TEIL II:
<p><i>Was dem Prinzip aber keinen Abbruch tut, sondern im Gegenteil den
Teufelskreis noch weiter in Schwung bringt.</i></p>
<p><b>Johnson:</b> So ist es, bis die imperiale Macht in einen Zustand der Überdehnung
gerät und folglich der Verfall beginnt. Die US-Militär-Doktrin besteht heute
darin, die Entstehung eines Gegners gar nicht mehr zuzulassen. Das ist schon an
sich eine Definition für imperiale Überdehnung. In den USA diskutieren wir
derzeit offen, ob wir ein neues Rom sind, doch tatsächlich gleichen wir eher
einem neuen Napoleon.</p>
<p><i>Offen beim Namen genannt wird der Imperialismus erst in Folge des 11.
September. Wann aber datieren Sie die tatsächliche Entstehung des US-Imperiums?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Die Wurzel des heutigen US-Imperialismus liegt im Zweiten Weltkrieg,
denn Pearl Harbor beendete den amerikanischen Isolationismus. So wie die
Sowjetunion erkennen mußte, daß der Kommunismus in Osteuropa nicht durch
demokratische Wahlen aufgerichtet werden konnte und deshalb ein System von
Satellitenstaaten etablierte, mußten die USA erkennen, daß die Staaten, die
sie in Ostasien erobert hatten, zum Beispiel Japan und Südkorea, nicht auf
demokratischem Wege zu stabilen, amerikafreundlichen Regimes kamen. Deshalb
errichtete man ebenfalls Satellitenstaaten. Sollten Sie sich über diese
Feststellung, zumindest was die Erwähnung Japans angeht, wundern, so bedenken
Sie, daß Japan seit dem Krieg eine Ein-Parteien-Herrschaft hat. Japan ist im
Grunde genommen nichts anderes, als eine extrem reiche DDR - es ist unser
Satellit. Unterstrichen wird diese Tatsache dadurch, daß wir dort sage und
schreibe 91 Militärstützpunkte unterhalten.</p>
<p><i>Bereits 1965 zogen die ersten US-Truppen in dem Bewußtsein nach Vietnam, die
"neuen Römer" zu sein, wie ein Veteran berichtete. Hat aber die
Vietnam-Erfahrung die USA nicht davon "geheilt"?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Aus Vietnam zog zwar die Mehrheit des Volkes den Schluß, sich in
Zukunft mit Interventionen zurückzuhalten, doch es täuscht, wenn man das für
die entscheidende Lehre in Amerika hält. Große Teile der Elite zogen genau den
umgekehrten Schluß, nämlich daß wir den Krieg hätten gewinnen sollen und
dies deshalb mißlang, weil wir nicht stark und entschlossen genug waren. Das
sollte in Zukunft anders werden. Und der 2. Golfkrieg bot die Möglichkeit, dem
Volk zu beweisen, daß die Planer ihre Lektionen gelernt hatten und Amerika
durchaus wieder Krieg führen konnte. Damit war jenes Hindernis aus dem Weg
geräumt, das seit Vietnam eine amerikanische Expansion behindert hatte.</p>
<p><i>Der Nahostexperte Peter Scholl-Latour sagte in einem Interview dieser
Zeitung, zwar halte er die Strategie der USA für verfehlt, allerdings solle man
sich "nicht zu einem einfältigen Anti-Imperialismus verleiten lassen.
Imperien können notwendig sein, um Ordnung zu stiften."</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Scholl-Latour irrt, denn er läßt außer acht, daß ein Imperium
notwendigerweise Militär zur Stabilisierung und Expansion benötigt. Da das
Imperium wächst, wächst auch das Militär. Es beginnt also ein Prozeß der
Militarisierung, der nicht nur an den Grenzen, sondern natürlich auch in der
Heimat stattfindet. Das heißt, der imperiale Militarismus wird Amerika
verändern: Das Amerika der Zivilität, der Freiheit und Bürgerrechte wird
verlorengehen. Und auch hier wirkt das Blowback-Prinzip, da die Reaktion auf
einen Blowback nicht nur eine äußere ist, sondern ebenso, im Namen der inneren
Sicherheit, auch zu Einschränkungen an Bürgerrechten und zur Verschärfung der
Atmosphäre im Land führen kann. Die Amerikaner werden also selbst ihr Land
verlieren. Denn blicken Sie in die Geschichte: Die Entwicklung von der
Römischen Republik zum Römischen Reich - ein über einhundert Jahre dauernder
Prozeß - war die Entwicklung von einem funktionierenden römischen Senat hin zu
einer Diktatur, denn das Imperium Romanum war eine Militärdiktatur! Wir wissen
nicht, wie die Entwicklung in den USA vonstatten gehen wird, aber die Entstehung
einer Diktatur ist eine realistische Gefahr, und sogar das Entstehen einer Art
faschistischen Systems kann nicht ausgeschlossen werden.</p>
<p><i>Wie weit ist dieser Prozeß derzeit fortgeschritten?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Unsere Streitkräfte haben inzwischen eine Art Autonomie erlangt.
