Fördern und auf Leistung trimmen
Dienstag, 7. November 2006
Macher der HSG Sulzbach/Leidersbach wollen mit regionalem Stützpunkttraining ihr zweites Standbein stärken
Sulzbach. Auf einer mächtigen Siegeswelle schwimmen die Handballerinnen der HSG Sulzbach/Leidersbach. Doch mit dem Erfolg der Spielgemeinschaft, die Kurs auf die 1.Bundesliga nimmt, steigen die Risiken. Jetzt wollen die Verantwortlichen sich absichern, indem sie gezielt junge Talente aus der Region fördern - ein Vorstoß, den andere Vereine mit gemischten Gefühlen verfolgen (siehe Interview).
Leander Jakob weiß, dass begabte Spieler ihr Talent oftmals verschwenden. Trotz guter Anlagen schaffen sie es einfach nicht, sich vom Stammverein zu lösen, lassen ihr Können im Handball-Niemandsland verkümmern. Bei ihm war das anders: »Ich wollte Tore werfen, ich war Handball-geil«, erinnert sich der 47-Jährige, der als Jugendlicher das Trikot des TV Erlenbach übergestreift hatte. Doch schnell wurde auf den technisch beschlagenen, mit Spielwitz gesegneten Linkshänder die höherklassige Tuspo Obernburg aufmerksam. Jakob wechselte den Verein - und hat das nie bereut.
Selten war dieses »Bäumchen wechsel Dich«-Spiel früher, heute ist es zumindest im Männersport zur Normalität geworden. Im Mädchenhandball ist es indes noch die Regel, dass die Ballwerferinnen ihrem Verein die Treue halten, dass sie dabei den Leistungsgedanken manchmal leichtsinnig fahren lassen.
Das soll nach den Vorstellungen der HSG Sulzbach/Leidersbach nun anders werden. Gezielt will der Verein künftig die Talente in der Region fördern, wie der sportliche Leiter Leander Jakob sagt. Peter David, ehedem Mitglied der slowakischen Nationalmannschaft, nun Trainer des Zweitliga-Teams, will die Mädchen einmal in der Woche schulen. Dabei gilt als Voraussetzung: Leistungswillig soll der Nachwuchs sein. Und so flattern den Vereinen in Bürgstadt, Kirchzell, Klein- und Großwallstadt, Aschaffenburg und Kahl-Kleinostheim in diesen Tagen Einladungen für deren Talente der Jahrgänge 1990 bis 1992 ins Haus, die sie nicht froh stimmen können. Auch wenn Jakob versichert: »Uns geht es zunächst um Talentförderung. An Abwerbung ist gar nicht gedacht.«
In Wirklichkeit steckt hinter der Offensive jedoch ein Automatismus, der dem harten sportlichen Wettbewerb geschuldet ist - nach dem Motto: Alle Kräfte bündeln! Die Spielgemeinschaft aus Sulzbach und Leidersbach steht als allein ungeschlagener Tabellenführer in Liga zwei hart an der Schwelle zum Erstliga-Spielbetrieb. Das hat die von Sponsor Mathias Suffel zusammengestellte Mannschaft vor allem mit fremder Hilfe geschafft. Anna Galinskaja, Rocsana Negovan, Elfa Björk Hreggvidsdottir - der für deutsche Ohren exotische Klang dieser Namen macht schnell deutlich, dass die Meistertitel der letzten Jahre primär ost- und nordeuropäischem Handball-Knowhow zu verdanken sind.
Uns geht es zunächst um Talentförderung. An Abwerbung ist gar nicht gedacht.
Leander Jakob, sportlicher Leiter der HSG
Acht von 16 Spielerinnen im HSG-Kader haben einen deutschen Pass, die andere Hälfte weiß ihre Wurzeln in Island, Dänemark, Polen, Weißrussland, Litauen und der Slowakei. Dass die Multi-Kulti-Truppe nicht nur sportlich harmoniert, wie Leander Jakob versichert, ist indes keine Garantie für dauerhaften Erfolg. Vor allem wenn die HSG es in der kommenden Saison in der 1. Liga mit Spitzenteams wie Bayer Leverkusen, HC Leipzig und 1. FC Nürnberg zu tun haben sollte. Mit steigenden Anforderungen wachsen die Risiken, und deshalb will das Trio Suffel/Jakob/ David das zweite Standbein stärken: Um »Stars« wie Galinskaja und Negovan sollen die besten Spielerinnen der Region versammelt werden. Das Modell Tuspo Obernburg - Leander Jakob ist dort Jugendleiter und -trainer - schlägt durch!
Vor allem im sportlichen Misserfolg kann sich eine solche Strategie bezahlt machen. Eingekaufte Handballer suchen sich im Fall eines Abstiegs meistens neue Wirkungsfelder, so dass es nur gut sein kann, wenn der Unterbau aus einheimischen Spielern breit und stark ist. Der Fall ins Bodenlose kann so verhindert werden. Nicht wenige Handball-Kenner haben dem TV Großwallstadt wegen seiner Versäumnisse in der Jugendarbeit einen solchen Absturz vorhergesagt, wäre es in seinen schwachen Jahren zum Abstieg aus der Bundesliga gekommen.
Für Leander Jakob wirkt die HSG-Initiative nicht nur präventiv, sie ist auch ein Schutzreflex. Mittlerweile gehen etliche talentierte Spielerinnen aus der Region in der Fremde auf Torejagd: etwa die Obernauerin Patricia Milde für den TV Bergen-Enkheim, die Kirchzellerin Maria Streun bei der TSG Walldorf. Oft, so klagt Jakob, würden junge Mädchen von ihren Auswahltrainern dazu angehalten, den Verein zu wechseln - eine Darstellung, die Gottfried Kunz, Trainer-Fuchs beim TV Kirchzell, voll bestätigt. Nach seiner Aussage missbrauchen Auswahlübungsleiter ihr Amt im Verband mitunter sogar gezielt, um Spieler für den eigenen Stammverein abzuwerben.
Mit der Talentförderung will die HSG einer weiteren Abwanderung entgegensteuern. Auch aus der Erfahrung heraus, dass der Einsatz heimischer Sportler eine Identifikation stiftende Maßnahme ist. Wie die Beispiele Obernburg und Großwallstadt zeigen, wächst der Rückhalt bei den Fans immens, sobald junge Spieler aus der Region neben den »Legionären« über das Parkett wirbeln. Beim TV Großwallstadt hatte das eindruckvoll Bernd Roos bewiesen. Kaum lief der Kirchzeller für den Bundesligisten auf, besaß der TVG seine Integrationsfigur.
Bislang werden in Sulzbach Steffi Grötsch (von der HSG Aschaffenburg), Christin Wörner (vom TV Kirchzell) und Laura Schmitt (von der HSG Kahl-Kleinostheim) langsam an höhere Aufgaben herangeführt. Weitere Talente werden hinzukommen - um wen es sich handeln könnte, wissen die Vereinsverantwortlichen nur zu genau.
Manfred Weiß
Quelle: Main Echo
Was ist denn davon zu halten?