"Noch denke ich nicht an den Abschied"
Ola Lindgren will sich ganz auf die Weltmeisterschaft konzentrieren, sein letztes großes Turnier als Spieler
In Portugal beginnt heute die Handball-Weltmeisterschaft. Für Ola Lindgren ist es das letzte große Turnier mit der schwedischen Nationalmannschaft. Der 38 Jahre alte Kapitän der HSG Nordhorn wechselt nach dieser Saison auf den Trainerstuhl beim Grafschafter Bundesligisten, der mit Peter Gentzel, Ljubomir Vranjes und Andreas Larsson drei weitere Akteure für das Drei-Kronen-Team abstellt. Über die WM und seine Ziele in der kommenden Saison bei der HSG sprach mit dem schwedischen Rekord-Nationalspieler (370 Länderspiele) GN-Redakteur Frank Hartlef.
GN: Die WM-Generalprobe gegen Island gerade noch mit 27:26 gewonnen, davor vier Test-Länderspiele ohne Sieg – die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft lief für Schweden nicht gerade optimal, oder?
Lindgren: Wir haben nicht so gute Ergebnisse erzielt, das stimmt.
GN: Aber ...
Lindgren: ... wir hatten es auch mit schweren Gegnern zu tun. Frankreich ist der amtierende Weltmeister und Jugoslawien war bei der letzten WM immerhin Dritter. Und außerdem haben uns immer einige wichtige Spieler gefehlt.
GN: In Portugal geht es ab heute in Sao Joao da Madeira gegen Ägypten, Slowenien, Brasilien, Algerien und Dänemark. Wie schätzen Sie die Gegner in der Gruppe D ein?
Lindgren: Das ist schwer zusagen. Wichtig ist, dass wir einen guten Start haben. Aber mit Ägypten und Slowenien haben wir ein ganz schweres Auftaktprogramm. Diese beiden Teams, die Dänen und wir werden wohl die Zwischenrunde erreichen. Aber weil man die Punkte gegen jene Teams mitnimmt, die weiterkommen, ist es besonders wichtig, gegen die in der Vorrunde zu gewinnen.
GN: Wen zählen Sie zu den Favoriten auf den WM-Titel?
Lindgren: Die Weltspitze liegt ganz eng beieinander. Da kommen mindestens sechs Mannschaften in Frage: Deutschland, Russland, Dänemark, Frankreich, Jugoslawien und natürlich Schweden. Aber es gibt auch einige Außenseiter. Nationen wie Slowenien oder Ägypten können sehr unangenehme Gegner sein. Auch Ungarn soll diesmal eine gute Mannschaft haben.
GN: Schweden gehört als Europameister zu den Favoriten. Wie hoch ist die Erwartungshaltung daheim?
Lindgren: Der Druck ist natürlich groß. Und nach den Niederlagen in der Vorbereitung wurde in den Zeitungen viel spekuliert: Sind die jetzt zu alt? Aber der Druck ist normal. Schließlich spielen wir seit Jahren bei fast jedem Turnier im Finale mit. Unser Minimalziel ist diesmal der siebte Platz, damit wir uns direkt für Olympia 2004 qualifizieren. Aber wir wollen selbstverständlich um eine Medaille mitspielen.
GN: Sie haben alles gewonnen – bis auf olympisches Gold. Staffan Olsson und Magnus Wislander, mit denen Sie schon seit der Junioren-Nationalmannschaft gemeinsam für Schweden spielen, halten sich auch für die Spiele im nächsten Jahr in Athen die Tür offen. Und für Sie ist nach Portugal wirklich Schluss?
Lindgren: Es sieht ganz so aus, ja.
GN: Überkommt Sie da dabei nicht ein komisches Gefühl?
Lindgren: Nein. Ich habe mich entschieden, die Arbeit als Trainer zu machen. Und ich freue mich auf diese neue Aufgabe. Ich bin jetzt fast 39. Und es ist schon außergewöhnlich, dass man so lange spielt. Ich versuche, mich jetzt ganz auf die WM zu konzentrieren und nicht an den Abschied zu denken. Schluss ist Schluss – aber noch denke ich nicht daran.
GN: Sicherlich werden Sie schon einige Gedanken in Ihrem Kopf bewegen, was Ihre Mannschaft für die kommende Saison angeht. Werden Peter Gentzel und Torsten Jansen dann noch dabei sein?
Lindgren: Peter will am liebsten hier bleiben. Aber er will auch wissen, wie es hier wirtschaftlich weiter geht. Ich denke, das sieht ganz positiv aus. Und daher glaube und hoffe ich, dass Peter in Nordhorn bleibt.
GN: Und wie steht’s mit Jansen?
