Beiträge von meistermacher2010

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    Europapokal
    Flensburg macht sich Mut vor der Reise nach Spanien. HSV bangt um sieben Spieler.

    Auch Flensburg hat Personalsorgen. Joachim Boldsen, Blazenko Lackovic und Michael Knudsen sind nicht 100-prozentig fit. „Das stört natürlich die Vorbereitung“, sagte Trainer Kent-Harry Andersson, der das Trio aber aller Vorausicht nach in Valladolid einsetzen kann. Trotz des geringen Vorsprungs nach dem 32:30 im Hinspiel sieht Andersson das Finale in Reichweite. „Es ist noch nicht vorbei für uns. Wir haben im Hinspiel etwas zu viele Fehler gemacht. Das müssen wir abstellen“, weiß er. Zudem stellt Andersson sein Team auf ein frenetisches Publikum der Spanier ein. „Es wird ein enges Spiel. Ich glaube, es geht unentschieden aus.“ Das würde der SG Flensburg-Handewitt für den zweiten Final-Einzug nach 2004 (gegen Celje) genügen.

    Ein Hexenkessel wartet am Sonntag (19 Uhr, live bei Eurosport) in der spanischen 320.000-Einwohner-Stadt auf die Norddeutschen, auch wenn die Gastgeber in der für sie ungewohnten Basketball-Arena umziehen müssen.

    Das Polster der Gäste ist äußerst dünn. Flensburg hatte es im Hinspiel in der Hand, einen größeren Vorsprung heraus zu werfen. Doch Unkonzentriertheiten, Abspielfehler in Serie, ein katastrophales Überzahlspiel und ein Rodriguez, der nicht zu stoppen war, bringen die Spanier nun sogar in der Favoritenrolle, auch wenn Flensburgs Trainer Andersson seinen Spielern Mut macht: „Valladolid muss erst einmal mit dem Druck fertig werden, das ist unsere Chance.“

    Kent-Harry Andersson versuchte mit einer akribischen Analyse des Gegners alle Eventualitäten auszuräumen. Der Schwede hat sich mit allen Details im System von Valladolid beschäftigt. Etwa die Laufwege der Iberer bei der „zweiten Welle“, in denen Spielmacher Rodriguez die Fäden in der Hand hat. „Er trifft immer die richtige Wahl“, staunte Andersson. Ein Phänomen sind für ihn auch die beiden Shooter Alen Muratovic und Eric Gull, die nach einem Angriff häufig auf der Bank Platz nehmen. „Die beiden können wegen ihrer vielen Pausen sehr viel Druck auf die Abwehr ausüben“, weiß er. Trotzdem hat sich niemand in Flensburg aufgegeben. „Wenn wir so clever agieren wie Valladolid im Hinspiel“, mutmaßt Manager Thorsten Storm, „sehe ich noch gute Chancen.“

    Im Pokalsieger-Wettbewerb hat der HSV Hamburg nach der 18:20-Hinspiel-Niederlage bei RK Bosna Sarajevo noch alle Trümpfe in der Hand, um das Endspiel zu erreichen. Während der Woche musste Trainer Martin Schwalb allerdings auf bis zu sieben Spieler verzichten. Torsten Jansen und Pascal Hens lagen mit einem Magen-Darm-Infekt flach. Spielmacher Igor Lawrow und Torwart Goran Stojanovic quälten sich in dieser Woche mit muskulären Problemen herum. Auch die rechte Seite ist momentan unterbesetzt. Rekordtorschütze Kyung-Shin Yoon laboriert nach wie vor an einer langwierigen Oberschenkelverletzung. Rechtsaußen Stefan Schröder schlägt sich seit geraumer Zeit mit einer schmerzhaften Beckenprellung herum. Ein Bluterguss ist immer noch nicht abgeklungen. Der gerade zur Wahl zum Welthandballer stehende HSV-Kreisläufer Bertrand Gille bekam in Sarajevo einen Schlag auf die Hüfte und konnte ebenso nicht mittrainieren. Doch am Samstag ab 15:15 Uhr (live im NDR) wollen wieder alle dabei sein.

    Die kleinsten Sorgen des Bundesliga-Quartetts hat der SC Magdeburg, der am Sonntag bei Grass–hopper-Club Zürich den Einzug ins Finale des EHF-Pokals schaffen will. Der Vorsprung nach dem 32:24-Hinspielsieg sollte genügen, um die Schweizer auszuschalten - zumal beim Champions-League-Sieger von 2002 alle Mann an Bord sind.

