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Porträt Filip Jicha HAndBall Mai / Juni 2005
Handball, Eishockey und BierDer Noch-St. Otmar-Spieler Filip Jicha ist ein sozial-menschlicher Spieler der Extra-Klasse. Auf die neue Saison hin zieht es ihn in die Bundesliga.
Filip Jicha zählt zu den wenigen Handballern, denen die Affiche eines Jahrhunderttalents umgehängt wird. In Tat und Wahrheit ist der 23-jährige St. Otmar Spieler ein handballerisch ungeschliffener Diamant mit einem extremen Potenzial. Dank seiner Beweglichkeit und Schnelligkeit hätte sein Weg aber auch zu einem Eishockey-Superstar führen können. Trotz seiner grossen Fähigkeiten bezeichnet er sich aber als faul und trinkt seiner Herkunft aus Pilsen entsprechend vor allem gerne mal ein Bier.
Die wichtigste Vertragsklausel
Filip Jicha spielt seit rund eineinhalb Jahren bei St. Otmar. Umworben von zahlreichen Vereinen wechselte er nach St. Gallen, weil ihm die familiäre Umgebung des Vereins Eindruck gemacht hatte. «Ich wurde nie enttäuscht. Ich habe mich in der Ostschweiz sofort wohl gefühlt und fühle mich immer noch sehr wohl. Auch deshalb fällt es mir schwer, von St. Otmar wegzugehen. Nur in einem einzigen Punkt fällt ihm die Trennung von St. Gallen nicht schwer. «Dieser extreme Winter hat mich fast zur Verzweiflung gebracht. Während Wochen musste ich praktisch jeden Morgen mein Auto aus den Schneemassen freischaufeln. Das habe ich extrem gehasst», meint er lachend und fügt an, «wenn ich wieder irgendwo einen Vertrag unterzeichne, so muss darin enthalten sein, dass man mir eine Garage für mein Auto zur Verfügung stellt.»
Schlaflose NächteDen Grund in der fehlenden Garage zu sehen, dass Filip Jicha die nächste Saison trotz eines Vertrages, der ihn noch für zwei Jahre an St. Otmar gebunden hätte, nicht mehr in St. Gallen, sondern in Lemgo spielt, wäre hingegen falsch. «In der Ostschweiz gefällt es mir sehr gut. Ich bin hier echt glücklich. Aber ich habe im Handball hohe Ziele. Ich will Olympiasieger, Weltmeister, Gewinner der Champions League werden. Deshalb muss mein sportlicher Weg weitergehen. Es war schon als Jugendlicher mein Traum, in der Bundesliga bei einem grossen Verein wie Kiel oder Lemgo zu spielen. Nun nehme ich die Herausforderung in Lemgo an. Der Entscheid, mich vom familiären Umfeld St. Otmars zu trennen, ist mir nicht leicht gefallen und hat mir einige schlaflose Nächte bereitet», gesteht Jicha.
Diese Aussage nimmt man ihm zu 100 % ab, denn von seinem Umfeld wird er als ein sehr sozialer und menschlicher Typ mit hohen Qualitäten empfunden. Dabei wird seine Art, stets gute Stimmung zu verbreiten, auch besonders geschätzt. So beschreibt sich der Pilsner selber als einen lustigen, spassigen und fröhlichen Typen. «Der Sport muss auch Spass sein. Er darf keine todernste Angelegenheit sein. Auf dem Spielfeld gebe ich sicher immer zu 100 % Gas; die Freude darf aber nicht verloren gehen. Ohne Freude sind auch keine ausserordentlichen Leistungen möglich», ist er überzeugt.Liebe zu verschiedenen Mentalitäten
Etwas verloren gegangen ist Filip Jicha die Freude am Handball nach den Weltmeisterschaften in Tunesien. Dies nicht in erster Linie, weil er wegen Verletzungen und Krankheit nur bedingt zum Einsatz kam, sondern wegen einer nachfolgenden Brustmuskel-Verletzung, die ihm eine mehrwöchige Pause auferlegte. «Die WM in Tunesien war für mich trotz allem ein sehr positives Erlebnis. Wenn ich aber nicht voll trainieren und spielen kann, so fehlt mir ein Lebensinhalt. Ich liebe den Handball, weil er Stimmungen vermittelt, den Teamgedanken fordert und fördert und eine Kontaktsportart von hoher Intensität ist», fasst der für seine 201 cm Grösse und sein Gewicht von 105 kg ausserordentlich schnelle, wendige und bewegliche Ausnahmehandballer seine Ideen zusammen.