Sie sind nicht mehr Instrument der Regierung, sondern haben eine Art politisches
Eigenleben entwickelt. Denn sie sind eben der Garant des Imperialismus. Im
Ausland sind die US-Truppen dabei noch unabhängiger als hier und Sie sollten in
Deutschland lieber darauf achten, was der amerikanische Oberkommandierende für
Deutschland und Europa General B.B. Bell in seinem Hauptquartier in Heidelberg
meint, als auf das, was der US-Botschafter - wer auch immer das gerade sein mag
- in Berlin zu sagen hat. Und was glauben Sie, wie das erst in Ländern wie
Südkorea ist! Das State-Department, also das US-Außenministerium, hat im Laufe
der Zeit enorm an Bedeutung verloren, gleichzeitig vollzog sich aber der
Aufstieg des Pentagon, also des Verteidigungsministeriums. Das heute allerdings
nicht mehr viel mit Verteidigung zu tun hat, sondern zu einer Art Nebenregierung
geworden ist. Leider beherzigen die Amerikaner nicht die klassischen Warnungen
etwa George Washingtons oder Dwight D. Eisenhowers: Ein zu großes stehendes
Heer gefährdet die Demokratie.</p>
<p><i>Welche Rolle spielen die US-Geheimdienste, erleben auch sie einen die
Verfassung gefährdenden Aufstieg?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Unsere Geheimdienste sind heute keine Geheimdienste im eigentlichen
Sinne mehr, die klassische Spionage-Abwehr und Aufklärung betreiben sollen.
Statt dessen ist ihre Hauptbetätigung inzwischen die Durchführung verdeckter
Operationen geworden. Damit stellt die CIA quasi eine Art Privat-Armee des
Präsidenten dar.</p>
<p><i>Wer für die Ordnungsmacht von Imperien plädiert, scheint auch das für sie
typische kriegerische Ausfransen der Peripherie zu übersehen?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Ja, so brachte zum Beispiel die imperiale Politik der USA in den
achtziger Jahren Lateinamerika seine schlimmste Dekade seit der spanischen
Eroberung - blutig und desaströs. Oder denken Sie an den Afghanistan-Krieg, den
die USA immer wieder angeheizt haben, und nach dem Rückzug der Sowjets haben
wir das Land einem vernichtenden Bürgerkrieg überlassen. Und auch die
anstehende Operation gegen den Irak wird zahlreiche Unschuldige das Leben
kosten.</p>
<p><i>Welche Rolle spielt die Ausbreitung des US-Wirtschaftssystems und des "american
way of live" als dessen Vorraussetzung für das amerikanische Imperium?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Das US-Wirtschaftssystem spielt eine entscheidende Rolle im
imperialen System der USA, denn die alte Trennung von Wirtschaft und Politik
existiert heute nicht mehr. Dabei ist Globalisierung der entscheidende
ideologische Begriff. Denn in Wirklichkeit bedeutet Globalisierung nichts
anderes als Amerikanisierung. Man will verschleiern, daß die Völker Opfer des
amerikanischen Imperialismus werden und macht ihnen weis, es handle sich um
einen unvermeidlichen wirtschaftlichen Prozeß, der durch den Fortschritt
herbeigeführt werde und an dem sie durch Anpassung teilhaben könnten.
