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Pro und Contra Play-offsDie Frage nach dem "richtigen" Modus aus Sicht eines Bundesliga-Kenners.
Der 33-jährige Tim Oliver Kalle ist Redakteur beim HandballMagazin und kümmert sich seit zwei Jahren freiberuflich um die Pressearbeit der deutschen Handball-Nationalmannschaft der Damen. In dieser Kolumne schreibt er über die aktuelle Diskussion zu Play-offs in der Handball Bundesliga der Männer.
Im Basketball gehören sie zum guten Ton, Eishockey wäre ohne sie nur halb so cool - Play-offs. Ein irres Spektakel für Zuschauer und Medien, ein brillante Bühne für Helden und Verlierer. Stoff für legendäre Geschichten.Muss man haben, zählt zum Standard, ist einfach "in". Brauchen wir also auch im Handball endlich Play-offs? Die Diskussion ist wieder im Gange und beschäftigt die Szene, doch darauf gibt es als Antwort nur ein entschiedenes Jein. Stellen Sie sich den Showdown der Handball-Bundesliga vor: mit Play-offs, beginnend mit einem Viertelfinale, hin zu einem fantastischen Showdown dem Endspiel um die deutsche Meisterschaft. Klingt gut, oder? Könnte auch funktionieren, aber eigentlich gibt es keinen besonderen Grund, die Idee in die Praxis umzusetzen. Oder langweilen Sie sich etwa mit der Liga in ihrem jetzigen Zustand? Argumente, dem Status quo treu zu bleiben, gibt es in Hülle und Fülle:
Die Bundesliga mit klassischer Hin- und Rückrunde hat sich bewährt und besitzt noch immer riesiges Potenzial. In den letzten Spielzeiten stellten die 18 Vereine immer wieder Zuschauerrekorde auf. Und Langeweile kam bisher sehr selten auf. Zu den Eigenarten der stärksten Liga der Welt zählt nämlich gerade die unglaubliche Ausgeglichenheit dass der Spitzenreiter gegen das Schlusslicht verliert, ist immer möglich. Trotzdem ist offenkundig, dass das Gefälle zwischen Spitzenteams und Kellerkindern gewachsen ist.
Vielen Spielern und Trainern ist der Gedanke an Play-offs jedenfalls ein Gräuel. Ihr Argument ist einfach: Eine Meisterschaft nach Hin- und Rückrunde ist der Lohn für Konstanz auf hohem Niveau, der Titel nach Play-offs eine Frage von Glück oder Pech. Ein schlechtes Spiel kann einen Verein um den Lohn einer ganzen Saisonarbeit bringen. Stellen Sie sich vor, der TBV Lemgo hätte sich in der Spielzeit 2002/03 nach seinem prächtigen Parforceritt noch Play-offs stellen müssen und dort womöglich noch die Meisterschaft verspielt. Wäre das gerecht gewesen? Genau diese Frage beschäftigt derzeit die Frauen des 1. FC Nürnberg und ihren Trainer Herbert Müller, die das Geschehen in der Bundesliga bisher dominiert haben. Nun müssen sie Platz eins in einer Art Play-off verteidigen, denn die Frauen spielen ihren Meister erstmals im K.o.-System aus, beginnend mit einem Viertelfinale mit Hin- und Rückspiel nach Europapokalregeln. Ein schlechter Tag, und alles kann verloren sein.
Der Wechsel der Frauen-Bundesliga von der klassischen Doppel- zu einer Einfachrunde, zwei anschließenden Hauptrundengruppen und Play-offs offenbarte eine weitere Schwäche: Die Vorspiele werden entwertet. Darum kehrt der Ligaverband HBVF bereits in der kommenden Saison zur klassischen Doppelrunde zurück, nutzt aber zur Klärung der Meisterfrage für die ersten vier Teams weiter Play-offs. Das Experiment könnte bei den Frauen funktionieren und mehr als regionales Interesse schaffen und ist allemal einen Versuch wert.
Tim Oliver Kalle
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und der hintergrund...
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Rekordkulissen
Vergrault der neue SHL-Modus die Zuschauer?30'925 Zuschauer – so viele wie noch nie bei einem Klubhandball-Spiel – drängten sich zum Saisonauftakt in die Arena AufSchalke. Weltrekord! Derweil herrscht in der Schweiz in Sachen Zuschauerinteresse nichts als Tristesse.
Der TBV Lemgo mit Marc Baumgartner trug sein erstes Heimspiel der Saison 04/05 im 150 Kilometer entfernten Gelsenkirchen aus. Für die Partie gegen den Meisterschafts-Mitfavoriten THW Kiel wurde die Arena AufSchalke vom Fussballtempel in eine Handballmanege umgebaut. In der Mitte des Fussballfeldes wurde eine Zusatztribüne für 3'700 Zuschauer erstellt. So viele Plätze fasst die gewohnte Heimhalle der Lemgoer. Mit den insgesamt rund 14'000 Fans der beiden Teams und gut nochmals so vielen weiteren Zuschauern erlebte die Bundesliga eine Kulisse, wie sie der derzeit in unserem nördlichen Nachbarland boomende Sport sicher verdient.11'468 Zuschauer – durchschnittlich 716 pro Spiel – verfolgten die bisherigen 16 Partien der SHL. Ob dies sogar einen Minusrekord bedeutet, ist nicht sicher eruierbar. Tatsache ist aber, dass Partien vor halbleeren Kulissen nicht gerade zum Imagegewinn des Handballs in der Schweiz beitragen. Eine wirtschaftlich schwierige Zeit kann auch kaum als Begründung für den schwachen Zuschauerzuspruch herangezogen werden. Denn keiner würde in Deutschland behaupten, dass man sich in einer konjunkturellen Blütezeit befinde. Also dürften die Gründe woanders liegen.
Sicher nicht unschuldig für die Malaise ist der neue SHL-Modus. 21 Runden lang, 1’260 Minuten je Team, geht es einzig darum, die Play-off-Begegnungen und das Heimrecht zu bestimmen. Richtig zur Sache geht es also erst ab April 2005. Das mag zugegebenermassen den Effekt haben, dass die Klubs jetzt junge Talente an die SHL heranführen und ihnen vermehrt Einsatzzeit auf national höchstem Niveau ermöglichen können – oder zumindest könnten. Mit dem neuen Modus ist es auch zu erklären, dass in den Teams, welche derzeit das SHL-Tabellenende zieren, (noch) keine Panik ausbricht.
Dennoch wird der neue SHL-Modus wohl kaum der Weisheit letzter Schluss sein. Denn eine Meisterschaft mit 75 % «Geisterspielen» kann ja auch nicht im Interesse der Klubs und des Handballsports sein.
Roland Marti
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