Abseits des Handballfeldes und des geselligen Zusammenseins mit seinen Kameraden liebt der 55-fache tschechische Internationale aber auch die Ruhe. Diese findet er einerseits wenn er an seinem Laptop sitzt und anderseits, wenn er stundenlang liest. «Ich bin von Biographien verschiedenster Personen und Persönlichkeiten fasziniert.
Derzeit vertiefe ich mich in die Lebensgeschichte von Muhamad Ali, dessen Karriere als Boxer sehr eng mit dem Konflikt der Weissen mit den Schwarzen in den Vereinigten Staaten verbunden ist.»
So setzt sich Filip Jicha auch mit ganz verschiedenen Mentalitäten und Menschen auseinander. Er forscht, sinniert, studiert und macht sich so sein ganz persönliches Bild. «Ich bin fasziniert von der Verschiedenartigkeit des Menschen. Die divergierenden Mentalitäten drängen mich auch immer wieder dazu, neue Menschen kennen zu lernen. Das war mit ein Grund dafür, dass ich während eines halben Jahres in Katar Handball gespielt habe. Diese Erfahrung, mit Kameraden zusammen zu sein, die eine völlig andere Weltanschauung haben, möchte ich nicht missen.»Schweizer Pünktlichkeit angenommen
Zieht Filip Jicha, der als Ausgleichsport dem Eishockey frönt, schon jetzt eine Bilanz seiner eineinhalb Jahre in der Schweiz, so fällt sie durch und durch positiv aus. Neben dem menschlichen Aspekt seines Umfeldes in St. Gallen, das ihm den Abschied von Dukla Prag sehr schnell sehr leicht gemacht hat, hat er vor allem die Pünktlichkeit schätzen gelernt. «Dieser spezielle Punkt der Schweizerinnen und Schweizer ist mir schnell prägend aufgefallen, und ich habe diese Eigenart auch für mich übernommen.»
Auch sportlich darf er mit dem Erreichten durchaus zufrieden sein. Seine ganz persönlichen Erfolge als Topskorer St. Otmars stellt er dabei in den Hintergrund und hebt das Kollektiv hervor, das es geschafft habe, im Europacup unerwartet weit vorzustossen. Seine herausragenden Leistungen bringt er immer wieder mit dem familiären Umfeld bei St. Otmar in Zusammenhang. Dazu zählt er ganz speziell auch die Betreuung durch die slowakische St. Otmar-Handballerin Monika Simova und deren Ehemann Jurai Simo. «Ich wurde von ihnen und ihrer Tochter Katharina aufgenommen wie ein Familienmitglied. Dies ist und war nicht selbstverständlich und hat mir insbesondere in der Anfangszeit ausserordentlich viel geholfen. Dafür bin ich äusserst dankbar.» Diese Freundschaft auch aus der Ferne weiterzupflegen hat sich Filip Jicha vorgenommen. «Dass ich meine Sachen in St. Gallen packen muss und nun nach Lemgo ziehe, ist eine der Eigenarten des Profisportes. Ich lebe für den Sport, für den Handball – also habe ich mich damit abzufinden. Der menschliche Aspekt darf dabei aber nicht zu kurz kommen.»
Fritz Bischoff
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