Im Inge Schanding Thread haben sich die profunden Geschichtskenner dankenswerterweise geoutet. Vielleicht ergibt sich daraus hier ja ein interessanter Thread.
Dass Thema Doping kann man nicht aussen vor lassen, aber zumindest in den Spielsportarten Handball und Volleyball war es kein Thema und trotzdem war die DDR dort gemessen an der Einwohnerzahl Weltspitze.
Ich sehe den damaligen Erfolg in erster Linie im Screening oder auch Sichtung. Ich meine, dass im Alter von 10 Jahren jedes Kind vermessen und getestet wurde. Ich landet beim Probetraining für Kanu weil mein Oberkörper im Vergleich recht lang war. Dann kann pro Kreis Trainingszentren mit schon drei-viermal Training. Ab 14 dann die KJS für die besten.
Eine Frage am Rande an die Experten. Warum hiess der SC in Schwerin "Traktor". War doch eine Bezirksklub und Landmaschinen gab es Schwerin meines Wissen nicht. Nur einen Haufen LPGen.
DDR-Leistungssportsystem Pro und Contra - jenseits von Doping
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Freundschaft!
Dass Thema Doping kann man nicht aussen vor lassen, aber zumindest in den Spielsportarten Handball und Volleyball war es kein Thema und trotzdem war die DDR dort gemessen an der Einwohnerzahl Weltspitze.
Na dann lies mal die Biographie von Wolfgang Böhme.Mein Opa hat mal erzählt, daß ein Mädchen aus der Straße zum SCM delegiert wurde (Handball), ein paar Monate später sah die muskulär dann ganz anders aus.
Doping hat im Rodeln keine Rolle gespielt. Weil sie wußten, daß das die Rodler nicht schneller, sondern langsamer macht. Aber sonst...
Im Handball hat das Sportsystem super funktioniert. Das hatte mit der Sichtung, der Delegierung und der guten Trainerausbildung sicher mehr zu tun als mit Doping. Und es gab halbwegs spannende Ligen. Das war ja nicht in allen Ostblockländern so, weil es dort teilweise einen zentralen Club gab.
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Eine Frage am Rande an die Experten. Warum hiess der SC in Schwerin "Traktor". War doch eine Bezirksklub und Landmaschinen gab es Schwerin meines Wissen nicht. Nur einen Haufen LPGen.
@ Alter Sack
Ich danke dir erstmal, dass Du diesen Thread aufgemacht hast. Ich bin ja gestern auf diesen Thread "Inge Schanding" gestoßen, da ich von Lothar Frohwein nicht wieder einen Rüffel bekommen wollte, weil ich ein Thema/Thread in eine falsche Kategorie bzw. eine Thema in den falschen Thread gesetzt habe. Ich suchte gestern nach einer Möglichkeit eine Plattform wo man Belange des Frauen- und Männerhandball gemeinsam diskutieren kann, fand ich aber bisher aber nicht.
Nun zu deiner Frage, man muss die ganze Sache, wie sagt der Didaktiker bzw. Methodiker, "historisch-genetisch" betrachten. Auch BSGen waren Vorläufer der Sportclubs, sagen wir mal 1955 (ggf. auch schon früher) waren die ersten Gründungen der Sportclubs. Aus den BSGen wurden Sportclubs, sie trugen nur noch den Namen. Konkret, BSG Turbine Erfurt wurde zu SC Turbine Erfurt (eine BSG Turbine gab es aber weiter), damit war die Zeit der Abhängigkeit von Betrieben vorbei, die Clubs wurden dann aus dem Staatshaushalt finanziert, das muss man so offen sagen. Demnach war "Traktor" bei SC Traktor Schwerin, nur noch "symbolisch" ein Verweis auf Gegenden mit landwirtschaftlicher Produktion, das gleiche traf auch auf Traktor Oberwiesenthal (Wintersport) zu. Man muss streng unterscheiden zwischen "SC" und "BSG", nur bei der BSG "greift" der Trägerbetrieb. Sportclubs waren faktisch staatliche Betriebe zur "Erwirtschaftung sportlicher Anerkennung". Ein Clubvorsitzender wurde nicht gewählt, wie ein BSG-Vorsitzender, er wurde quasi „von oben“ eingesetzt (heute würde man sagen "bestellt"). Eine "Scheinwahl" gab es dann aber auch noch. Es war quasi so, wie es heute bei "RB Leipzig" ist: "Wer die Musik bestellt, sagt auch was gespielt wird". Außenstehende (passive) Mitglieder wollte man auch nicht unbedingt haben. Beim Fußball (z. B. 1. FC Union Berlin) war es etwas anders. Ich hatte im anderen Thread nicht umsonst geschrieben "die Sportclubs mit ihrer Geheimniskrämerei". Die Strukturen, Finanzierung und Auflagen der Sportclubs hatte ich damit