Tatsächlich aber ist es unmöglich teilzuhaben, ohne Bestandteil des
amerikanischen Imperiums zu werden. Globalisierung spiegelt eine Fassade
internationalen Rechts vor, an das sich die USA selbst nicht halten, wenn es
ihren Interessen widerspricht.</p>
<p><i>Die Deutschen fühlen sich dagegen augenscheinlich recht wohl im US-Imperium.</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Ja, solange es nicht von einem Blowback getroffen wird, was wohl
über kurz oder lang passieren wird. Denn mit dem Hegemon geraten auch seine
treuen Bundesgenossen ins Visier asymmetrischer Kriegführung, also der
terroristischen Reaktion. An sich aber hat Deutschland den Vorteil, stabil,
demokratisch und amerikafreundlich zu sein. Wir unterhalten zahlreiche
Stützpunkte in Deutschland, darunter den Fliegerhorst Ramstein, den größten
amerikanischen Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA - und das, ohne daß
sich die Deutschen in das was dort geschieht einmischen können. Wäre die
Situation in Deutschland nicht so US-freundlich, sähe die Einmischung in die
Angelegenheiten Ihres Landes wohl ganz anders aus. Denken Sie zum Beispiel nur
an Italien.</p>
<p><i>Dort manipulierte die CIA über Jahrzehnte völkerrechtswidrig die inneren
Verhältnisse und baute sogar ein eigenes Terrornetzwerk auf - "Gladio"
genannt - , das bei Bedarf hätte putschen sollen, um eine repressive
rechtsradikale, aber amerikafreundliche Diktatur zu etablieren.</i></p>
<p><b>Johnson:</b> So ist es, treue Staaten wie Deutschland oder auch Japan werden von
den USA durchaus auch gut behandelt. Denn der amerikanische Imperialismus kennt
nicht nur die Sprache des Militarismus, sondern er beherrscht auch die Kunst der
Bestechung.</p>
<p><i>Also ist das deutsche Wohlverhalten eine Angelegenheit der
Rückgratlosigkeit?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Die USA behandeln Deutschland gut, aber sie nehmen ihr Land nicht
ernst. Deshalb haben die völlig überraschenden Aussagen von Bundeskanzler
Schröder hier auch solchen Aufruhr verursacht. Die Franzosen reden ja immer so
und lassen dem dann nie Taten folgen, aber wenn plötzlich die Deutschen so
reden!? Und das, wo sie sich doch nach dem Zweiten Weltkrieg als die am
leichtesten korrumpierbare Nation der Welt erwiesen haben.</p>
<p><i>Was würde passieren, wenn Deutschland das amerikanische Imperium verlassen,
aus der Nato austreten, die US-Truppen freundlich nach Hause bitten und sich
künftig als freundlich neutral gegenüber jedermann erklären würden?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Wir würden einen gewaltigen Schritt hin zu einer friedlicheren Welt
machen. Denn Deutschland ist immerhin die einzige bedeutende Nation der Welt,
die es gewagt hat den Irak-Krieg als das zu bezeichnen, was er ist, ein -
imperialistisches - Abenteuer.</p>
<p><i>Würden die USA in Deutschland einmarschieren oder uns gehen lassen?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Sie würden alles in ihrer Macht stehende tun, um Deutschland zu
unterwandern. Und verlassen sie sich drauf, darin sind die USA wirklich gut.
Aber, obwohl ich zu Anfang sehr hoffnungsfroh war, habe ich die Befürchtung,
Gerhard Schröders Anti-Kriegs-Kurs war nur ein Wahlkampftrick.</p>
<p><i>Das steht zu befürchten.</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Man kann nur hoffen, daß dann die politische Klasse in Deutschland
mit ihrem Kurswechsel angesichts der Wahlversprechen in der Öffentlichkeit
nicht durchkommt. Denn das Haupthindernis für die Pläne der US-Regierung ist
derzeit der wachsende Widerstand in der Öffentlichkeit.</p>
<p><i>Wie wird der Untergang des amerikanischen Imperiums aussehen?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Krisen im Mutterland, Aufstände an den Rändern - die Blowbacks
nehmen zu -, die allerdings nicht unbedingt erfolgreich sein werden. Es wird die
innere Schwäche sein, an dem das Imperium zerbricht, ebenso wie Ende der
achtziger Jahre die Sowjetunion.</p>
<p><i>Der amerikanische ultrakonservative Politiker Pat Buchanan, dessen Credo
bezüglich des US-Selbstverständnises "Eine Republik, kein Imperium!"
lautet, hat im Interview mit dieser Zeitung einen "Aufstand der Patrioten"
eines jeden Landes - auch die Patrioten Europas und Amerikas - gegen die
unilaterale Macht, die versucht, die Welt zu dominieren, prophezeit. Stimmen Sie
dem zu?</i></p>
<p><b>Johnson:</b> Auf jeden Fall. Man kooperiert mit den USA, weil man dazu gezwungen
ist, nicht, weil man will. Die Implosion beginnt, wenn das schwächste Glied der
Kette, die das Imperium zusammenhält, reißt, das könnte zum Beispiel die
Wirtschaft sein. Die Völker aber werden Rache nehmen, wenn sie die Schwäche
des Hegemon wittern. Ich sage ihnen aber, wenn islamischer Fundamentalismus eine
Gefahr darstellt, dann ist der christliche Fundamentalismus eine viel größere
Bedrohung.</p>
ENDE TEIL II