Lindgren: Ich hätte es natürlich am liebsten, wenn alle bleiben. Aber man muss es auch akzeptieren, wenn sich jemand anders entscheidet. Wir dürfen und werden keinen Druck auf Torsten machen. Er hat noch Zeit zum Überlegen und wir haben dann noch Zeit genug, uns möglicherweise um neue Spieler zu kümmern.
GN: Von ihren Kollegen im Nationalteam werden einige als potenzielle Zugänge bei der HSG gehandelt, vor allem Robert Arrhenius und Martin Boquist. Wie stehen die Chancen?
Lindgren: Bei Arrhenius haben wir gute Möglichkeiten, ihn zu bekommen. An Boquist sind viele Vereine interessiert, das wird schwer für uns.
GN: Können Sie in Portugal bei Ihren Mitspielern nicht ein wenig für Nordhorn werben?
Lindgren: Nein. In der Zeit muss sich jeder ganz auf die WM konzentrieren. Wenn ich mit jemandem Kontakt aufnehmen will, dann mache ich das telefonisch von Nordhorn aus.
GN: Mal angenommen, die beiden kommen nach Nordhorn. Arrhenius würde Ihren Platz in der Abwehr einnehmen und könnte überdies im Angriff am Kreis spielen; Boquist wäre der dringend benötigte Rechtshänder im Rückraum. Reicht das an Zugängen, wenn alle anderen bleiben?
Lindgren: Ich denke schon, dann haben wir jede Position doppelt besetzt.
GN: Und kann sich die HSG die Zugänge Ihrer Einschätzung nach leisten?
Lindgren: Es sind ja zwei Spielergehälter frei. Meines fällt ab Sommer weg, weil ich Trainer werde. Und Robert Andersson hat bereits den Verein gewechselt.
GN: Sollte Jansen nach Gummersbach oder Hamburg wechseln, ist dann ihr Freund und Nationalmannschaftskollege Martin Fändesjö wieder ein Thema für die HSG?
Lindgren: Erst muss Torsten sich entscheiden. Und ich hoffe, dass er bleibt. Wenn er uns verlässt, müssen wir über Alternativen nachdenken. Und dann ist auch Frändesjö ein Kandidat.
GN: Kent-Harry Andersson hat sechs Jahre lang die HSG Nordhorn entscheidend geprägt. Was hat man von Ihnen als Trainer zu erwarten?
Lindgren: Ich habe die gleiche Philosophie wie er. Als wird hier genau so weiter gearbeitet.
GN: Können Sie einmal genauer erklären, was hinter dieser Philosophie steckt?
Lindgren: Wir kommen beide aus der schwedischen Handball-Schule. Das bedeutet, wir lassen schnellen, attraktiven Handball spielen. Die Angriffe sind kollektiv gebunden, aber jeder Spieler hat die Freiheit, sich individuell zu entfalten. Und in der Abehr spielen wir eine 6:0-Formation, aus der sich die schnellen Gegenstöße aufbauen.
GN: Außer Andersson haben Sie über Jahre mit Nationaltrainer Bengt Johansson zusammen gearbeitet. Inwieweit hat Sie das geprägt?
Lindgren: Natürlich wird man von seinen Trainern beeinflusst. Aber jeder Trainer hat seine eigene Art, auch als Persönlichkeit.
GN: Was werden sie in der täglichen Arbeit anders machen als Ihr Vorgänger?
Lindgren: Ich will zum Beispiel einen Co-Trainer haben, das ist ganz klar. Wir haben uns konkret noch keine Gedanken gemacht, wie der Posten besetzt werden kann. Aber es gibt zum Beispiel im eigenen Verein einige Kandidaten, die das machen könnten. Die Zusammenarbeit mit der zweiten Mannschaft muss intensiver werden. Der Sprung darf nicht mehr so groß sein. Deshalb müssen die Spielkonzepte identisch sein.
GN: Nach der WM geht’s gleich weiter in der Bundesliga. Was trauen Sie sich und Ihren Kollegen da zu?
Lindgren: Ganz ehrlich – um einen Europacup-Platz zu schaffen, muss es schon optimal laufen. Wir haben mehr Auswärts- als Heimspiele. Da ist Platz sechs bis neun in der Asbchlusstabelle ein realistisches Ziel.
GN: Und im Europacup?
Lindgren: Der ist für uns Spieler unheimlich reizvoll. Ich glaube, dass wir auch gegen Astrachan sehr gute Chancen haben. Barcelona ist eine Klasse für sich; ansonsten kann in diesem Wettbwerb jeder gegen jeden gewinnen. Und wenn wir ein bisschen Glück haben, dann können wir bis ins Finale kommen.