- Offizieller Beitrag
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Vom Olympiastadion in die BayArena, von Bielefeld runter nach Mainz, wo der Bruchweg brodelt - die Bundesligaübertragung im Radio ist nicht nur etwas für Freunde der Nostalgie. In Zeiten, in denen soviel Fußball gezeigt wird wie nie, ist das Radio zu einem erhabenen Vergnügen geworden."I'd sit alone and watch your light. My only friend through teenage nights. And everything I had to know, I heard it on my radio. Radio. (Aus "Radio Ga Ga" von Queen.)
Mit welcher Wucht Sabine Töpperwien sich wieder in unserem Wohnzimmer zurückmeldet. "Tooooor in Bielefeld. 2:0, Künzel." Künzel? Wie sieht der denn noch gleich aus? Vergessen, oder besser: nie gewusst. Ist ja auch egal. Wir hören von Ferne, wie die ehemalige "Alm" bebt, die jetzt "Schüco-Arena" heißt. Wie die Menschen in Ostwestfalen das erleben, was Sabine Töpperwien schon unmittelbar vor dem 1:0 der Arminia angekündigt hatte: "Der kleine Aufsteiger kitzelt den Großen." Also Werder Bremen, den Meister. Kitzeln? Lustige Formulierung, denken wir noch, und bumms - schon ist es passiert: "Toooor in Bielefeld, 1:0, Vata. Das ist ein Ding."
Rippenunterhemden und Export
Bumms. Sabine Töpperwien ist verschwunden, und Manni Breuckmann ist gekommen. DER Manni Breuckmann, der früher einmal Manfred geheißen haben muss und der immer noch der coolste Fußballreporter im deutschen Radio ist. Manni sitzt heute in Leverkusen und erzählt uns, wie Bayer von Schalke verprügelt wird. So, wie er das seit Jahrzehnten macht: cool. Irgendwie merkt man ihm an, dass er am liebsten mal sagen würde: "Leute, ich habe 10.000 Fußballspiele gesehen, und was die da unten machen, das ist der letzte Mist."
So etwas sagt Manni natürlich nicht, braucht er auch nicht, wir verstehen ihn auch so. Wieso ist Manni eigentlich immer noch da? Als wir vor Jahren begannen, immer samstags die Bundesliga im Radio zu hören, war Manni auch schon bei uns. Damals standen kleine, scheppernde Kofferradios in den Gärten, die Väter trugen Rippenunterhemden, rochen nach Pitralon und tranken Export. Fußball im Radio war Pflicht an den Samstagen. Diese hysterischen Stimmen, diese hektischen Wechsel von Düsseldorf nach Hamburg nach Berlin. "Ich rufe Joachim Böttcher in Frankfurt: Wie steht's im Waldstadion?"
Nur so zum Spaß habe ich an diesem Samstag "SWR 1" eingeschaltet. Nach Jahren. Mal die Bundesligaergebnisse hören, Videotext ist auf Dauer öde. "Stadion" heißt die Sendung, und das klingt schon wunderbar vertraut und einfach nach Sport und nicht nach Fußball-Show. Früher hieß ja ein Stadion auch Stadion, und nicht Arena oder Dom. Eine freundliche Stimme aus dem Studio begrüßt uns - und dann versinken wir in eine Welt, von der wir nur hören können. Wir haben das ganze Wochenende kein bewegtes Bild von diesem Tor des Mainzer Antonio da Silva gesehen, aber so, wie uns die Radiostimme von Wolfgang Fritschmann vorgeschwärmt hat, muss es ein grandioser Treffer gewesen sein.
Im Kopf versuchen wir, uns dieses Tor vorzustellen, wir gewinnen irgendwann eine ungefähre Vorstellung. Bei "Premiere" hätten sie jetzt die x-te Superzeitlupe abgefahren, man hätte da Silva auch vier, fünf verschiedenen Schusspositionen gesehen, den Torjubel, den seines Trainers und die Menschen im Stadion. Visueller Overkill. Wir dagegen müssen uns aus Fritschmanns Pathos eigene Bilder zurechtbasteln. "Tor des Monats" ruft er aus dem Radio heraus, und das glauben wir ihm aufs Wort.