gemeint, dies war in der Bevölkerung nicht ganz klar. Clubvorsitzender war m. E. ein größerer Schleudersitz, als heute ein "Trainer in der Fußball-Bundesliga". Natürlich waren die Zyklen der Wechsel nicht so kurz wie beim "Trainer einer Fußballbundesliga-Mannschaft", aber er hatte ja fast selbst keinen Einfluss auf Erfolg und Misserfolg des Clubs. Und die Abrechnung kam spätestens nach Olympischen Spielen. Wenn wir heute beim DOSB über Zielvorgaben reden, das hat man sich das vom DDR-Sportsystem abgeschaut. Die Sportclubs bekamen knallhart ihre Auflagen in der "Sportart a" "x Medaillen", in der "Sportart b" "y Medaillen" und in der "Sportart c" "z Medaillen" zu holen. Bei Mannschaftssportarten gab es diese Auflagen für die Fach-Verbände.
Auf die "KJS" (eigentlich hätten sie ja "KJSS" heißen müssen, aber mit zwei "S" hintereinander hatte man ja auch so seine Probleme) kam man nicht erst mit 14 Jahren, da hätte es ja nur "JS" ("JSS") heißen brauchen, bei gewissen Sportarten waren mit 14 Jahren schon alle "Messen gelesen und gesungen", da brauchte man gar nicht erst mit Training auf höherem Niveau anfangen.
Die KJS endete nicht unbedingt mit dem Abitur, sondern es war auch "nur" die "mittlere Reife" möglich Das aber war (wenigstens in Erfurt beim SC Turbine) von den Sportarten abhängig, Schwimmer (ich glaube auch Eiskunstläufer) mussten Abitur machen. Radsportler, Eisschnell-läufer und Leichtathlten konnten "Abitur machen", konnten aber auch nach der 10. Klasse mit einer einjährigen Lehrvertragsverlängerung eine Berufsausbildung (wobei die Auswahl der Berufe diesbezüglich nicht groß war, was eben die Großbetriebe der Region mit eigenen Berufschulen anboten) beginnen. -
Dass Thema Doping kann man nicht aussen vor lassen, aber zumindest in den Spielsportarten Handball und Volleyball war es kein Thema
Zitat"Habe gestern die Tabletten bekommen. Zehn Tage muss ich vier Tabletten nehmen und dann bis zum 4. September zwei am Tag"
via DDR-Handballer B鰄me: Der ausradierte Star - SPIEGEL ONLINE
Oder eben direkt in seiner Biografie Startseite | Verlag Die Werkstatt -
Außenstehende (passive) Mitglieder wollte man auch nicht unbedingt haben.
Meines Wissens konnte man in einen SC gar nicht einfach so aus freien Stücken eintreten, weil man gerade Lust dazu hatte (genau wie bei RB...). Die DDR-Sportvereinigungen und ihre angegliederten örtlichen Untereinheiten sind mit dem (west-)deutschen Vereinswesen ja auch nicht zu vergleichen, denn dieses (mithin historisch betrachtet auch noch explizit aus der Burgeoisie hervorgegangene) steht ja schon in seinem Grundgedanken - Vereine als ausdrücklich staatsfreie und private Interessensgemeinschaften - dem politischen System der DDR und dem Kontroll- und Leitungswahnanspruch der Partei auf allen gesellschaftlichen Ebenen entgegen. So war ja auch der DTSB nicht als "Verein aus Vereinen" (horizontale Gliederung) etwa analog zum DSB aufgstellt, sondern als direkt von der Parteileitung abhängiges Kontroll- und Leitungsorgan seiner Mitglieder (vertikale/hierarchische Gliederung). Schon die Unterscheidung von verschiedenen Sportvereinen in unterschiedliche "Leistungsgruppen" oder von staatlicher Seite aufgetrage Spezialaufgaben sind im bundesdeutschen Vereinswesen undenkbar und laufen dem Grundgedanken zuwider.Die Gründung einer Vereinigung (man beachte die didaktischen Feinheiten) war in der DDR denn ja auch nicht ganz so einfach und unkompliziert wie man im Westen und heutzutage einen Verein gründen würde, sondern ausschließlich nach Genehmigung durch staatliche Stellen möglich, bei bezirksübergreifenden agierenden Vereinigungen wurde gar eine Genehmigung durch das Innenministerium(!) benötigt (das regelte die Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen, die sich erstaunlich eng an das verflossene Reichsvereinsgesetz [i.K. 1908-1964] anlehnt. Stichworte: staatliche Aufsicht über das Vereinswesen, Vereinspolizei) und schon der Versuch einen ungenehmigten Verein zu gründen, war strafbar (§218 StGB DDR). Es konnte ja schon strafbar sein, sich zu viert an einer Straßenecke aufzuhalten ("Zusammenrottung" / "Rowdytum", § 217 StGB DDR)...
