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“Nordhorn ist OK - nur fehlt ein vernünftiges Kino”
Die Leidenszeit neigt sich ganz offenbar dem Ende entgegen. Holger Glandorf, Handball-Profi in Diensten der HSG Nordhorn, ist auf dem Wege der Besserung. Und – wenn alles glatt läuft – bald wieder da, wo er noch im April dieses Jahres stand: Auf dem Handball-Parkett, im Rückraum der HSG und ganz weit oben in der Torschützenliste der Handball-Bundesliga. „Ich bin seit rund eineinhalb Wochen wieder im Mannschaftstraining“, so der 22-jährige Rückraumshooter, „darf allerdings noch nicht das volle Programm
mitziehen.“
Schonung ist offenbar angesagt für den Mann, der seit seinem Wechsel in die Grafschaft vor rund sechs Jahren, als er mit gerade einmal 16 Lenze vom SG/Post Osnabrück kam, einen kometenhaften Aufstieg erlebte. A-Jugend, 2. Mannschaft, Bundesliga und seit November 2003 sogar Nationalmannschaft: Der Mann mit dem legendären Zug im linken Arm wird von nicht wenigen als legitimer Nachfolger des langjährigen Rückraumrechten in der DHB-Auswahl, Volker Zerbe, gehandelt. Immerhin: In 31 Länderspielen erzielte Glandorf bereits 79 Treffer. Und das, obwohl er sich die Position im Angriff mit dem Kieler Wurfwunder Christian Zeitz teilen muss und nicht über so üppige Einsatzzeiten wie im Verein verfügt. Dennoch: „Ein überragendes Gefühl, dabei zu sein“, sagt er, und denkt gern daran zurück, als zum ersten Mal Post von Heiner Brand in seinem Briefkasten lag mit der Einladung zu zwei Länderspielen gegen Norwegen. „Du bist jetzt Nationalspieler“, dachte er damals voller Verwunderung. „Darauf war ich ziemlich stolz.“
Ein paar Länderspiele mehr hätten es sogar sein können, wären da nicht dieser ominöse 30. April und das Auswärtsspiel in Pfullingen gewesen. Jener Tag, der der bis dahin steilen Karriere des Holger G. ihren ersten Knick bescheren sollte. Gerade einmal zehn Minuten dauerte das Match, als der Linkshänder zum Wurf hochstieg um sein 180. (!) Feldtor der Saison zu erzielen, in der Luft einen Stoß bekam und er auf dem linken Bein landete. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch „bei der Landung hat es mir das Knie durchgeschlagen“, sagt Glandorf.
Das ist nun vier Monate her. Nun, da ein Ende der Leidenszeit in Sicht ist, hat Glandorf seinen unerschütterlichen Optimismus wieder gefunden. Auch weil sein Coach Ola Lindgren signalisiert, wie sehr er auf seine Rückkehr wartet. „Holger fehlt uns sehr“, so der schwedische Coach, „weil wir mit ihm an Durchschlagskraft aus dem Rückraum gewinnen.“ Doch unmittelbar nach der Verletzung „war ich schon frustriert“. Zehn Tage lief er mit der Ungewissheit herum, sich möglicherweise einen Kreuzbandriss zugezogen zu haben. Dann endlich die Erlösung. Der Innenmeniskus war gerissen, aber dass Kreuzband hatte nur einen leichten Kratzer abbekommen. „Glück im Unglück“, so Glandorf, „dass ich das kleinere Übel erwischt habe.“
Was dann folgte, kennt jeder Sportler, der sich schon einmal mit langwierigen Verletzungen herumgeplagt hat. Holger Glandorf wurde Dauergast im Trainings- Therapie-Zentrum (TTZ) in Bad Bentheim. Die ersten sechs Wochen, in denen er noch mit Gehhilfe zu seinen täglichen Übungen kam, standen ganz im Zeichen des Muskelerhalts. Von Montag bis Samstag leichte Übungen, die das Knie keinesfalls überbelasten durften. Passive Bewegung unter Anleitung von Oliver Dienemann, dem Leiter des TTZ und seines Physiotherapeuten Dirk Möller. Eine echte Geduldsübung. „Bloß gut“, sagt Glandorf, „dass zum Zeitpunkt meiner Verletzung die Europacup-Teilnahme gesichert war und ich die Sommerpause zur Heilung nutzen konnte.“
Erst danach begann er mit leichten Kraftübungen. Das TTZ in Bad Bentheim wurde ihm in dieser Zeit zur zweiten Heimat. Jetzt begibt er sich noch dreimal pro Woche zum Krafttraining und zu handballspezifischen Koordinations- und Aufbauübungen in die Hände der fachkundigen Angestellten des TTZ. „Für mich war es eine sehr gute Ablenkung, dass ich in dieser Zeit meine schriftliche Prüfung zum Speditions-Kaufmann machen musste.“ Den Abschluss seiner Ausbildung, die er im Speditions-Unternehmen Rigterink absolvierte, gestaltete er übrigens erfolgreich. Kein Wunder, bei so viel Zeit.
Insofern hat er die erste schwierige Phase seiner Laufbahn gut verkraftet. Während er am Abend daheim entspannte und sich mit Büchern der Krimiautoren Henning Mankell und John Grisham ablenkte, umsorgte ihn seine Lebensgefährtin Christin, mit der er seit geraumer Zeit eine Drei-Zimmer-Wohnung in Nordhorn teilt. „Es gab Momente in dieser Zeit, da war ich einfach nur noch froh, daheim zu sein, die Tür zu schließen und meine Ruhe zu haben.“
Das alles soll bald wieder anders werden. Schließlich ist er weder ein Stubenhocker, noch jemand, der sich in Nordhorn unwohl fühlt. Das Gegenteil ist der Fall. Freundin Christin und er bewegen sich in einem großen Freundeskreis. „Und dass in Nordhorn nicht so viel los ist, wie in einer Großstadt, kommt mir sehr entgegen, da ich auch ein ruhiger Mensch bin. Allein die Tatsache, dass es in seiner Wahlheimat „kein vernünftiges Kino gibt“, bedauert der Linkshänder ein wenig. „Aber das nehme ich gern in Kauf, um dem Trubel einer Großstadt aus dem Wege zu gehen.“
Das alles hat wohl auch im Frühjahr dieses Jahres den Ausschlag gegeben, den Vertrag mit der HSG, der zuvor bis zum Sommer 2006 befristet war, vorzeitig um weitere zwei Jahre bis Juni 2008 zu verlängern. Und das, obwohl zahlreiche Anfragen aus der Liga vorlagen. „Ich kann mir gut vorstellen, noch länger zu bleiben, wenn weiterhin innerhalb der Mannschaft alles stimmt und ich mich hier wohl fühle.“ Bleibt allein zu hoffen, dass Holger Glandorf schon bald wieder seiner eigentlichen Profession, dem Handballspielen, nachgehen kann. Eine Prognose wagt er nicht, doch sollte sein operierender Arzt Dr. Pieper (Bremen) bei der Untersuchung in der kommenden Woche Grünes Licht geben, werden die HSG-Fans ihren Liebling noch im September wieder sehen. Bis dahin gilt es: Daumen drücken.
Quelle: Hallenheft HSG Nordhorn (von Arnulf Beckmann)