Interessanter Artikel über das wohl zur Zeit größte Talent im europäischen Fußball den 17 Jährigen Nuri Sahin von Borussia Dortmund. Der in Meinerzhagen geborene Spieler wird wohl am Samstag sein Länderspieldebüt gegen Deutschland haben. Da hat der DFB wohl so einiges versäumt....
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PORTRÄT
"Papa, ich spiele nur für Deutschland"
VON TOBIAS SCHÄCHTER UND FELIX MEININGHAUS
Daran, wann er Nuri Sahin zum ersten Mal hat spielen sehen, kann sich Metin Tekin ziemlich genau erinnern: Im Winter 2003 war das bei einem Hallenturnier in einem Dortmunder Vorort. Tekin, Leiter des 15-köpfigen Kölner Europabüros des türkischen Fußballverbandes, war sofort beeindruckt. Inzwischen ist Sahin 17, und Arsène Wenger, der Trainer von Arsenal London, nennt ihn den "interessantesten Spieler im Nachwuchsfußball weltweit". Vor der Saison hat Arsenal ein Angebot über drei Millionen Euro für den Teenager abgegeben, das der FC Chelsea nach Berichten englischer Medien inzwischen verdoppelt haben soll.
Wer von dem schmächtigen Kerlchen spricht, tut dies in Superlativen: Bester Spieler der U-16-EM, bester Spieler der U-17-EM, mit 16 Jahren und 335 Tagen jüngster Spieler, der je in der Bundesliga eingesetzt wurde. Und wenn der türkische Nationaltrainer Fatih Terim seine Ankündigung wahr macht, und "dieses Juwel" (Terim) am Samstag im Atatürk Olimpiyat Stadi von Istanbul beim Testspiel gegen Deutschland in der A-Nationalmannschaft einsetzt, dann wird Nuri Sahin auch als der jüngste türkische Nationalspieler in die Annalen eingehen. Damit wäre der Dortmunder für den Deutschen Fußball-Bund endgültig verloren. Zwar können Talente mit mehreren Staatsbürgerschaften die Nationaltrikots wechseln, bis sie 21 Jahre alt sind, mit einem Einsatz in der A-Mannschaft aber erlischt diese Option. Den Verdacht eines strategischen Einsatzes mag Späher Tekin nicht bestätigen: "Der Junge spielt nicht, weil wir Angst davor haben, dass die Deutschen ihn entführen", sagt Tekin, "sondern weil er es verdient hat."
Seit Montag befindet sich die im sauerländischen Meinerzhagen aufgewachsene Verheißung erstmals im Kreis von Terims Eliteauswahl. Dass Sahin ausgerechnet gegen Deutschland debütieren soll, hat Symbolcharakter. Seit Jahren streiten der türkische und der deutsche Verband um die besten in Deutschland geborenen, türkischstämmigen Fußballer. Im Fall Nuri Sahin hat der DFB offensichtlich wenig ausgeschlafen agiert. BVB-Jugendtrainer Eddi Boekamp betont, er habe "jedem erzählt, dass dieser Junge für sein Alter von allen, die ich jemals gehabt habe, am weitesten ist".
Heute empfindet es Bernd Stöber, der beim DFB als Trainer für die U-17 verantwortlich ist, als "unglaublich ärgerlich, dass dieser Junge nicht für uns spielt". Gleichzeitig weist er die Verantwortung von sich, weil er nicht für die Sichtung dieses Jahrgangs zuständig gewesen sei. Fest steht, dass die Türken energischer, wacher und zielstrebiger agiert haben. Savas Sahin, Vater und wichtigster Berater des Umworbenen, berichtet beeindruckt: "Die haben mächtig Druck gemacht und ihn so überzeugt." Und weiter: "Wären die Deutschen hartnäckiger gewesen, würde Nuri jetzt für Deutschland spielen." DFB-Nachwuchskoordinator Michael Skibbe, der erst neulich vergeblich ein längeres Gespräch mit Nuri Sahin führte, verteidigt sich: "Mehr als 80 Prozent der türkischstämmigen Talente entscheiden sich für das Land ihrer Väter."
Metin Tekin glaubt zu wissen, warum: "Wer von den türkischstämmigen Spielern hat denn je langfristig den Sprung in die deutsche Nationalmannschaft geschafft?" Er wartet die Antwort erst gar nicht ab: "Keiner." Der 52-Jährige nennt die zwei Spiele, die Mustafa Dogan Ende der 90er Jahre unter Erich Ribbeck absolvierte (eins davon übrigens gegen die Türkei), "Alibieinsätze. Als wir 2002 WM-Dritter wurden, standen drei in Deutschland geborene Türken in der Stammformation: Ilhan Mansiz, Yildiray Bastürk und Ümit Davala", sagt Tekin. Diese Beispiele seien auch eine starke Motivationsquelle für die nachwachsende Generation.
Der DFB war deshalb beim Jahrhunderttalent Sahin aber alles andere als chancenlos. "Im Grunde genommen ist es egal, für wen Nuri spielt", sagt Savas Sahin, betont aber auch, wie stolz er sei, "dass die Türken sich so stark um ihn bemüht haben und ihm jetzt die Chance geben". Aus diesen Worten sind auch die Versäumnisse der Nachwuchsfahnder des DFB herauszuhören. Den deutschen Spähern war Nuri Sahin nämlich noch früher als den türkischen aufgefallen. Der Vater erinnert sich an diverse Sichtungen in der Sportschule Kaiserau, "doch danach haben wir vom DFB nichts mehr gehört". Da waren die Türken wesentlich aktiver. Sie luden den Youngster zu Lehrgängen nach Holland und in die Türkei ein. Selbst zu diesem Zeitpunkt hatte der DFB noch die besseren Karten, weil der Junge die Maßnahmen als chaotisch empfand. Sein Sohn habe Organisation und Disziplin vermisst, berichtet Savas Sahin, für ihn habe damals festgestanden: "Papa, ich spiele nur für Deutschland."
Der Artikel ist aus der Frankfurter Rundschau