribo" Gottschalk machte das Spiel in seiner Sendung "Na Sowas" o.ä. gesellschaftsfähig, indem er das Publikum stöhnen lies, um den Balken zu bewegen :D

    Lieber WM-Fünfter als Vize-Weltmeister im eigenen Land

  • Zitat

    Original von franky77

    Allerdings!
    Und was war das immer für ein Kampf, am einzigen Fernseher im Haus jetzt Pong spielen zu dürfen - gab ja schließlich die gigantische Auswahl aus 5 (in Worten: fünf) Programmen!


    Okay, bei Programmen aus 1984 muss ich passen... Normal waren wohl drei Programme denke ich (ARD, ZDF, 1 regionales Drittes). Mit ganz viel Glück in den "Grenzgebieten" zwischen den Bundesländern vielleicht vier oder gar fünf (Mainfranken / Südhessen: ARD, ZDF, BR, HR, SWF - das höchste der Gefühle!).

    MfG Felix0711

    "Deshalb unterstütze ich mit vollstem Enthusiasmus ein Projekt, das abendländischen Humanismus mit moderner Technik verbindet – den Bau eines unterirdischen Doms!"
    Harald Schmidt

    Einmal editiert, zuletzt von Felix0711 (2. November 2005 um 15:36)

    • Offizieller Beitrag

    Fünf Programme? 8o Ich musste bis Anfang der 90er mit drei Programmen auskommen...

    Dafür gab es den ersten PC-ähnlichen Computer schon 1981, allerdings durfte ich erst ran, als ich 5 war :(
    Der Schritt vom ZX 81 (Festplatte gab es nicht, aber Arbeitsspeicher war auf 4 KB getunt :lol: ) zum ZX Spektrum+ war schon gigantisch, der hatte sogar richtige Tasten.

    Und trotzdem war ich als Kind und Jugendlicher meist unterwegs. Ich hatte übrigens eine Uhr, meine Schwester allerdings nicht, die hat sie immer nach zwei Tagen verloren :D

  • Zitat

    Original von Felix0711
    Mit ganz viel Glück in den "Grenzgebieten" zwischen den Bundesländern vielleicht vier oder gar fünf (Mainfranken / Südhessen: ARD, ZDF, BR, HR, SWF - das höchste der Gefühle!).

    :respekt: Felix für diese Aufzählung! Wobei SWF schon eher schlechte Qualität hatte ....

    Zitat

    Original von Ronaldo
    Fünf Programme? Ich musste bis Anfang der 90er mit drei Programmen auskommen...

    Siehe Erklärung von Felix - wir hatten 3 "Dritte" ...

  • und dann bitte schön nicht zu vergessen DDR1 und DDR 2, da lief nachmittags (wenn bei uns sziwschen 13.15 und 16.15 Uhr nach den letzten Nachrichten nur das Testbild zu sehen war) bereits schon Bildungsfernsehen ("Say after me plesae ..! ") :lol:

    oder Sonntagmorgens "Machs mit, machs nach, machs besser !" mit Adi, so´n hässlicher, ganz aufgekrazter Kerl mit Schirmmütze, der immer ein systemkonformes FDJ-Mädels an der Seite hatte ...