Habe eben einen wunderschönen Kommentar zur Handball WM gelesen:
ZitatAlles anzeigenLeitartikel
Ein kleines Wintermärchen
Von Rainer Seele
26. Januar 2007
Die Handball-Party findet nur im Saale statt, nicht auf der Straße.Tempo, Tempo, Angriff, ein wuchtiger Sprungwurf und im besten Fall ein Tor: Handball kann sehr dynamisch sein, er ist ein Hochgeschwindigkeitsspiel, das in den vergangenen Jahren immer noch schneller geworden ist. Das Hin und Her auf dem Spielfeld verlangt vom Betrachter, der auf dem Laufenden bleiben will, höchste Aufmerksamkeit. Mancher kommt da inzwischen nicht mehr mit. Anderen wiederum gefällt gerade dieses vermeintlich kurzatmige, stets spannungsgeladene Treiben. Auf alle Fälle hat Handball, ohnehin seit langem tief verwurzelt in der deutschen Sportkultur, Konjunktur im Lande. Das belegen die hohen Zuschauerzahlen in der Bundesliga, die seit dreißig Jahren besteht. Und natürlich ist auch die Weltmeisterschaft ein Maßstab dafür, die in Deutschland das Handballpublikum seit einer Woche in ihren Bann zieht. Es versetzte sich in den vergangenen Tagen selbst in einen kollektiven Rausch, es entfachte eine Begeisterung, die auf das deutsche Team um den schnauzbärtigen Bundestrainer Brand übergegriffen hat.
Natürlich ist der Handball weit davon entfernt, eine ganze Nation in seinen Bann zu schlagen, wie das der Fußball im vergangenen Sommer geschafft hat. Fußball ist Volkssport, ein globales Millionengeschäft, mit ihm identifizieren sich, über ihn definieren sich Nationen. Die Welt des Handballs hingegen, europäisch dominiert, ist überschaubar; als Gradmesser für das Befinden eines Volkes eignet sie sich nicht. Es ist somit unzulässig, Vergleiche zwischen diesen beiden Sportarten zu ziehen, wie das in jüngerer Vergangenheit häufiger geschehen ist. Der Handball kann ihnen nicht standhalten, sie sind für ihn sogar eine Belastung. Seine WM ist anders, und die Party findet auch nur im Saale statt, nicht auf der Straße.
Der Handball in Deutschland, der schon eine deutsche Domäne war, als noch im Freien, auf dem Feld, gespielt wurde, verfügt zwar über eine breite Basis, eine treue Stammkundschaft. Er kann damit die Hallen wie in Berlin, in Halle in Westfalen oder in Dortmund füllen, ohne marktschreierisch für sein Produkt werben zu müssen. Die öffentliche Wahrnehmung hat jedoch Grenzen. Es gibt in diesem Sport keine Stars, deren Leben auf Schritt und Tritt verfolgt wird. Selbst bei einer schillernden Figur wie dem Magdeburger Kretzschmar, der durch sein lässiges, auch unkonventionelles Gebaren vor allem von Jugendlichen fast wie ein Popstar verehrt wurde, war dies nur bedingt der Fall.
Nicht wenige deutsche Nationalspieler sind weithin unbekannt. Sie rücken erst durch die Fernsehübertragungen während eines Turniers wie einer Weltmeisterschaft ein bisschen in das Rampenlicht. Der Alltag wird sie danach schnell wieder einholen. Noch immer genießt der Bundestrainer Brand, der 1978 in der Ägide des kroatischen "Magiers" Stenzel zusammen mit anderen Spielerpersönlichkeiten wie Deckarm, Schmidt oder Wunderlich Weltmeister wurde, größere Popularität in Deutschland als mancher der heutigen Spieler. Der Name Brand steht auch immer noch für besonderen Einsatzwillen, für bodenständige Vehemenz, für die speziellen Werte des Handballs also. Brand ist die große Konstante des deutschen Handballs, er ist sein Gesicht. Und niemals würde es öffentliche Diskussionen um den Wohnsitz dieses Mannes aus Gummersbach geben, der einst einer der besten Verteidiger der Welt war.
Nicht zuletzt Brands Verdienst ist es, dass Handball "in" ist. Unter den Hallensportarten nimmt dieses kampfbetonte, zuweilen hektische und sehr harte Spiel mit allerlei Handgreiflichkeiten auf engstem Raum eine führende Rolle in Deutschland ein. Trotz ernstzunehmender Konkurrenz zum Beispiel durch Basketball, das durch seine "amerikanische Note" eigentlich den Zeitgeist besser zu treffen scheint. Der Handball hierzulande, dem lange der Mief dörflicher Turnhallen anhaftete und in dem früher oft Mittelständler wie der örtliche Metzgermeister als Mäzene das Sagen hatten, profitiert von seiner Bereitschaft, sich zu öffnen, neue Wege zu gehen. Durch fortschreitende Professionalisierung eroberte er sich die Sportstätten der Großstädte und damit neue Sponsoren. So hat auch er sich der Moderne des Sports, in der der Eventcharakter hochgeschätzt wird, erfolgreich angepasst.
Der VfL Gummersbach, der den guten Ruf des deutschen Handballs mit seinen Europapokaltriumphen mit begründete, ist ein prägnantes Beispiel für diesen Umbruch. Die Gummersbacher siedeln häufig nach Köln über und mobilisieren dort die Massen. Der Handball bemüht sich, auf diese Weise an Renommee zu gewinnen, ohne seine Wurzeln zu verlieren oder seine Tradition aufzugeben. Schließlich hat er weiterhin viele Hochburgen in ländlichen Regionen. Handball-Projekte in Metropolen zu etablieren birgt Risiken. Manches Unterfangen ist schon gescheitert, zum Beispiel in München. Wo der Fußball eine beherrschende Position einnimmt und attraktive, breitgefächerte Freizeitangebote locken, tut sich der Handball schwer. An solchen Standorten zu einer festen Einrichtung zu werden erfordert einen langen Atem und seriöses wirtschaftliches Handeln. Nicht überall in der Bundesliga ist das in der Vergangenheit beherzigt worden. Manche Vereine gerieten in eine finanzielle Schieflage, und für einige Klubs war dies das bittere Ende großer Hoffnungen.
Zumindest in dieser Hinsicht sind gewisse Ähnlichkeiten mit dem Fußball nicht zu übersehen. Und sicherlich wird es demnächst - noch eine Parallele zum Fußball - auch anerkennend heißen: Es war die beste Weltmeisterschaft, die je im Handball veranstaltet wurde. Auch wenn es kein deutsches Wintermärchen geben sollte.
Text: F.A.Z., 27.01.2007, Nr. 23 / Seite 1