Doppelte Bestrafung einer Mannschaft

  • Mannschaft A ist im Angriff. Nr. 5B greift 10A am 9m-Kreis in den Wurfarm. 10A kann aber noch an den am Kreis freistehenden Mitspieler 8A abspielen, dieser wird von 3B von hinten festgehalten und dadurch am Torwurf behindert. Die Entscheidung der Schiedsrichter war 7m für A und Hinausstellung von 5B und 3B.

    Nach dem Spiel gab es eine Diskussion zwischen den Schiedsrichtern und einem Spieler von B, der sich rühmte selbst jahrelang in der Regionalliga gepfiffen zu haben. Dieser meinte es sei ein Regelverstoß beide Spieler von B hinauszustellen. Da die SR zunächst den Vorteil laufen ließen sei eine neue Situation am Kreis entstanden und 5B hätte deswegen nicht mehr nachträglich bestraft werden dürfen.

    Was meinen die Experten in diesem Forum dazu?

    th

  • Hallo hecksel,

    meiner meinung nach haben die Schiedsrichter richtig gehandelt, man kann nicht wegen einer Vorteilauslegung ein unsportliches Verhalten durchgehen lassen. Siehe dazu auch Regel 13:2.

    Gruß pilskie

    Alle Theorie ist grau =>entscheidend ist auf dem Platz

  • Jipp - genau DAS ist ja der Vorteilsgedanke - spielen lassen, so lange es geht (und die angreifende Mannschaft keine Regelwidrigkeiten begeht), und dann gesammelt alle noch nötigen persönlichen Strafen, die sich in der Zeit "angehäuft" haben, aussprechen...

  • Hi,
    ein Regelverstoß kommt nicht in Betracht, da es sich um eine Tatsachenfeststellung der Schiedsrichter handelt. Rein regeltechnisch ist es wie bereits angesprochen absolut richtig, dass in den meisten Fällen der Vorteil abgewartet werden sollte. Die einzige Frage, die sich hier stellt ist, ob es „taktisch“ (wenn ich das mal so formulieren darf) auch die beste Entscheidungsmöglichkeit ist?
    Manchmal hilft es einem als Schiedsrichter mehr, wenn man das pfeift was „alle“ sehen.
    Leider haben wir die Situation nicht gesehen, somit also nicht zu erörtern. In jedem Fall ist es so, dass rein regeltechnisch alles richtig gemacht wurde. Vorteil abwarten, danach die Fouls ahnden.

    Anders macht es auch keinen Sinn. Sonst wäre es ja stets so, dass der Abwehrspieler, der beim Anspiel an den Kreis, dem Rückraumspieler die berühmte “Hand ins Gesicht“ haut, nicht bestraft werden kann, wenn einer seiner Mitspieler danach den Kreisläufer foult und dafür progressiv bestraft wird.
    Ist wohl für jeden offensichtlich, dass das Nonsens ist. Regeltechnisch also einwandfrei, es stellt sich wie immer in der Schiedsrichterei nur die Frage der Taktik :)

    Handball, attraktiver kann man Sport nicht betreiben!

  • Ich muss Referee recht geben, vom taktischen her ist es nicht immer ratsam beide vom Feld zu stellen. Denn die meisten Spieler verstehen nicht warum zwei Spieler einer Mannschaft gehen müssen und die Stimmung auf dem Feld wird unsportlicher.
    Ich hab selbst schon solche Situationen gehabt. Sie sind nicht schön, aber manchmal unumgänglich.

    Ich kann nur in solchen Situationen raten:
    Wenn es nicht zwingend nötig ist Beide runterzustellen, dann sollte nur das schlimmere oder offensichtlichere Foul mit 2min geahndet werden. Den anderen Spieler kann man dann nebenbei sagen, dass ich als SR es gesehen und er es unterlassen soll.
    So funktioniert es meist besser mit den Spielern.

  • Zitat

    ein Regelverstoß kommt nicht in Betracht, da es sich um eine Tatsachenfeststellung der Schiedsrichter handelt.

    Njet. Wenn die Regel lautete, dass nach gegebenem "Vorteil" eine progressive Bestrafung aufgehoben wird, wenn es zu einer zweiten Strafe kommt, dann wäre dies keine Tatsachenentscheidung (Situation falsch wahrgenommen, folgefalsch konsequent entschieden) sondern ein Regelverstoß (Situation richtig wahrgenommen, falsche Rechtsfolge).

    "Perfektes Spiel für unruhige Zeiten: Schach und die große Sehnsucht nach Entschleunigung"

    Die hiesige Tageszeitung bereitet uns schon mal auf die Besatzung durch den Ivan vor.

  • Ja und wann bestraft man jetzt beide ? Spielverständnis her und Fingerspitzengefühl her, wenn hier schon eine solche These vertreten wird, dann äußert auch, bitte, auch wo die Grenze liegt.

