Doping-"Schlinge" um Mühlegg zieht sich zu Salt Lake City/München - Die Olympischen Winterspiele stehen vor ihrem größten Doping-Skandal.
Der dreifache Goldmedaillengewinner Johann Mühlegg befindet sich unter dringendem Dopingverdacht. Zahlreiche Indizien sprechen gegen den Deutsch-Spanier.
Der gebürtige Allgäuer steht nur wenige Stunden nach seinem größten Triumph vor den Trümmern seiner Karriere. Am Samstag hatte Mühlegg mit seinem Sieg über 50 Kilometer als erster Langläufer drei Mal Einzel-Gold bei einem Olympia-Auftritt geholt und damit Geschichte geschrieben.
IOC bestätigt Verdacht
Bereits am vergangenen Donnerstag war der 31-Jährige bei einer unangemeldeten Trainingskontrolle positiv auf das Blutdopingmittel "Darbepoetin alfa" getestet worden, das auch unter dem Begriff "NESP" bekannt ist. Das wurde der spanischen Mannschaft noch während des Festessens zugunsten Mühlegges nach seinem dritten Triumph am Samstagabend mitgeteilt und am Sonntag offiziell vom IOC bestätigt.
Noch in der Nacht wurde Mühlegg von einer medizinischen Untersuchungskommission verhört. Um 8.00 Uhr Ortszeit muss sich Mühlegg in Salt Lake City vor der IOC-Disziplinarkommission, der der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach vorsitzt, verantworten. Die B-Probe soll gegen 11.00 Uhr Ortszeit analysiert werden.
Danach wird das IOC-Exekutivkomitee zusammentreten und Stellung zum Fall Mühlegg nehmen. Bis dahin wollte sich IOC-Präsident Jacques Rogge nicht äußern.
Mühlegg droht Sperre und Ende der Karriere
Sollte sich der Verdacht bestätigen, könnte der von den Spaniern liebevoll "Juanito" genannte Allgäuer die drei Goldmedaillen verlieren. Ihm droht zudem eine zweijährige Sperre und damit das Ende seiner sportlichen Karriere.
Ganz Spanien steht wegen der Vorwürfe gegen Mühlegg unter Schock. "Aus dem Helden ist über Nacht ein Bösewicht geworden", meinte ein Radiosprecher. Die Zeitung "El Mundo" verglich den Fall mit dem Dopingskandal um den 100-Meter-Läufer Ben Johnson bei den Sommerspielen 1988.
"NESP" lange nicht nachweisbar
Mühlegg scheint der rasante Fortschritt in der Dopingforschung zum Verhängnis zu werden. Das bei ihm gefundene Mittel "NESP", das sich in Radsport-Kreisen großer Beliebtheit erfreuen soll, galt noch im vergangenen Jahr als nicht nachweisbar. Es enthält die dem "EPO" ähnliche Substanz "darbepoetin alfa".
"Viele Menschen denken, das man es im Labor nicht nachweisen kann. Aber man kann", sagte der Spanier Jordi Segura, Mitglied der medizinischen Kommission des IOC.
Spanischer "Kronzeuge" der Anklage
Der Leiter des vom IOC akreditierten Dopinglabors in Barcelona fungiert quasi als "Kronzeuge" der Anklage gegen seinen Landsmann. Eindeutig widersprach Segura daher den Aussagen von Sportminister Juan Antonio Gomez Angulo, nach dessen Meinung das Mittel nicht auf der Dopingliste steht.
"Diese Substanz hat den selben Effekt wie das verbotene Erythropoetin. Und auf der Liste steht ganz klar, dass auch alle dem 'EPO' verwandten Mittel verboten sind."
Gefährlich für den Körper: "NESP" 20 Mal stärker als "EPO"
Die Einnahme des Mittels steigert die Leistungsfähigkeit der Athleten, birgt aber auch das Risiko, dass der Sportler mit seinem Leben spielt. Das Präparat "NESP" wirkt dreimal länger als "EPO" und ist 20 mal potenter. Bei Versuchspersonen wurden ein häufiges Auftreten von Thrombosen und Herzbeschwerden festgestellt.
Wie "EPO" wirkt "NESP" stimulierend auf die Produktion roter Blutkörperchen im Knochenmark. Der vom US-Pharmakonzern Amgen unter dem Namen "Aranesp" vertriebene Wirkstoff wird bei der Behandlung von Nierenpatienten eingesetzt. Nach Angaben der spanischen Nachrichtenagentur "Efe" wird die Grundsubstanz aus den Eierstockzellen von chinesisch-mongolischen Hamstern gewonnen.
Rätselraten um Mühlegg schon vor dem 50-Kilometer-Rennen
Mühlegg war seit dem 8. Februar zu vier Bluttests gebeten worden. Nach seinen drei Goldmedaillen kamen zudem drei obligatorische Urinproben hinzu.
Bereits vor dem 50-Kilometer-Lauf am Samstagmorgen war Mühlegg ins Zwielicht geraten: Bei der obligatorischen Blutkontrolle vor dem Rennen, die der Russin Larissa Lasutina vor der Staffel zum Verhängnis geworden war, lag der Hämoglobin-Wert beim Grainauer leicht über der erlaubten Grenze.
Der fällige zweite Test brachte dann ein Ergebnis unterhalb des Grenzwertes und damit die Starterlaubnis.
Schummelte Mühlegg?
Doch das unter ominösen Umständen: Obwohl zwischen erstem und zweitem Test nach den Regeln des Internationalen Ski-Verbandes (FIS) nur fünf Minuten liegen dürfen, verbrachte der um 8.16 Uhr zur Kontrolle angetretene Langläufer angeblich mehr als eine Stunde beim Blutabzapfen.
"Ein Teamkollege von mir war auch bei der Kontrolle und hat berichtet, dass Mühlegg zwischen den Tests viel Wasser getrunken hat", meinte Silbermedaillen-Gewinner Michail Iwanow (Russland).
Das könnte geholfen haben, das Blut dünner zu machen, um dadurch die Hämoglobinkonzentration zu senken.
Verzweifelte Erklärungsversuche
Mühlegg versucht indes verzweifelt den Verdacht zu klären. "Ich habe die letzten fünf Tage eine spezielle Diät gemacht, zwei Tage nur Proteine und drei Tage nur Kohlenhydrate. Außerdem hatte ich letzte Nacht Durchfall und die Höhenlage spielt auch eine Rolle." Diese Erklärung nannte der medizinische Direktor des IOC, Patrick Schamasch, allerdings "absurd".
Mühlegg erklärte zudem, er sei "sauber": "Ich habe in der ganzen Saison zahlreiche Kontrollen über mich ergehen lassen und ich hatte nie irgendwelche Probleme. Daher weiß ich auch nicht, was da passiert ist."
"Ein Schlag zum Ende der Spiele"
Überrascht und geschockt zeigte sich der deutsche Langlauf-Koordinator und ehemalige Mannschafts-Kollege, Jochen Behle. "Das haut mich vom Sockel. Ich bin total konsterniert", sagte Behle, der Mühlegg nach seinen ersten beiden Triumphen noch mit Ausnahmeathleten wie dem ehemaligen Rad-Star Eddy Merckxs verglichen hatte.
Sollte Mühlegg tatsächlich seine Medaillen zurückgeben müssen, hätte das für Deutschland einen negativen Nebeneffekt. Im Medaillenspiegel würde Norwegen am deutschen Team vorbeiziehen.
by Sport 1 !!!!