Spannend wird es auf jeden Fall, ich glaube aber nicht, daß die SPD in den nächsten zehn, zwanzig Jahren nochmal am großen Rad drehen wird. Schröders Agendapolitik hat der Partei auf Jahrzehnte geschadet. Man darf sich mal die absoluten Stimmen der letzten fünf Bundestagswahlen ansehen, dann wird klar, wie das schrödersche Erbe für die Partei aussieht (Zahlen gerundet):
1998 Gültige Zweitstimmen gesamt: 49,17 Mio. / SPD+Grüne 24,0 Mio. / Union + FDP 20,8 Mio.
2002 Gültige Zweitstimmen gesamt: 47,84 Mio. / SPD+Grüne 22,6 Mio. / Union + FDP 22,3 Mio.
2005 Gültige Zweitstimmen gesamt: 48,07 Mio. / SPD+Grüne 20,0 Mio. / Union + FDP 21,7 Mio.
2009 Gültige Zweitstimmen gesamt: 43,37 Mio. / SPD+Grüne 14,6 Mio. / Union + FDP 20,9 Mio.
2013 Gültige Zweitstimmen gesamt: 47,66 Mio. / SPD+Grüne 14,9 Mio. / Union + FDP 20,2 Mio.
Das Stimmaufkommen für schwarz/gelb ist also nahezu konstant über die letzten fünfzehn Jahre, während Rot/Grün seit Schröders erster Wahl zehn Millionen oder 40% seiner Wählerschaft eingebüßt hat. Die SPD hat dabei satt die Hälfte ihrer Wähler verloren (21,5 Mio. 1998, 11,1 Mio. gestern, 2009 sogar uner 10 Mio.)
Merkels Märchen von der "gut überstandenen Krise", durch das sie das Land ruhiger Hand gesteuert habe, verfängt scheinbar bei einem Gutteil der saturierten Bevölkerung. Dabei steht das Land heute bei nüchterner Betrachtung genauso beschissen da wie am Ender der Schröderzeit. Daß Mercedes Benz, Bayer oder Heckler & Koch satte Exportgewinne schreiben, ändert daran ja nichts. Immer noch gibt es fast drei Millionen Arbeitsloseund fast vier Millionen "unterbeschäftigte" (Zeitarbeit, Teilzeitjobs, 450 €-Jobs usw) im Land, gut sechs Millionen Menschen beziehen Leistungen nach Hartz IV(ohne ALG I-Bezieher).
Das Problem dieser Menschen ist, daß es nach dem Ausfall der SPD seit der Schröderzeit bis auf die Linke keine Partei mehr gibt, die wenigstens programmatisch für sie eintritt. Union und FDP gehörten dazu noch nie, und SPD und Grüne haben vielen dieser Leute ihr Schicksal, in der lebenslangen Minijob-Zeitarbeits-Schleife zu hängen - was eine direkte Folge der Hartz-Reformen ist, nicht einmal Hartz4 geschuldet, sondern insbesondere den ersten beiden Paketen, welche die Minijobrotation und Zeitarbeit subventionieren - erst eingebrockt.
Eine größere realistische Chance, da jemals wieder heraus und in den ersten Arbeitsmarkt hineinzukommen besteht erst, wenn diese "Regulierungsmaßnahmen" mit Zwangsvermittlung in geringfügige Beschäftigung und sinnlosen Fortbildungen in Dauerschleife ("Bewerbungstraining"), die den Betroffenen die Gelegenheiten rauben, sich für den ersten Arbeitsmarkt zu empfehlen und sie nebenbei für diesen auch noch stigmatisieren, wieder aufgehoben werden. Das will aber keine der fünf großen Parteien außer der Linken, für andere Gruppierungen wie AfD u.s.w. ist das gleich gar kein Thema.
Die Linke ist vielen im Westen suspekt - ob berechtigt oder nicht sei dahingestellt - und so bleiben diese Leute einfach zu Hause, weil sie sich von einer Wahl keine großartigen Veränderungen mehr erhoffen oder wählen irgendeine obskure Splitterpartei. Ob Griechenland gerettet wird, wie es um den politischen Zustand der EU bestellt ist oder Deutschland auch nächstes Jahr wieder Exportweltmeister wird, ist dem Großteil der klassischen SPD-Stammwählerschaft glaube ich herzlichst wumpe. Wenn die Partei sich nicht schleunigst wieder dahin bewegt, wo sie hingehört (nämlich nach links) wird mit ihr auf Jahrzehnte kein Staat mehr zu machen sein (im reinsten Wortsinn).