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Hallo,
ich weiss von einem Mädchen, dass zu DDR-Zeiten in die Sportschule für RSG aufgenommen werden sollte. Das wollten die Eltern nicht, dann musste das Kind seine Sachen abholen und wurde nicht weiter trainiert.
Genauso weiss ich von einer Jugendlichen, die Leichtathletin war und deren Wachstum gestoppt wurde, weil sie ansonsten zu groß geworden wäre.
Eine Dritte (Leichtathletin) bekam angebliche Vitaminpillen in den Ferien mit nach Hause, die sollte sie nehmen.
Was aber zu DDR-Zeiten vermutlich extrem gut war, war die Sichtung und Förderung der Kinder. Wobei diese Sichtung nicht unbedingt nach Interesse des Kindes sondern nach seinem Körperbau gemacht wurde.
Aber, das Doping einmal beiseite gelassen, meine Kinder waren auch in frühem Alter bereits Landeskadern etc. und ich muss sagen alle Vereine haben viel für die Kinder gemacht und versucht die Kinder entsprechend sportlich zu fördern und die finanzielle Belastung der Eltern sich in Grenzen hielt.
Wobei ich auch gesehen haben, dass in den Zeiten nach der Wende zwar gesichtet wurde und diese Kinder auch eine Zeit den Sport gemacht haben, aber nicht zwingend mit dem Ehrgeiz dabei waren, der für eine leistungssportliche Karriere notwendig ist. Von den begabten Kindern haben viele wieder frühzeitig aufgehört und die ehrgeizigen haben diesen teilweise den Rang abgelaufen was Platzierungen etc. anging.
Aber ich habe eben festgestellt, dass sich die neuen Bundesländer die Sportförderung etwas kosten lassen. Wir haben für das Sportinternat mit Verpflegung etc. keine 200 € gezahlt. In Berlin mussten dafür über 400 € bezahlt werden. Wobei auch jedes Jahr mit Beginn des Schuljahres bei uns automatisch Anträge ausgeteilt wurden, um diese Internatkosten noch reduzieren zu können. Die gab es mit Unterschrift unter den Internatvertrag und der Schlüsselaushändigung des Zimmers dazu. Da haben die Vereine/Verbände viel möglich gemacht, trotz begrenzter finanzieller Mittel.
Allerdings hatten die Vereine zu DDR-Zeiten noch ein größeres Interesse an der Abgabe der Kinder an die Sportschulen, damals gab es noch "Kopfprämien" für jedes Kind was aufgenommen wurde. Heute machen es die Vereine, weil sie sehen, dass die Kinder dort besser gefördert werden als sie es selbst könnten.
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Ich habe die Böhmebiographie gelesen. Die ist mir aber irgendwie nicht sehr in Erinnerung geblieben. Wenn man sich nur den Leistungsbereich anschaut war das DDR-System wohl zweifellos das erfolgreichste System der Welt, wenn man den Medaillenspiegel ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt. Für mich liegt der Schlüssel in der „deutschen“ Akribie, mit welchem das System entwickelt wurde. Auch in der Dopingforschung war die DDR wohl im Ostblock führend.