    Mir war bislang unbekannt, dass Fouls eine unterschiedliche Wertigkeit aufweisen. Natürlich kommen nur strafwürdige Fouls in Betracht, aber wenn sie doch beide strafwürdig sind, kann man doch nicht sagen, da war noch ein zweites, das erste lassen wir mal unter den Tisch fallen.

    Was ist denn mit den Gefoulten ? Ich dachte immer, die SR sollen auch die Spieler schützen. Wenn ich das erste Foul ignoriere und unbestraft lasse, belohne ich doch letztendlich den Übeltäter.

  • @ Zickenbändiger.
    Ich habe das auf die aktuelle "Rechtslage" somit das aktuelle Regelwerk bezogen und danach ist es kein Regelverstoß. Was es für Rechtsfolgen bei anderen Regelauslegungen geben könnte ist ja hier nicht relevant. (In einem anderen Thread könnten wir aber noch die "Strafbarkeit" des SR erörtern, insbesondere Irrtümer sind dort ja von Relevanz :))

    Zur der Frage von Ex-HVS-SR wann man beide bestraft. Dafür gibt es kein Patentrezept und es gibt hier keine klare Grenze.
    Ich würde es als fließenden Übergang mit variabler Grauzone bezeichnen. Es gibt so viele Parameter die das alles beeinflussen.

    Zitat

    Mir war bislang unbekannt, dass Fouls eine unterschiedliche Wertigkeit aufweisen. Natürlich kommen nur strafwürdige Fouls in Betracht, aber wenn sie doch beide strafwürdig sind, kann man doch nicht sagen, da war noch ein zweites, das erste lassen wir mal unter den Tisch fallen.


    Doch man kann und muss sogar, das Regelwerk teilweise auslegen.
    Das beginnt bereits bei den „kleinsten“ Entscheidungen, die nicht einmal progressiv sind. Dass die Spieler geschützt werden müssen steht außer Frage. Wir reden hier ja auch von den „normalen“ Fouls. Wie Bananiel schon gesagt hat, es müssen alle verstehen. Ist ein Foul zu extrem, dass die Gesundheit eines Spielers gefährdet wird, dann sieht es jeder und vor allem versteht die Strafe auch jeder.
    Hier geht es ja um die Fouls, die man auch mal „weglassen“ sollte.

    Wenn beispielsweise ein Abwehrspieler den Ball ergattert und einen Gegenstoß einleiten will. Dabei wird er am Trikot gezogen (eigentlich 2‘). Er kann den Ball aber noch zum nach vorne sprintenden Außenspieler, der in den Torraum springt und dabei am Wurfarm gehalten wird und dadurch verwirft (sagen wir mal auch 2‘ nicht rot) spielen. Dann ist es einfach besser nur die Zeitstrafe beim Konter (das Halten des Wurfarms) zu ahnden, denn das versteht jeder. Viele haben das Trikotziehen schon wieder vergessen.

    Handball, attraktiver kann man Sport nicht betreiben!

  • Normale Fouls sind nicht strafwürdig von denen hab ich nicht gesprochen.

    Was passiert denn mit dem Trikotzupfer, wenn es vorne keine Foul gibt ? Lass ich den dann auch unbestraft ? Was ist mit den taktischen Fouls zur Unterbindung des schnellen Gegenstoßes ? Klare Anweisung, dass die zu bestrafen sind. Verstehen tut das keiner.

    Ein gröberes Foul hebt doch die Strafwürdigkeit eines vorhergehenden Fouls nicht auf. Soll die Messlatte für Strafen wirklich dort liegen, wo alle Beteiligten die Strafe verstehen ? Es versteht auch keiner, wenn der Torwart beim Abwurf den Kreis übertritt und man Wiederholung des Abwurfes pfeift. Soll ich deswegen die Regeln außer Acht lassen ?

  • Nein, du sollst keines falls die Regeln außer Acht lassen. Das wäre definitiv der falsche Weg. Pfeife grundsätzlich alles das, was du siehst und bestrafe dementsprechend. So lange du dich an die Regeln hälst kann dir keiner einen Strick daraus drehen. Auch wenn es die Spieler nicht verstehen sollten, warum du pfeifst ob mit oder ohne Strafe. Wenn die Regeln es so vorsehen dann pfeifst du es.

    Beispiel:
    Wenn du das Trikotziehen siehst und es bestrafen willst, aber auf Vorteil entscheidest, bestrafst du den Spieler halt bei der nächsten Unterbrechung, auch wenn es vorne kein Foul gibt. Dann beim Abwurf oder Einwurf, etc.
    Kurz: Vorteil laufen lassen, dann bestrafen.


