Das Wichtigste:
Es bleibt zu hoffen, dass Helen van Beurden die schwere Gehirnerschütterung vollständig auskurieren kann und dass diese unglückliche Szene für sie ohne physische und psychische Langzeitfolgen bleibt. Ich wünsche ihr dafür von Herzen alles Gute!
Zum eigentlichen Ablauf dieser Szene habe ich folgende Bewertung:
Der 7m ist unstrittig. Die Abwehrspielerin zieht die Angreiferin während der Ballannahme am Trikot nach hinten und bringt diese dadurch so aus der Balance, dass sie erst auf die Abwehrspielerin prallt und dann die Bewegung Richtung Tor einleitet, die sie aufgrund dieser Konstellation aber nicht 100-prozentig selbst kontrollieren kann. Soweit, so gut.
Aber:
Während des kompletten Wurfes von der Ausholbewegung bis zu dem Zeitpunkt, wo der Ball die Hand verlässt, liegt ihr Körper stabil in der Luft und bekommt keinen weiteren Impuls von außen. Insofern erfolgt der eigentliche Torwurf ungestört und im professionellen Bereich sollte eine Spielerin in so einer Situation die Wurfrichtung gut kontrollieren können, denn eine solche „Flugbahn“ ihres Körpers in Richtung Tor ist eher die Regel als die Ausnahme, unabhängig davon, ob die Störversuche der Abwehrspielerin regelkonform sind oder nicht.
Wichtig:
Aus dieser Argumentation leite ich ausdrücklich keinen Vorwurf gegenüber der Angreiferin ab! Das Ganze passiert auf dem Feld in Bruchteilen von Sekunden, hier im Forum ist dagegen gut Schreiben. Trotzdem sollten alle miteinander aus dem Vorfall lernen, die Regeln weiter präzisieren und den im Handball gottseidank tief verwurzelten Ehrenkodex gerade für solche Situationen noch verschärfen:
Grundsätzlich keine freien scharfen Würfe vom Kreis in Richtung Kopf (Ausnahme: aktive Bewegung des Torwarts in Richtung des Balles), das wäre auch und gerade für den Breitensport, wo es oft an Präzision hapert, wichtig!
Zulässig sind scharfe Würfe nur unterhalb des Schultergürtels (zumindest so lange, wie der Torwart die Füße noch auf dem Parkett hat!) oder mindestens 50 cm über dem Kopf.
Ausgenommen sind Trickwürfe wie Heber oder Dreher, solange sie ohne jegliche Härte ausgeführt werden.
Meine Bewertung der strittigen Szene unter diesen Prämissen:
7m für die angreifende Mannschaft wegen des Trikot-Ziehens während der Ballannahme
2 Min.-Strafe für die Angreiferin wegen vermeidbarer schwerer Gefährdung der Torhüterin
Fazit:
Bei der Einschätzung solcher Szenen können, ja müssen die Abläufe in einzelne Teile zerlegt und bewertet werden, wenn die konkrete Abfolge der Bewegungen eine differenzierte Betrachtung nahelegt. Natürlich ist auch mir klar, dass so nicht alle Unfälle vermieden werden können, zumal es immer grenzwertige Situationen geben wird, wo eine korrekte Bewertung extrem schwierig ist. Aber gerade bei Würfen aus Nahdistanz müssen die Torhüter besonders geschützt werden, alles andere macht keinen Sinn.