Wenn ich jetzt die Ursachen für den latenten Niedergang des Handballsports im internationalen und insbesondere auch nationalen Bereich suche, der sich (im Gegensatz zum Nachwuchs- und Breitensport, der gerade mehr oder weniger komplett den Bach 'runtergeht) im leistungssportlichen Bereich besonders deutlich im Frauenhandball zeigt, offenbarten sich gerade bei der letzten Frauen-WM viele entscheidende Gründe sehr deutlich:
Das Interesse am Handball hat in den letzten Jahren gravierend nachgelassen, nicht nur in den in vielen (ehemaligen) Handballhochburgen, sondern auch in der Fläche. Gerade der Nachwuchs- und Breitensport in Deutschland unterliegt derzeit einem nie dagewesenen Kahlschlag mit all seinen negativen Auswirkungen. Ich nenne hier nur das Stichwort „Talentsuche“. Zu dem gesamten Themenkomplex habe ich in diesem Forum schon mehr als genug geschrieben, in den Reihen der arrivierten Handballexperten scheint dieses für eine Mannschaftssportart tödliche Dilemma aber immer noch „tabu“ zu sein. Die ganze Tragödie erinnert mich nicht nur ein bisschen an den Konrad Adenauer zugewiesenen Spruch „Kinder bekommen die Menschen von alleine“. Ein folgenschwerer Irrtum, wie der aktuelle Zustand und vielmehr noch die zukünftig zu erwartende Entwicklung unserer Gesellschaft leider überdeutlich zeigen…
Zum Zuschauerdilemma wurde hier schon alles beschrieben, das muss ich nicht wiederholen. Das Problem ist offensichtlich, wenn selbst bei einer WM in einem Land, wo man Handball uneingeschränkt als „Nationalsport“ bezeichnen kann, die meisten Spiele bis hin zum Finale vor mehr oder weniger leeren Rängen stattfinden. Die Frage, die sich automatisch stellt: Warum ist das so?
Das Handballspiel hat sich in den letzten 25 Jahren sehr verändert, viele Regeln wurden „modernisiert“, also scheinbar oder tatsächlich (allein darüber kann man trefflich streiten!) dem aktuellen Zeitgeist angepasst. Seitdem geht in den meisten Ländern das Interesse und auch das Leistungsvermögen spürbar zurück, die in Teilen gegebenen Ausnahmen in Frankreich und Skandinavien allein werden den Handball nicht vor einem weiteren Niedergang retten. Auch hier liegen die wesentlichen Gründe für mich auf der Hand, auch dazu habe ich in diesem Forum eigentlich schon alles geschrieben…
Die extrem unterschiedliche Bewertung gleichartiger Angriffs-/Abwehraktionen selbst in ein und demselben Spiel mit einem Spektrum von Stürmerfoul bis 7-Meter plus 2-Minuten-Strafe lässt Spieler, Trainer und Zuschauer gleichermaßen verzweifeln und stellt dabei sogar nicht selten auch die Redlichkeit der Unparteiischen in Frage, denn regelmäßig sind die betreffenden (Fehl-) Entscheidungen spielentscheidend.
Das ist nur ein Beispiel, die Liste der kontraproduktiven Regelvorgaben mit zwangsläufig problematischer bis fragwürdiger Umsetzung im Spiel ließe sich beliebig fortsetzen. Ich nenne da nur beispielhaft die Themen „Schritte“, „Schnelle Mitte“ (mit speziellen Sanktionen in bestimmten Spielsituationen!), „Kreis“ (aktiv/passiv sowohl im Angriff als auch bei der Abwehr), „7-ter Feldspieler“, Festhalten/Ziehen am Trikot, das vorsätzliche Zulassen regelwidriger Aktionen (meist geschönt als „Internationale Härte“ interpretiert!) usw. usw. …
Dabei sehe ich das Problem im Grundsatz weniger bei den Schiedsrichtern. Die müssen nur umsetzen, was die in erster Linie von kommerziellen Zielen geführten Verbände immer wieder neu ausbrüten. Wer sich dann über das ganz allgemein immer weiter abnehmende Interesse am Handballsport wundert, der hat offensichtlich wenig Empathie für die Wahrnehmung unseres Sports durch die Zuschauer.
