(von Frank Goosen)
Irgendwo habe ich gelesen, Männerfreundschaften seien immer stark von Rivalität geprägt.
Daraufhin habe ich mal in mich selbst hineingehorcht, ein wenig zurückgedacht und mich umgesehen und komme nun zu einem glasharten: Mag sein.
Um unsere genetisch bedingte Rivalität zu institutionalisieren, treffen sich vier Freunde und ich monatlich zu einer Partie Doppelkopf. Nichts Ungewöhnliches werden sie sagen, das passiert doch ständig, bisweilen werden sogar Frauen dabei beobachtet. Nun, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob die auch mit einer durchgehenden Jahreswertung spielen.
Die Hamburger Autorin Fanny Müller hat ja mal ganz richtig darauf hingewiesen, dass es Frauen eigentlich mehr um die Geselligkeit geht: man sitzt einfach ein bißchen beisammen und hält dabei auch noch Karten in der Hand. Bei uns geht es darum, jeden Abend "sein Bestes zu geben", sich "voll reinzuhängen" und "immer auf Sieg" zu spielen. Am schönsten ist es natürlich, wenn die Gegner vernichtend, ja demütigend geschlagen werden. Ein tiefer Schluck aus der Testosteron-Pulle, Kontaktaufnahme mit dem archaischen Teil unseres Ichs, Zwiesprache mit der dunklen Seite der Macht.
Der Spruch "Der Bessere soll gewinnen" kann von keinem Mann stammen. Sport braucht Parteinahme, am besten für sich selbst.
Einmal im Monat sitzen also ein Arzt, ein Banker, ein Fachanwalt für Steuerrecht, ein Lehrer (für Biologie UND Religion, also einer der sich eigentlich jeden Tag mehrmals selbst widersprechen muss) und ich beisammen und zocken sechs Runden à fünf Spiele, nach der zweiten unterbrochen durch Mett- und Käsebrötchen. Wenn der Gastgeber sich bei den anderen einschleimen will, zaubert er noch besondere Sachen auf den Tisch, einen frischen Leberkäs zum Beispiel oder türkische Knoblauchwurst.
Nach anfäglichem, harmlosem Geplänkel, das im Sportreporterdeutsch "Abtasten" genannt wird, kann es auch schon mal dazu kommen, dass Menschen, die seit dem fünften Schuljahr befreundet sind, sich wieder siezen, etwa wenn der Fachanwalt für Steuerrecht auf die Ansage des Reli/Bio-Lehrers "Hochzeit, Erster Fremder Fehl geht mit!" zweimal die Herz Zehn und dann ein weiteren Trumpf aufspielt, so dass der Pauker ein Solo zu spielen gezwungen ist, das er unmöglich gewinnen kann. Das ist sehr lustig, vor allem, wenn man feststellen kann, wie viele luthereske Fäkalausdrücke auch beim härtesten Katholiken hängengeblieben sind.
Droht Euphorie, flicht der Doc ein paar Geschichten von seiner onkologischen Station ein, amüsiert sich selbst prächtig, hat aber die Stimmung der anderen etwa auf den Level einer Telekomm-Kleinaktionärsversammlung gedrückt. Um mitzuhalten fragt der Banker uns nach unserer Altersvorsorge aus und verschluckt sich fast vor Lachen und meint, er habe gehört, dass es sich unter den Ruhrbrücken im Alter ja ganz nett leben lässt – jedenfalls von April bis September.
Kleine Scherze meinerseits, wie etwa das Aufspielen einer dritten Kreuzdame werden im Allgemeinen nicht goutiert und ziehen Fragen nach sich wie die, ob man mit "so einer Scheiße" tatsächlich Geld verdienen könne. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass dem Mitspieler schon mal ein gebrummtest "Nicht schlecht" entfährt, wenn ich mit dem Kreuzbuben im letzten Stich noch den Fuchs der Gegenseite einfange, uns so über die spielentscheidende Grenze von Einhundertzwanzig Punkten bringe und nebenher noch zwei Extrapunkte einsacke. (Was mir allerdings erst einmal, im März 1998 gelungen ist.)
Gegen Ende des Jahres wird gern in die psychologische Trickkiste gegriffen. Dem in der Gesamtwertung Führenden wird angeboten, ihn mit dem Auto abzuholen, obwohl das gar nicht auf dem Weg liegt, damit er "auch mal was trinken" könne, im Laufe des Abends steht immer eine volle Flasche vor ihm, und rechnet er durch, ob das mit dem "Damensolo, Re, keine Sechzig!" auch tatsächlich hinhaut, wird er nach seinen Urlaubsplänen gefragt oder besser noch, nach seiner schulischen Vergangenheit im Fach Mathematik, bis ihm so viele Zahlen durch den Schädel fliegen, dass er sich für die Rätselwand bei Wim Thoelke hält. So jedenfalls haben sie MICH im letzten Jahr kleingekriegt.
Aber ich werde in der Runde ja ohnehin nur geduldet. (Mein Lieblingsspruch, wenn es mal wieder schlecht läuft und mich Attacken von Selbsthass durchzittern.)
Der Steueranwalt erfasst alle Spiele in einer Excel-Datei und ist jederzeit in der Lage (und leider auch willens) die unmöglichsten Statistiken auszudrucken: wer die meisten Spiele bei Westwind gewonnen hat, wer vor allem Dienstags besonders gut drauf ist und wer besonders oft besonders gute Blätter vergeigt. Das letzte Spiel des Jahres wird nicht bei einem von uns fünf zu Hause veranstaltet, sondern in einer jährlich wechselnden Kneipe.
Dem Jahressieger (schon zweimal bezeichnenderweise der Statistikführende) wird am Ende des Abends vom Drittplatzierten ein kleiner Pokal überreicht. Der Pokal stammt aus einem Pokale-Geschäft in der Bochumer Brückstraße, einem Geschäft, in dem man auch Zinnteller mit Sprüchen gravieren lassen kann wie "Ob ich morgen lebe werde, weiß ich freilich nicht./ Wenn ich morgen lebe, dass ich dann auch saufen werde, weiß ich ganz gewiss."
Den Deckel des Pokals zieren vier Spielkarten im Ährenkranz und auf den Sockel wird jedes Jahr ein graviertes Plättchen mit dem Namen des Siegers geklebt, bis der Sockel voll ist.
Nach der Siegerehrung muss der "Pokalinhaber" im Laufschritt durch die Kneipe eilen, allen Tischen seine Trophäe zeigen, sie immer wieder in die Höhe recken und so etwas schreien wie: "JAAAAA!"
Komischerweise muss man niemanden lange bitten, das zu tun.
Der Letztplazierte hat dann ein Interview zu führen, das dem Sieger Antworten ermöglicht wie "Ja, also gut, ich war ja in diesem Jahr von Anfang an super drauf, hatte dann im Mai, Juni und Juli einen tollen Lauf und konnte dann auch die Durststrecke im Herbst gut wegstecken und das Ende war ja dann eh sssupper!"
Männer – man muss sie einfach lieben!