Der Hauptgrund, warum das jetzige System nicht mehr so viele Spitzenleistungen generiert liegt meiner Meinung nach im nach 89 weggefallenen Anreizsystem. Selbst wenn wir das gleiche System hätten wie in der DDR würden ein sehr viel geringerer Teil der Kinder und Eltern die notwendigen Trainingsumfänge hinnehmen bzw. zulassen. In der DDR hatte man durch einen KJS-Besuch ja durchaus Vorteile. Man gehörte zur Elite. Letzte Woche gab es eine Doku bei ZDF Info, da berichtete eine bekannter sächsischer Kabarettist, dass ein Hauptanreiz für den Spitzenkader zu trainieren die Aussicht auf Adidas-Klamotten waren. Neben der Aussicht auf internationalen Ruhm gehörte sicher auch die mögliche Anschlusskarriere bei der Wahl auf die KJS zu den Entscheidungsgründen. Mit einem Sportstudium fand sich dann ja oft eine Stelle in einem der viele Trainingszentren. Die großen BSGen wurden ja auch nicht nur ehrenamtlich geführt.Neben der Sucht nach Anerkennung für die größte DDR der Welt durch den Erfolg der „Diplomaten im Trainingsanzug“ habe ich noch in Erinnerung, dass Spitzensportler durch ihren Erfolg Kinder zum Sport animieren und dadurch die Volksgesundheit steigern. Ein auch heute ja noch durchaus gängiges Argument. Ich glaube da war die DDR trotz möglicherweise mehr Sport am Ende schlechter. Durch die schlechteren Arbeitsbedingungen und den aus meiner Sicht sehr viel mehr verbreiteten Suff war das durchschnittliche Sterbealter vermutlich niedriger als im Westen.
Ich habe noch eine Anekdote aus dem BSG-Leben zum besten zu geben. Als 16-jähriger wurde ich Winterbader. Das war ne große Nummer in der DDR weil es sogenannte „Eisbaderfaschings“ gab. Der „Sport“ bestand darin, dass man sich warm hüpfte und dann im Winter ins Wasser hüpfte. Der Ursprung liegt wohl bei den Russen. Jedenfalls sind wir in jedem Winter zu mindestens drei Treffen in der Republik gefahren (ich erinnere mich an Chemnitz, Osterburg und Berlin). Die ganze Fahrt bezahlte der Verein. Das artete so aus, dass einige „Mannschaften“ quasi nur aus Hardcoretrinkern bestanden die auf Kosten der BSG durch die DDR zu diesen Treffen gefahren sind und wild abgefeiert haben. Die hatten sich nicht mal mehr warmgehüpft sondern da half die Wodkapulle.
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Freundschaft!
Das wirklich extremste Beispiel für den Aufwand, der betrieben wurde: 1972 gab es in München (oder vielmehr in Augsburg afair) erstmal Wildwasserkanu in einem künstlichen Kanal. Die bundesdeutschen Athleten freuten sich über den Trainigsvorteil. Denkste, die DDR hat das Ding kurzfristig mehr oder minder nachgebaut und dann die Medaillen nur so abgeräumt.
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Ich denke, dass Doping nicht den Vorteil ausmachte, dass das sportliche System der DDR hatte, den es wurde hüben wie drüben 'ne Menge genommen, hier systematischer in gezielten Dosen (das soll die Mehrzahl von Dosis sein), dort wilder in großen Mengen, da kam man besser ran. Der Fall "Dressel" deckt einiges auf. Die meisten Ossis werden sich erinnern, dass irgendwann im Sportunterricht der Schule einige Beobachtungen und Vermessungen stattfanden und danach die Kinder gezielt für eine Sportart geworben wurden. Da wussten man beispielsweise genau, wie groß die kleine Kerstin oder wie stark der pummelige Holger werden könne, ob eine oder eine andere Sportart lohne. Die Kinder/Eltern konnten ja oder nein sagen. Ein "Ja" machte Aussicht auf eine bessere Zukunft mit materiellen und touristischen Vorteilen (man durfte gegebenenfalls in den Westen reisen). Schon bemerkt, dass hauptsächlich Einzeldisziplinen und Sportarten, die Kraft, Technik und Synchronität und weniger Spontanität erforderten, für den Medaillenregen bei olympischen Spielen und Weltmeisterschaften sorgten? Das war sicherlich kein Zufall gewesen...