Natürlich will ich nicht in Abrede stellen, dass es nicht den Handball allein betrifft. Den Fußball kann man weitestgehend ausklammern, aber ansonsten ist grundsätzlich zu beobachten, dass viele, auch viele neue Individualsportarten sowohl hinsichtlich des Zuschauerinteresses als auch in der Zahl der Aktiven den meisten Mannschaftssportarten zunehmend den Rang ablaufen, wobei auch hier Sportarten wie Basketball weniger stark betroffen sind als gerade unser geliebter Handballsport. Woran liegt das, an veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in einer zunehmend von digitalen Medien beherrschten Welt, am „Zeitgeist“ der jungen Generation oder vielleicht doch (auch) an der Tatsache, dass sich der Handball von innen heraus selbst zunehmend isoliert, weil die Herausforderungen gerade für viele Neueinsteiger im Nachwuchsbereich durch das aktuelle Regelwerk viel zu hoch gesetzt sind, die Verletzungsgefahr angesichts des heutzutage geforderten deutlich höheren Spieltempos gerade für große Spielerinnen und Spieler deutlich größer geworden ist und nicht zuletzt auch, weil die mediale Präsenz im free-TV-Bereich immer weiter abnimmt?
Folgende Zusammenhänge liegen für mich jedenfalls klar auf der Hand:
Weniger mediale Präsenz des Handballs, kompliziertes Regelwerk und daraus folgend viele fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen führen zu nachlassendem Interesse und damit zu verminderter Wahrnehmung durch Eltern und Kinder.
Im Schul- und Vereinssport spielt Handball immer weniger eine Rolle mit der Folge, dass sich immer weniger sportliche Talente überhaupt mit dem Handballsport auseinandersetzen. Das führt zwangsläufig dazu, dass wir immer weniger Talente haben, erkennen, entwickeln und Potentiale erweitern können.
Im Ergebnis haben wir schon jetzt immer weniger Ausnahmespieler, eine optimale Förderung ist mangels Konkurrenz gerade in einer Mannschaftssportart nicht möglich. Die Tatsache, dass wir als Mutterland des Handballs schon heute im Vergleich mit den Spitzenmannschaften im Frauenhandball einzelne Positionen in der Nationalmannschaft nicht mehr optimal besetzen können, spricht da Bände.
Da hilft es nach meiner Überzeugung auch nicht, die wenigen verbliebenen Leistungsträger so schnell wie möglich in’s Ausland zu verhökern, wenn in der Folge das Leistungsniveau der heimischen Spitzenmannschaften mangels Besetzungsalternativen immer weiter absinkt und die Erfolge im internationalen Geschäft von CL und EL zunehmend ausbleiben. Denn das bedeutet, dass den jungen Nachwuchsspielern zunehmend die großen animierenden Vorbilder vor der eigenen Haustür fehlen, dass das Vermarktungsinteresse der Medien mangels Leistung und Erfolg immer weiter abnimmt und so immer weniger Menschen Handball als interessante, sehenswerte Sport wahrnehmen.
So schließt sich der todbringende Teufelskreis, die Kausalität ist offensichtlich…
Was wir tun können?
Erstens den (erst hatte ich „unseren“ geschrieben…) Verbandsfunktionären klar machen, wie selbstzerstörerisch der eingeschlagene Weg der immer stärkeren Kommerzialisierung tatsächlich ist. So schön es scheinen mag, wenn Mannschaften wie Grönland und Paraquay bei einer WM-Endrunde mitspielen dürfen, wenn auf der anderen Seite in den meisten „Kernländern“ des Handballsports das Interesse am Handball in Größenordnungen abnimmt, sind die Prioritäten offensichtlich falsch gesetzt!
Zweitens im Ergebnis einer solchen Bewusstseinsänderung die Regeln so zu überarbeiten bzw. in Teilen zurückführen, dass Handball nicht nur im professionellen Bereich (scheinbar oder tatsächlich) optimal präsentiert werden kann sondern auch im Nachwuchs- und Breitensport wieder häufiger gern gespielt wird.
Drittens den Nachwuchs- und Breitensport in der Fläche so zu unterstützen, dass er sich aus eigener Kraft wieder aufrichten und entwickeln kann. Dazu gehört (nicht nur, aber auch), den Verantwortlichen in der Politik klarzumachen, wie wichtig für die Entwicklung unserer Kinder in einer durch zunehmende individuelle Abschottung geprägten Welt Erfahrungen in der aktiven Ausübung von Mannschaftssportarten (Stichwort Team Building oder besser Gemeinschaftsgefühl!) sind. Auf den Vorteil, dass es im Handball sowohl innerhalb als auch außerhalb des leistungssportlichen Bereiches für die Aktiven in der Regel mehr Erfolgserlebnisse gibt als im Fußball, kann man in dem Zusammenhang durchaus mal hinweisen…