    Burchard Forth
    Erschienen am 30. März 2007 in "die sportzeitung"

    und:

    El Gigante als Retter

    Vor dem Halbfinale der Champions League
    Große Personalprobleme beim THW Kiel. Blitz-Transfer von Andrej Tschepkin.

    Sie nennen ihn „El Gigante“ – kein Wunder angesichts der beeindruckenden Körpermaße des Andrej Tschepkin: 2,05m groß ist er, 124 Kilogramm schwer, Schuhgröße 50. Vor zwei Jahren hat der gebürtige Ukrainer, der mit Spanien drei Medaillen gewann, eigentlich die Karriere als Leistungshandballer beendet – nach sechs Champions League-Triumphen und diversen anderen Titeln mit dem FC Barcelona. Nun gibt er ein spektakuläres Comeback im schwarz-weißen Trikot des Deutsche Meisters THW Kiel.

    Der 41-jährige Koloss soll beim heutigen Halbfinalrückspiel in der Champions League gegen Portland San Antonio (19 Uhr, live bei Eurosport) vor allem in der Abwehr helfen, die knappe 28:30-Niederlage aus dem Hinspiel zu kompensieren und so den zweiten Finaleinzug nach 2000 zu sichern. „Handball ist mein Leben, ich habe davon geträumt, in Deutschland zu spielen“, erklärte Tschepkin, „es ist eine Ehre, von einem so großen Klub ein Angebot zu bekommen – und das mit 41 Jahren“. Fit genug scheint er noch zu sein: Zuletzt absolvierte er einen Halbmarathon in rund 90 Minuten.

    Ahlm fällt aus

    Notwendig gemacht hatte die Blitz-Verpflichtung die Verletzung Marcus Ahlms. Der schwedische Weltklasse-Kreisläufer hatte sich in Pamplona einen Sehnenanriss in der Schulter zugezogen und fällt für den Rest der Saison aus. Da zuvor schon der Däne Lars Krogh Jeppesen (Bandscheibenvorfall) und der Österreicher Viktor Szilagyi (Knieverletzung) ausgefallen waren und Coach Noka Serdarusic nur noch acht gesunde Feldspieler zur Verfügung standen, musste THW-Manager Uwe Schwenker kurzfristig handeln – bis Dienstag, 19 Uhr, musste der Europäischen Handball-Föderation die Verpflichtung angezeigt werden.

    Speziell im Abwehrzentrum war Ersatz nötig. Zunächst fragte Schwenker bei Volker Zerbe an, dem 284maligen Nationalspieler, der im Sommer seine Karriere beendet hatte und derzeit beim TBV Lemgo als Interimstrainer fungiert. Zerbe sagte ab. Noka Serdarusic fragte in Ungarn an, beim Assistenztrainer Istvan Csoknyai vom Spitzenklub MKB Veszprem, ebenfalls erfolglos. Aber dann fiel Schwenker der Name Tschepkin ein, der dem THW Kiel zuletzt im Champions League-Viertelfinale 2005 das Leben extrem schwer gemacht hatte. Zustande kam der Kontakt über Xavier O’Callaghan, als Manager des FC Barcelona ein Kollege Schwenkers in der Club Handball (GCH). „Ich sehe Andrej als Ergänzung und Hilfe für den Kreis und die Abwehr, damit andere Spieler einmal zum Luftholen kommen“, sagte Schwenker nach dem Coup.

    Hilfe aus Spanien

    Eine hübsche Pointe wäre es allemal, sollte Tschepkin tatsächlich sein Scherflein zum Finaleinzug Kiels und womöglich auch zum so lange ersehnten Triumph in der Königsklasse beitragen. Denn dann hätte ein spanischer Profi der deutschen Bundesliga geholfen, die lange bestehende Dominanz der spanischen Liga Asobal in der Champions League zu brechen – zwischen 1994 und 2001 siegte stets spanische Klubs (2001 der heutige Gegner San Antonio), und auch die beiden letzten Finals waren rein spanische Duelle. Erst ein einziges Mal seit Einführung der Champions League im Jahre 1993 siegte mit dem SC Magdeburg ein Team aus Deutschland (2002).

    Dass ein Kieler Triumph dazu führen würde, dass die Bundesliga in der nächsten Spielzeit vier Mannschaften in der Champions League stellt und die Asobal nur drei – und der ehemalige Klub Tschepkins, der FC Barcelona, dann als derzeitige Tabellenvierter nur im EHF-Pokal antreten würde, ist eine weitere bemerkenswerte Randnotiz.

