Die CDU setzt knapp drei Monate vor der Bundestagswahl offenbar zum politischen Amoklauf an
- Oder doch nur Sommerloch?
ZitatAlles anzeigenCDU-Regierungschef: Krümmel ist ein Kraftwerk mit Zukunft
Günther Oettinger fordert Weiterbetrieb, "wenn die technischen Voraussetzungen stimmen". Hamburger CDU-Politiker dagegen für die Stilllegung.
Hamburg. Nach dem Störfall im Atomkraftwerk Krümmel hat sich die Debatte um die Kernenergie zugespitzt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) wandte sich gegen generelle Zweifel an der Sicherheit von Krümmel und anderen deutschen Kernkraftwerken. "Es wäre falsch, jetzt ungeprüft die Stilllegung von Krümmel zu fordern. Wenn die technischen Voraussetzungen stimmen, ist Krümmel ein Kraftwerk mit Zukunft", sagte er dem Abendblatt.
Bedenken von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete er als "Wahlkampfmanöver" und betonte: "Unsere Kernkraftwerke sind sehr sicher." Sollte die Union nach der Bundestagswahl mit der FDP regieren, werde sie "den Ausstiegsplan der Regierung Schröder/Trittin auf den Prüfstand stellen", kündigte Oettinger an. "Für alle Kernkraftwerke, die dem Stand der Technik entsprechen, werden wir die Laufzeitbeschränkungen aufheben." Auf die Frage, ob der Bau neuer Atomkraftwerke ausgeschlossen bleiben soll, antwortete der CDU-Politiker: "Für alle Zeiten sollte niemand Aussagen treffen. Aber für das nächste Jahrzehnt geht es nicht um Neubau, sondern um Laufzeitverlängerung." Oettinger zeigte sich überzeugt, dass die Atompolitik zu einem der "großen Wahlkampfthemen" wird.
Im Gegensatz zu Oettinger forderte der umweltpolitische Sprecher der Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion, Rüdiger Kruse, Krümmel stillzulegen. "Dieses Kraftwerk ist ein Pannenreaktor", sagte er dem Abendblatt. "Ich empfehle Vattenfall, auf den Weiterbetrieb zu verzichten." Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust, der auch umweltpolitischer Sprecher der Bundes-CDU ist, verlangte vom Betreiberkonzern rückhaltlose Aufklärung. "Sicherheit ist das wichtigste Gebot und steht vor allem. Deshalb ist es richtig, wenn beim leisesten Verdacht abgestellt wird." Beust und Umweltsenatorin Anja Hajduk (Grüne) wollen am Donnerstag mit dem Generalbevollmächtigten der Vattenfall Europe AG, Rainer Schubach, über Reaktorsicherheit und die Stromversorgung Hamburgs sprechen.
Der von der Krümmel-Panne ausgelöste Stromausfall hatte in der Hamburger Wirtschaft große Verärgerung ausgelöst. Beim Kupferhersteller Aurubis ist der Schaden "gut sechsstellig". Auch andere Unternehmen bringen ihren Unmut zum Ausdruck. "Wir haben gegenüber Vattenfall noch mal eindeutig klargemacht, dass wir die Lage so nicht akzeptieren können", sagte Lutz Bandusch, Werksleiter der Stahlwerke ArcelorMittal.
Abendblatt, 7.7.2009
gau/dey/vlvet
ZitatAlles anzeigenStruck wirft Merkel Einknicken vor Atomlobby vor
In der Koalition gibt es nach dem Störfall in Krümmel heftigen Streit über die Zukunft der Atomkraft: SPD-Fraktionschef Struck beschuldigt Kanzlerin Merkel, vor der Atomlobby einzuknicken. Aus der Union kommt scharfe Kritik an Umweltminister Gabriel.
Hannover - In der Debatte um den erneuten Störfall im Atomkraftwerk Krümmel hat SPD-Fraktionschef Peter Struck Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeworfen, vor der Atomlobby einzuknicken. Es sei absurd, so zu tun, als gingen in Deutschland bei einem Abschalten von Atomkraftwerken die Lichter aus, sagte Struck der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse" laut Vorabmitteilung. "In Wirklichkeit knickt Frau Merkel hier vor der Atomlobby ein", erklärte er.
Struck fügte hinzu: "Abgeschriebene Kernkraftwerke sind Gelddruckmaschinen für die Betreiber. Es geht um Profit und um sonst nichts." Merkel, Union und FDP seien mit ihrer "sturen Forderung nach längeren Laufzeiten auf einem hochgefährlichen Kurs", fügte der SPD-Politiker hinzu.
Der Störfall in Krümmel sei ein GAU für die Atomenergie. "Selbst die verbohrtesten Kernkraftbefürworter müssten nach dieser Pannenserie einsehen: Laufzeitverlängerungen oder gar der Neubau von Atomkraftwerken sind der falsche Weg." Längere Laufzeiten könne es höchstens für neuere Kernkraftwerke geben, wenn im Gegenzug alte früher abgeschaltet würden. Notwendig sei es jedoch, insgesamt schneller als geplant aus der Atomenergie auszusteigen.
Bereits am Montag hatte Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) einen schnelleren Ausstieg gefordert. Gabriel verlangte außerdem, den Ländern die Atomaufsicht zu entziehen.
Unterdessen erklärte die CDU-Vizechefin Annette Schavan die Panne in Krümmel sei ein Einzelfall. Die Forschungsministerin sieht keine akuten Sicherheitsgefahren in den deutschen Atommeilern und dringt weiter auf längere Laufzeiten, bis Öko-Energien genug ausgebaut sind. "Wir brauchen die Verlängerung der Laufzeiten dringend", sagte Schavan und unterstrich damit die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Schavan wies den Vorstoß Gabriels zurück, den Ländern die Atomaufsicht zu nehmen.
Der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer warf Umweltminister Gabriel vor, die Panne im Atomkraftwerk Krümmel politisch auszunutzen. "Wenn irgendwo im konventionellen Teil eines Kernkraftwerks ein Trafo durchbrennt, dann wird von Gabriel daraus gleich eine Kernschmelze konstruiert", sagte Ramsauer den "Nürnberger Nachrichten". Dabei gebe es keine technische Anlage in Deutschland, die permanent und so intensiv kontrolliert werde wie ein Kernkraftwerk.
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat Zweifel von Sigmar Gabriel an der Sicherheit deutscher Atomkraftwerke zurückgewiesen. "Unsere Kernkraftwerke sind sehr sicher", sagte Oettinger dem "Hamburger Abendblatt" vom Dienstag. Gabriels Forderung, den Bundesländern die Atomaufsicht zu entziehen, wertete er als "Unsinn". Zugleich bekräftigte der CDU-Politiker, dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung den Atomausstieg auf den Prüfstand stellen werde: "Für alle Kernkraftwerke, die dem Stand der Technik entsprechen, werden wir die Laufzeitbeschränkungen aufheben."
Oettinger wies im "Hamburger Abendblatt" auch Forderungen zurück, das Atomkraftwerk Krümmel nach wiederholten Störfällen vom Netz zu nehmen. "Es wäre falsch, jetzt ungeprüft die Stilllegung von Krümmel zu fordern", sagte er. "Wenn die technischen Voraussetzungen stimmen, ist Krümmel ein Kraftwerk mit Zukunft." Auf die Frage, ob der Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland ausgeschlossen bleibe, sagte Oettinger: "Für alle Zeiten sollte niemand Aussagen treffen. Aber für das nächste Jahrzehnt geht es nicht um Neubau, sondern um Laufzeitverlängerung."
Spiegel, 7.7.2009