"Banner bannt Körpergeruch"
Zwischendurch spielen sie tatsächlich noch diese legendäre Musik, die auch früher zwischen den Übertragungen gespielt wurde. Diese merkwürdige Instrumentalmusik, die vermutlich nur für diese Samstage komponiert worden ist. Der Klang der siebziger Jahre ist das, als Hits noch Schlager hießen und im Fernsehen solche Werbeslogans gesendet wurden: "Banner bannt Körpergeruch." Die Musik ist beruhigend, so, als sei das Absicht, damit sich der Zuhörer kurz entspannen kann von seinen virtuellen Ausflügen nach Bielefeld, München oder Berlin.
Vielleicht entspannen sich Sabine und Manni ja jetzt auch, verdient hätten sie es. Denn sie brauchen Kraft für den Höhepunkt jeder Übertragung - die Schlusskonferenz. Und dann hetzen sie wieder aus dem Olympiastadion in die BayArena, dann nach Bielefeld, wo Töpperwien uns mit dem Bremer Anschlusstreffer empfängt, runter nach Mainz, wo es immer noch 1:0 steht und der Bruchweg brodelt. Und wir versuchen, Schritt zu halten. Versuchen, die Gedanken zu ordnen, im Kopf Bilder zu basteln, bekommen feuchte Hände, als uns die Stimmen von Großchancen berichten, von Fouls, von den Trainern Sammer und Advocaat, die ja schon längst nicht mehr auf ihren Plätzen in Stuttgart sitzen sollen.
Wie sich die Stimmen gegenseitig ins Wort fallen, wenn bei ihnen etwas passiert, "Tooor" hier, "Tooor" dort, wie sie sich gegenseitig abfragen, wie es anderswo gerade zugeht - man spürt die Dynamik eines Fußballspiels, obwohl man keine Sekunde davon sieht. Vor Jahren haben wir einmal diese Live-Konferenz bei "Premiere" gesehen - was für ein überdrehtes Bilder-Patchwork. Irgendwann war alles nur noch bunt und man hat schreiende Männer gehört, die versuchten, noch packender zu reden, als es die Bilder hergaben.
Der bessere Fußball im Radio?
Manni bleibt bis zum Ende cool. Wir glauben ihm, dass das 3:0 des Schalkers Lincoln sensationell gewesen sein muss, und wir hören heraus, dass er für diese untergehende Bayer-Mannschaft nur noch Geringschätzung übrig hat. Und als dann fast alles gesagt ist, schalten sie nach Berlin, dort, wo längst Schneetreiben eingesetzt hat, wie wir erfahren haben. Vielleicht sind das die schönsten Momente im Leben von Fußballradioreportern, wenn sie das einzige Spiel kommentieren, dass noch nicht abgepfiffen ist, wenn sie von einem Anrennen der Hertha berichten, von Rostock, das alles gibt, um das 1:0 zu verteidigen - und dann dieser Marcelinho den Ausgleich erzielt. Minuten nach der regulären Spielzeit, Sekunden vor dem Abpfiff. 1:1. Und wir waren dabei.
Von alledem haben wir nichts gesehen, aber jede Sekunde miterlebt. Als wir früher Fußball im Radio hörten, da wurde das als Mangel eingestuft, man wollte eigentlich sehen, worüber gesprochen wird. Heute, da ständig jeder alles sieht, ist Fußball im Radio ein erhabenes Vergnügen geworden. Nur die, die Fantasie haben, können in der Welt der Geschichtenerzähler bestehen. Vielleicht wird ja im Radio der bessere Fußball gespielt?
Radio what's new? Radio, someone still loves you!
quelle: http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,329110,00.html
Wer bis hier durchgehalten hat, muss wohl, wie ich, ein Fan von Fußball-Übertragungen im Radio sein.
Jawohl - ich gestehe - ich sitze Samstags nachmittags viel lieber vor dem Radio und höre Fußball, als dass ich irgendwo Premiere schauen würde. Vielleicht ist Nostalgie dabei, weil ich seit jeder gewöhnt bin, Samstag nachmittags Fußball zu hören, vielleicht iauch, dass mir die Zusammenfassung in der Sportschau reicht (die ich mir immer noch von 18:00h - 19:15h ohne Werbung wünsche - "N'Aabend Allerseits")