    Jetzt nochmal zu dem Sachverhalt, wo es taktisch besser ist nur eine Strafe zu geben.

    Folgendes Beispiel:
    Team A hat im Angriff den Ball beim Spielstand von 25:25, kurz vor Schluss, die Spielstimmung ist gereizt.

    Rückraumspieler A3 versucht 1:1 gegen den vorgezogenen B6 durchzugehen und wird dabei so geklammert, dass es 2min sind. Im letzten Augenblick vor dem Pfiff spielt er den Ball zu Rückraum A8 ab. A8 bricht durch den unsortierten Mittelblock durch, wird von B2 von hinten gestoßen und verwirft. SR Entscheidung 7m und 2min.

    In diesem Fall wäre es aus Sicht der SR taktisch sinnvoller, dass das geklammere von B6 nicht bestraft wird, da die Stimmung dann schnell agressiv werden kann. Vorallem gegen die SR, da sich Team B benachteiligt fühlen würde. Das Stoßen bei der letzten Aktion hat jeder noch präsent, das Klammern nicht. Aber jeder versteht die 2min und den Punkt.

    Ich hoffe ich konnte es an diesem Beispiel etwas verdeutlichen, was ich meine.

    Einmal editiert, zuletzt von Bananiel (20. August 2008 um 23:30)

  • Diese Diskussion zeigt ziemlich deutlich, was Fingerspitzengefühl bedeutet und dass man "Spielverständnis" in keinem Regelheft finden kann.
    Das hat man, oder eben nicht.

    Und genau hier unterscheiden sich gute SR von mittelmäßigen SR.
    Selbstverständlich kann ich 99% meiner Pfiffe mit irgendeiner Regel begründen/rechtfertigen.
    Ob die Entscheidungen aber immer dem eigentlichen Spielgedanken gedient haben, kann man nicht zu 100% daran aufmachen, dass sie alle regelkonform waren.

    In den vorgenannten Beispielen sind Situationen dabei, bei denen regeltechnisch eine Bestrafung jederzeit möglich ist. Ob sie aber SINNVOLL ist, ist die andere Frage.

    Wenn der TW beim Abwurf z.B. minimal den Torraum übertritt, sich dadurch keinen erkennbaren Vorteil verschafft und nur der SR diesen Übertritt gesehen hat: Welcher gute SR würde diesen Abwurf korrigieren?

    Von dieser Qualität gibt es noch unzählige Beispiele, bei denen ein SR beweisen kann, ob er das Spiel verstanden hat.

    Thorsten Zacharias

  • Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, die meine Oma stets besucht. Da würde man jetzt sagen: BINGO! :)

    Genau diese Auffassung vertrete ich auch. Niemand soll das Regelwerk beugen, es aber "im Sinne des Spiels" auszulegen, ist täglich Brot für alle Schiedsrichter höherer Spielklassen.

    Dass Schiedsrichter mehr sehen als Zuschauer ist normal, dass sie mehr Regelkenntnis besitzen ebenso. Aber hilft es dem Spiel wenn wir alles pfeifen was wir sehen, das Regelwerk sozusagen 1:1 umsetzen. Wohl eher nicht.

    Auch als Schiedsrichter muss man ein Spiel "lesen" und verstehen können. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Man kann das Regelwerk, selbst wenn man wollte nicht zu 100% umsetzen.

    Oder zählt ihr die Schritte der Spieler mit und pfeift beim Vierten? Das macht wohl niemand.
    Man pfeift wenn’s „komisch“ aussieht und der Vorteil daran ist, dann sieht’s für alle anderen auch „komisch“ aus und jeder versteht es. Dieses Rezept lässt sich ganz gut auf die meisten Situationen übertragen. Wenn man das pfeift was alle sehen, hat man schon eine Menge richtig gemacht.

    Handball, attraktiver kann man Sport nicht betreiben!

  • härter_schneller

    Zitat

    wenn ich das hier so lese, dann scheint mir "taktisch pfeifen" vor allem der weg des geringeren widerstands zu sein...man lese das spiel und lege sich nicht mit en bösen buben an...

    Nein, man verkauft das Spiel nur besser. Die Aussagen von Thorsten und Referee kann ich nur voll unterstützen. Auch wird es so in den Landesverbänden gelehrt.

  • Ein guter SR ist also derjenige, der im richtigen Moment weiß, wie er die Regeln ignoriert. Gut, dass das also geklärt ist. Ich werde das meinem Beobachter bei der nächsten Beobachtung mitteilen.

    Wenn dann in der letzten Minute der TW beim Abwurf den Kreis übertritt und einen zum Tor führenden Tempogegenstoß einleitet, lass ich das laufen, weil das sonst keiner versteht ? Muß ich dann auch noch unterscheiden ob Heim oder Gast den Ball hat?

    Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber Eure Aussagen belegen ziemlich deutlich, dass Ihr sehr weit weg von der Realität der Basis seid. Wenn Ihr so in Verbands- oder Oberligaspielen auftretet, landet Ihr in den Beobachtungen bei 65 Punkten, bei den Vereinsbeobachtungen werden es eher noch weniger. Wie lange ist es her, dass Ihr in dieser Ebene Spiele geleitet habt ?

    In den höheren Klasse, ab RL aufwärts, mag es ja so sein, dass es ist erster Linie darauf ankommt, Spiele so zu leiten, dass einen 5000 Leute nicht fertigmachen. Nur was soll dann noch das Regelwerk ? In der Bundesliga wird jede Fußberührung als FW für die andere Mannschaft geahndet. Die Regel gibt das nicht her. Wird das so gemacht, weil irgendwann mal das Märchen aufkam, Fuß ist Fuß ? Dann sorgt doch, bitte, dafür, dass diese Regel offiziell geändert wird. Alles andere ist doch Willkür.

    Ich bemühe mich die Spiele nach den Regeln zu leiten, meiner Auffassung nach kann ich damit dem Spielgedanken am besten dienen.

    Wenn mich das zu einem mittelmäßigen SR macht, kann ich damit leben. Ich kann meine Entscheidungen wenigstens regeltechnisch begründen. Wie macht Ihr das ?

  • Zitat

    Wenn dann in der letzten Minute der TW beim Abwurf den Kreis übertritt und einen zum Tor führenden Tempogegenstoß einleitet, lass ich das laufen, weil das sonst keiner versteht ? Muß ich dann auch noch unterscheiden ob Heim oder Gast den Ball hat?

    Natürlich sollst du das dann korrigieren weil er dadurch einen Vorteil erlangt. Spielt er aber den Ball zu einem in der Nähe seines Kreises stehenden Spieler ohne das dadurch ein Vorteil entsteht, ist ein Pfiff einfach sinnlos und für keinen verständlich.

    Zitat

    Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber Eure Aussagen belegen ziemlich deutlich, dass Ihr sehr weit weg von der Realität der Basis seid. Wenn Ihr so in Verbands- oder Oberligaspielen auftretet, landet Ihr in den Beobachtungen bei 65 Punkten, bei den Vereinsbeobachtungen werden es eher noch weniger. Wie lange ist es her, dass Ihr in dieser Ebene Spiele geleitet habt ?

    Echt? Dann trete ich dir mal nicht zu Nahe und behaupte, dass du noch nie einen Verbands- und Oberligalehrgang besucht hast. Bei uns in Sachsen wird es genauso gelehrt. Und Sachsen ist einer der vorbildlichen Verbände was die Schiedsrichter und deren Ausbildung betrifft...

    • Offizieller Beitrag

    Die Realität sieht in den unteren Spielklassen leider sehr häufig so aus wie sie Ex-HVS-SR beschreibt

    Nah spätestens 15-20 min bemerkt man ob eine Schiedsichter-Beobachtung stattfindet. Da werden dann ständig "unnötige" Kleinigkeiten korrigiert etc.

    Aber den Schiris kann ich das nicht verdenken - hier läuft m.E. das Beobachtungssystem falsch

  • Ich glaube das Problem ist, dass man das wie ihr es nennt "taktische Pfeifen" nicht pauschalisieren kann.
    Bei der beschriebenen Situation im TG und dem Trikot zupfen würde ich auch noch Dinge wie "Ist das schon mal passiert, wurde schon ein Spieler für ein ähnliches vergehen bestraft?", "Wie ist der Härtegrat insgesamt?", "Wie ist der Spielstand?", "Wie ist das Verhalten SR/Beteilgte?".

    Ich könnte mir vorstellen dass das taktische Pfeifen das Wahrscheinlichkeit von Revanchefouls erhöht. Für den Spielverlauf und alle Beteiligten als ganzen unerheblich könnte es doch für den gefoulten selbst in Anbetracht der Stresssituation härter wirken. Ein Revanchefoul im Gegenzug könnte passieren.
    Auch denke ich, dass man die Verhältnismässigkeit beachten sollte. Wenn ich das erste Foul "im Sinne der Spielflusses" ignoriere und dann später wegen Wiederholung des selbigen doch bestrafe habe ich zumindest ein etwas ungutes Gefühl.

    Grundsätzlich denke ich, dass so ein taktische Pfeifen von jedem unbewusst immer vollzogen wird. Ob man das jetzt so nennt oder eben "Fingerspitzengefühl" ist eigentlich egal. Bei der klaren pauschalen Ansage Regelwidrigkeiten zu übersehen (Kann sein dass ihr das so nicht meint, doch kann man es so verstehen) bekomme ich aber gehörige Bauchschmerzen.