    Freilich garantiert der Blitz-Transfer keineswegs den Erfolg. Schließlich hat Portland San Antonio in der Runde zuvor den Titelverteidiger Ciudad Real eliminiert. Mit dem kroatischen Aufbauspieler Ivano Balic gastiert der weltweit beste Handballer an der Förde, im Tor stehen mit dem Dänen Kaspar Hvidt und dem Schweden Tomas Svensson zwei herausragende Internationale zwischen den Pfosten, und mit Kapitän Juancho Perez steht ein ähnlicher Hüne wie Tschepkin im Abwehrzentrum. Die Chancen vor 10.250 Zuschauern in der ausverkauften Ostseehalle liegen daher bei 50:50. Nach der 28:30-Niederlage im Hinspiel ist klar: Gewinnt der THW mit drei oder mehr Toren, kann er weiter vom Titelgewinn träumen. Bei einem Zwei-Tore-Erfolg dürften die Kieler nicht mehr als 27 Gegentreffer kassieren - auch dann wäre der THW im Finale.

    Erik Eggers
    Erschienen ebenfalls am 30. März 2007 in "die sportzeitung"

    Gefunden unter http://www.die-sportzeitung.com

    Joachim Deckarm
    Heute vor 28 Jahren schockte ein Sturz die Handballwelt: Deckarm knallte auf den steinharten Boden und blieb regungslos liegen. Die Diagnose: Schädelbasisbruch und Gehirnquetschungen. 131 Tage lag er im Koma. Aber „Jo“ kämpft – bis heute.

    Handball heute? „Vergleichen mit früher“, erinnert sich Joa chim Deckarm, „geht nicht. Das Handballspiel hat sich grundlegend geändert. Die Schönheit ist aus dem Spiel gewichen. Athletik, Kraft und Härte bestimmen heute das Geschehen. Ich finde es schade, aber es ist nun mal so.“

    Und wenn er schon mal dabei sei, könne er auch gleich weiter Kritik üben. Heute bestimme doch das Geld, wo die beste Mannschaft spiele. Ob in der Bundesliga oder im Ausland. „Ich habe es eigentlich nie gesagt, doch heute kann es mir ja keiner mehr übelnehmen: Ich hatte damals auch ein Angebot, von Gummersbach nach Großwallstadt zu wechseln. Ehrlich, ich habe mir das nicht mal durch den Kopf gehen lassen“, sorgt er gut dreißig Jahre später noch immer für Klarheit. Gespräche mit dem ehedem besten Handballspieler der Welt drehen sich meistens noch immer um Handball.

    Lebensgefahr

    Obwohl der Weltmeister von 1978 eigentlich alles andere als angenehme Erinnerungen daran haben dürfte. Zwar ist Handball noch immer sein Leben – der 53-Jährige besucht auch weiterhin die Heimspiele des saarländischen TV 08 Niederwürzbach –, doch um ein Haar hätte ihn dieses Spiel fast das Leben gekostet. Am 30. März 1979, als der VfL Gummersbach – mit Deckarm und Heiner Brand – im Europapokal-Spiel beim ungarischen Verein Banyasz Tatabanya antritt.

    Es ist ein grauer Freitag, daheim im Rheinland, an dem in den Zeitungsredaktionen niemand über Handball diskutiert, sondern über die Teilschmelze des Reaktorkerns im AKW Three Mile Islands im amerikanischen Harrisburg. Alle – Feuilletonisten wie Sportreporter – reagieren wie aufgeschreckte Hühner: Kann das auch bei uns in Deutschland passieren? Im Fernseher tanzen währenddessen deutsche und ungarische Handballspieler über einen bläulich glänzenden und gefährlich glatt aussehenden Hallenboden.

    Bis zur 23. Minute. Da bekommt Deckarm bei einem Tempogegenstoß den Ball auf Hüfthöhe zugespielt, stößt dabei in der Luft mit seinem ungarischen Gegenspieler Lajos Panovic mit dem Kopf zusammen und prallt – im Fall bereits bewusstlos – mit dem Hinterkopf auf einen scheinbar weichen Kunstoffboden. Doch der entpuppt sich als dünner Überzug auf steinhartem Beton. Deckarm wird sofort in die rund fünfzig Kilometer entfernte Johannesklinik nach Budapest gefahren.

    131 Tage

    Dort ergibt die erste Diagnose: doppelter Schädelbasisbruch, schwere Gehirnquetschungen und ein zehn Zentimeter langer Riss in der Hirnhaut. Der wurfgewaltigste Torjäger Europas – regungslos, ohne Reaktion auf Ansprache und äußere Reize, aber mit offenen Augen und funktionierendem Kreislauf – wird erst in die Uniklinik Köln, neunzig Tage später – immer noch im Wach-Koma – in die saarländische Uniklinik Homburg verlegt.

