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Ein literarischer Durchbruch blieb aus
Autor und Sportler Sally Grosshut wurde am 16. Juli vor 100 Jahren in Wiesbaden geboren
Vom 15.07.2006
Von Wolfgang HerberWIESBADEN Vor genau 100 Jahren, am 16. Juli 1906, wurde der Schriftsteller, Jurist und Handballsportler Salomon Grosshut in Wiesbaden geboren. Seine Eltern Ludwig Mantel, genannt Grosshut, und Trude, geb. Stern, waren sechs Jahre vorher aus dem damals österreichischen Krakau nach Wiesbaden gezogen. "Sally", wie der einzige Junge unter den fünf Geschwistern liebevoll genannt wurde, sollte der soziale Aufstieg durch höhere Schulbildung ermöglicht werden. Denn die Familie war doppelt stigmatisiert: als Juden in einem antisemitischen Klima auch in der Kaiserzeit und auch innerhalb der jüdischen Gemeinde als arme Ostjuden, auf die nicht wenige der altein-gesessenen wohlhabenden reformierten Westjuden, auf Distanz gingen.
Sally Grosshut besuchte zunächst die Mittelschule und dann das legendäre "Huma", das Humanistische Gymnasium am Luisenplatz. Bereits als Schüler betrieb er aktiv Handballsport sowohl als Spieler, Nachwuchstrainer und Schiedsrichter, so z.B. beim Polizeisportverein Wiesbaden, der ihm 1928 in einem Zeugnis "vornehme Gesinnung" sowie "bescheidenes und besonnenes Wesen" mit "echtem, sportlichem Geist" bescheinigte.
Nach dem Abitur 1925 begann er ein Jurastudium an der Frankfurter Universität und promovierte hier über "Das polizeiliche Notstandsrecht, Staatsnotwehr und Staatsnotstand" bei zwei Professoren, die kurz zuvor die sozialdemokratische preußische Regierung Braun - allerdings erfolglos - vor dem Staatsgerichtshof vertreten hatten. Diese war nämlich durch den rechten Staatsstreich Papens gestürzt worden.
Glückwünsche zur Dissertation kamen u.a. vom damaligen Vorsitzenden des Verfassungsausschusses des Reichstags Hoegner, der nach dem Zweiten Weltkrieg bayrischer Ministerpräsident werden sollte. Doch Carl Schmiett, der Nestor der deutschen Rechtswissenschaft und Papens Verteidiger, spielte ein Exemplar der "jüdischen" Arbeit den Nazis zu.
Bereits 1926 gründete Grosshut den jüdischen Sportverein Hakoah, um - wie er in der "Jüdischen Wochenzeitung für Wiesbaden" schrieb - "unterschiedliche jüdische parteiliche Bindungen integrieren" zu können. Diese Handballmannschaft entwickelte sich zur sportlichen Spitze in der Region. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis wurde Hakoah Wiesbaden aus dem DSB als "untragbar" ausgeschlossen.
Grosshuts Erzählung "Schiedsrichter Rissing leitet ein Spiel", die er 1939 im Exil im palästinensischen Haifa verfasste, trägt autobiografische Züge: der jüdische Spieler Wolf Berger zwingt seinen Sportkameraden Robert Rissing zum Handeln.
Am 22. April 1933 wurde Salomon Rosenstrauch, der Vater seiner Verlobten Sina, in seinem Geschäft in der Wilhelmstraße von der SA ermordet. Und als dann Grosshut gewarnt wurde, dass seine Verhaftung wegen des Inhalts seiner Dissertation bevorstünde, beschlossen Sally und Sina nach Palästina zu emigrieren. Hier entstand unter dem Titel "Es geschieht in Ohio" eines der wenigen Dramen der Exilliteratur: In Verfremdungstechnik nehmen verfolgte Schwarze die Rolle der Juden ein.
Die Grosshuts eröffneten in Haifa ein deutsches Buchantiquariat, das sich zum Treffpunkt der deutsch-jüdischen Intelligenz entwickelte. Arnold Zweig, Else Lasker-Schüler, Max Brod u.a. verkehrten hier. Allen war gemeinsam, dass sie kaum oder gar nicht Hebräisch lernen wollten. Sie fühlten sich im kulturellen Exil noch immer der deutschen Kulturnation verbunden. Zwar konnte Grosshut hier den Großteil seiner acht Romane und Erzählungen beenden, und er arbeitete an Zeitungen für deutsche Kriegsgefangene mit. Doch das Antiquariat musste aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden.
Grosshuts Hoffnung waren nun die USA. Als Butler und Textilarbeiter schlug er sich durch. Nach einem Wiedergutmachungsverfahren konnte das Ehepaar schließlich in New York einen kleinen Laden für Modeschmuck eröffnen. In der Bundesrepublik wurde 1962 seine erweiterte Dissertation veröffentlicht, aber der literarische Durchbruch blieb hier aus.
Im Februar 1969 brannte der kleine, aber existenzsichernde Laden nieder, er war zudem nicht versichert. Am 7. Oktober 1969 erlitt Sally Grosshut unter der Dusche einen tödlichen Herzanfall. An seinem Geburtshaus Wagemannstraße 27 erinnert eine Gedenktafel an sein Leben und Wirken.
Der Autor dieses Beitrags, Wolfgang Herber, ist Lehrer, Lokalhistoriker und derzeit amtierender Kulturdezernent der Stadt Wiesbaden.