    Professor Hans-Joachim Hannich vom Institut für Medizinische Psychologie an der Universität Greifswald erklärt Deckarms Krankheitssymptom so: „Das Erleben und Empfinden eines Wachkoma-Patienten ist in etwa vergleichbar mit dem Empfinden eines Säuglings, nach dem Prinzip: ‚Es tut weh – es tut nicht weh‘, oder: ‚Es tut wohl, es tut nicht wohl.“ Wobei sich unter dem Begriff „Wachkoma“ ein schweres, komplexes Krankheitsbild verbirgt, bei dem sich die Patienten über Wochen, Monate oder sogar Jahre in einem Stadium zwischen tiefem Koma und Wachbewusstsein befinden können.

    Als „Jo“, wie ihn seine Freunde rufen, nach 131 (!) Tagen aus der monatelangen Dämmerung zwischen Nichtleben und Nichtsterben erwacht, fühlt sich dieser 1,94 Meter große Modellathlet und einst so kregle und muntere Medizinstudent in der geistigen Welt eines Kleinkindes gefangen. Zum zweiten Male in seinem Leben lernt er, die Worte „Mama“ und „Papa“ zu formen, einen Löffel zum Mund zu führen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das alles, vor allem aber denken und schreiben, lehrt ihn von 1982 an sein väterlicher Freund und ehemaliger Entdecker, der Handball-Trainer Werner Hürter.

    Der 1995 verstorbene frühere Polizeibeamte dachte sich Trainingsprogramme auf dem Fahrrad, im Schwimmbecken und bei der Gymnastik aus. Und Deckarm, der einst die gegnerischen Torhüter mit seiner Sprungkraft und seiner Schnelligkeit nicht selten vor unlösbare Probleme gestellt hatte, kämpfte wie einst auf dem Handballfeld. Dabei habe er sich immer wieder gesagt: „Ich kann, ich will, ich muss.“ In 104 Länderspielen warf Deckarm einst 381 Tore. Mit dem VfL Gummersbach erspielte er dreimal die deutsche Meisterschaft (1974, 1975, 1976) und gewann zweimal den Europa-Pokal (1974, 1978).

    Viele Freunde

    Seit 2002 lebt der „wahrscheinlich kompletteste Handballspieler aller Zeiten“ (Vlado Stenzel) in seiner Heimatstadt Saarbrücken in einer eigenen Wohnung des paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Betreut zwar, aber völlig selbstständig. Mitten in der Stadt, gegenüber dem Beethovenplatz, wo seine vielen Freunde parken können. Am Wochenende besucht er regelmäßig seine 83-jährige Mutter, und wenn die, wie vor zwei Jahren, mal ins Krankenhaus muss, schauen regelmäßig seine Handball-Kameraden aus der 78er WM-Mannschaft vorbei. Wenn nicht, verbringt er die Abende bei einer Wohngemeinschaft in diesem „Haus der Parität.“

    Mutter Ruth Deckarm: „Es ist ein Glück, dass Joachim so viele Freunde hat. Seine finanzielle Absicherung lässt mich ruhig in die Zukunft blicken.“ So wehrt er sich mit Erfolg gegen ein Invalidenleben in völliger Abhängigkeit und ist in den letzten Jahren auch immer wieder auf Reisen gegangen. 1999, zum Beispiel, hat er in Ägypten sogar die Gruppen für die nächste Weltmeisterschaft ausgelost. Und bei der letzten WM im Januar begrüßte ihn beim Eröffnungsspiel in Berlin Bundespräsident Horst Köhler als umjubelten Ehrengast.

    Scheu vor der Öffentlichkeit, wie in den ersten Jahren nach seinem monatelangen Wachkoma, kennt er längst nicht mehr. Daheim in Saarbrücken beantwortet er an seinem Computer mit Spezialtastatur – und betreut von einer jungen Helferin – akribisch seine tägliche Fanpost, wobei er über tausend Autogrammwünsche per anno zu erledigen hat. Darunter auch Verehrerpost aus Amerika, die einfach an „Joachim Deckarm, Saarbrücken“ adressiert war und ihn selbstverständlich erreicht hat. „Dennoch“, sagt sein Freund Heiner Brand, der Trainer der Handball-Weltmeister von 2007, „dürfen wir nicht zu optimistisch sein. Denn Jo wird immer auf Hilfe von außen angewiesen bleiben.“ Ein Leben lang.

    Klaus Blume
    Erschienen am 30. März 2007 in "die sportzeitung"